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Alles zerstört

Syrien: Nach Abzug der Aufständischen kehren Einwohner nach Homs zurück – in eine Trümmerwüste

Von Karin Leukefeld *

Fast zwei Jahre, nachdem bewaffnete Gruppen im Juli 2012 in die Altstadt von Homs eingedrungen waren und sich dort mörderische Kämpfe mit den syrischen Streitkräften geliefert hatten, haben die letzten rund 1500 Menschen die Kampfzone verlassen. Berichten zufolge waren darunter etwa 1300 Kämpfer. Diese wurden mit Bussen und Lastwagen in das noch von bewaffneten Gruppen kontrollierte Dar Al-Kabira, rund 20 Kilometer nördlich von Homs, gebracht worden. Angehörige der Kämpfer konnten diese begleiten. Der Gouverneur von Homs, Talal Al-Barasi, zeigte sich optimistisch, daß in den kommenden Wochen auch der Homser Vorort Al-Wael von den letzten Aufständischen verlassen werde.

Monatelang hatten Al-Barasi und ein Abdul Kharis, der als Unterhändler der bewaffneten Gruppen fungierte, unter Vermittlung von lokalen Versöhnungskomitees über den Abzug der Kämpfer verhandelt. Anfang Februar konnten erstmals Hunderte noch verbliebene Zivilisten unter beschwerlichen Umständen aus der Altstadt herausgeholt werden. Unter den damals rund 1300 Evakuierten waren mehr als 500 Männer im kampffähigen Alter, die zuvor mit und ohne Waffen die Aufständischen in Homs unterstützt hatten. Ihnen war Straffreiheit zugesagt worden, wenn sie ihre Waffen niederlegen würden.

Einen schweren Rückschlag erlitten die Friedensbemühungen, als am 7. April einer der unermüdlichen Vermittler zwischen den Fronten, der Jesuitenpater Francis van der Lugt, von Unbekannten ermordet wurde. Der Geistliche war in der Altstadt geblieben, um den dort verbliebenen alten, kranken und alleinstehenden Zivilisten zur Seite zu stehen.

Nachdem die syrische Armee die verlassenen Viertel nach Minen und Sprengsätzen durchsucht hatte, konnten am Freitag erstmals nach zwei Jahren wieder Einwohner in die Altstadt von Homs zurückkehren und die Trümmerlandschaft in Augenschein nehmen, die einmal ihre Heimat war. In den Stadtvierteln Hamidiyeh und Khaldiyeh war eine der größten christlichen Gemeinschaften in Syrien zu Hause. Dort befinden sich einige der ältesten Kirchen des Mittleren Ostens. Alle Gotteshäuser wurden zerstört und geplündert, ebenso der historische Al-Zahrawi-Palast und die Khalid-Ibn-Al-Walid-Moschee.

Journalisten, die ebenfalls dort waren, berichteten von geschockten Reaktionen der Heimkehrenden. »Mein Haus ist zerstört, ebenso das Haus meines Schwiegersohns«, sagte eine Frau namens Wafa. »Nichts ist mehr da, nur ein paar Dinge.« Alle Gebäude seien von den Kämpfen gezeichnet, hieß es in den Berichten. Manche Häuser seien durch Einschußlöcher, andere durch enorme Granatentreffer zerstört. Rima Battah aus Hamidiyeh konnte mit ihrem Ehemann nur noch ganze fünf Tüten mit persönlichen Dingen aus ihrem einstigen Haus bergen. Eine andere Frau fand in den Trümmern ihres Hauses nichts als eine Kaffeetasse. Eine Schneiderin berichtete, daß alle Nähmaschinen aus ihrer Werkstatt gestohlen worden seien. Nur eine Schere habe sie in einem leeren Korb gefunden.

Die Provinzregierung von Homs und die örtliche Handelskammer haben einen Entschädigungsfonds für die Bevölkerung eingerichtet. Angesichts der großen Verwüstung wird die Summe indes nicht annähernd reichen. Die Zerstörung der Infrastruktur – Strom, Wasser, Straßen – ist ebenfalls enorm. Allein im Bereich der Gesundheitsversorgung werden die Schäden mit zwei Milliarden Syrischen Pfund (ca. 9,8 Million Euro) angegeben. Das Krankenhaus wurde komplett verwüstet und geplündert. Einige der 600 gestohlenen Krankenbetten wurden später in den Ruinen der Armenischen Kirche gefunden, in der die Kämpfer ein Feldlazarett eingerichtet hatten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 13. Mai 2014


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