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"Man weiß nie genau, wer welches Gebiet beherrscht"

Syrien: Die Hilfsorganisation Handicap International beklagt Behinderung durch Regierung und Aufständische. Gespräch mit François De Keersmaeker *


François De Keersmaeker ist Geschäftsführer der in München ansässigen Hilfsorganisation Handicap International.


Vor drei Jahren hat der Bürgerkrieg in Syrien begonnen. Ihre Organisation beklagt, daß die humanitäre Hilfe für Kriegsopfer behindert wird – wie ist die Situation zur Zeit?

Nach drei Jahren Krieg bleibt die Lage dramatisch. Die Infrastruktur des Landes ist fast völlig zerstört. Es steht nur noch sehr wenig zur Verfügung, womit die Menschen versorgt werden können. Es gibt kaum Krankenhäuser, Gesundheitsstationen oder gar qualifiziertes Personal. Die meisten Beschäftigen der Krankenhäuser sind geflüchtet.

Hinzu kommt, daß es dort sehr unsicher ist. Bei dem permanenten Kriegszustand ist es für unsere Kollegen, aber auch für Patienten, sehr gefährlich, sich an die wenigen verbliebenen Anlaufstellen zu wenden. Die Lage wird weiter verschärft durch die Schikanen, die von der Regierung und den anderen Kriegsparteien ausgehen. In Damaskus zum Beispiel muß man jeden Tag eine Erlaubnis einholen, wenn man sich in der Stadt fortbewegen will. Straßensperren, Kontrollen und andere Einschränkungen beeinträchtigen die Mobilität unserer Teams erheblich.

Wer trägt in erster Linie die Verantwortung für die Behinderung dieser Hilfe?

Das ist von Region zu Region unterschiedlich, je nachdem, wer eine Stadt oder einen Bezirk kontrolliert. In Damaskus z. B. ist es für uns sehr schwierig, da wird sehr viel schikaniert. Hier wie dort gibt es eine Menge Probleme, mancherorts regiert schlichtweg die Anarchie. Man weiß nie genau, wer welche Teile eines Gebiets beherrscht.

Was müßte Ihrer Ansicht nach geschehen, damit sich die Lage entspannt?

Die größte Hoffnung wäre natürlich ein Friedensschluß oder zumindest ein vorläufiger Waffenstillstand. Die letzte UN-Resolution vom 20. Februar geht auch in diese Richtung. Sie appelliert an alle Parteien, die humanitäre Hilfe im ganzen Land zu ermöglichen.

Aber beide Kriegsparteien machen die Umsetzung dieses Beschlusses schwer. Auf den Genfer Konferenzen wurde zum Beispiel sehr lange über die Stadt Homs verhandelt. Schließlich wurde eine Vereinbarung für die Zivilbevölkerung getroffen, der die Regierung schon zugestimmt hatte. Letztlich passierte dann nur wenig.

Es ist auch eine geopolitische Frage, welche Staaten stark genug wären, um einen Frieden erzwingen zu können. Allerdings scheinen die Chancen dafür sehr gering zu sein, wenn man sich die aktuelle Konfrontation zwischen Ost und West anschaut. Die Genfer Konferenzen waren jedenfalls eine große Enttäuschung.

Welche Rolle könnte Deutschland spielen?

Wir fordern von der Bundesregierung eine humanitäre Perspektive. Sie muß sich weiterhin auf die Hilfe innerhalb Syriens konzentrieren. Natürlich geht es auch um die 2,5 Millionen Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien. Aber es gibt noch immer 6,5 Millionen Vertriebene in Syrien selbst sowie die vielen Menschen, die in ihrem Heimatort geblieben sind. Ihre Lebensbedingungen sind oft sehr dramatisch.

Zudem muß die erwähnte UN-Resolution durchgesetzt werden. Das ist gegenwärtig auch die Strategie des Auswärtigen Amt, wir unterstützen das. Es sollte sich irgend etwas bewegen, damit unsere Anstrengungen auch Erfolg haben. Deswegen muß der politische Druck größer werden.

Außerdem ist die Hilfe aus der Türkei sehr wichtig, da die Grenzregionen im Norden viel Unterstützung brauchen. Dort ist der Zugang im Prinzip gut gewährleistet. Aber im Moment ist die türkische Seite nicht sehr hilfsbereit und macht Schwierigkeiten bei der Registrierung von Helfern. Auch hier sollte die deutsche Regierung den Druck erhöhen.

Interview: Michael Streitberg

* Aus: junge Welt, Samstag, 15. März 2014


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