Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kampf um Kuneitra

Grenzübergang auf dem Golan angeblich von Dschihadisten eingenommen

Von Karin Leukefeld *

Auf den Golanhöhen zwischen Syrien und Israel sind am Donnerstag nach UN-Angaben 43 Blauhelmsoldaten von einer bewaffneten Gruppe gefangengenommen worden. Man bemühe sich um ihre Freilassung, teilten die UN am Donnerstag mit. Zuvor sollen westlichen und israelischen Medien zufolge islamistische Kampfverbände den Grenzübergang Kuneitra auf den Golanhöhen eingenommen haben. Die Allianz aus der Islamischen und der Nusra-Front habe nach Angaben eines »Aktivisten« den Grenzübergang am Mittwoch morgen angegriffen. Die Kampfverbände hätten die »syrische Armee« attackiert, die den Grenzübergang kontrolliert habe, so der »Aktivist«. Dabei seien 20 Soldaten getötet worden, gab wiederum die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London an. Die Beobachtungsstelle verfügt nach eigenen Angaben über ein weites Netz von »Informanten« in Syrien und ist für westliche Medien meist die einzige Quelle, von der sie über das Geschehen in Syrien erfahren. Weder von der syrischen Armee noch von den Vereinten Nationen wurde der Sachverhalt bestätigt.

Eine UN-Vereinbarung sieht vor, daß sich weder syrische noch israelische Truppen in der Pufferzone auf dem Golan aufhalten dürfen, wo sich der Grenzposten befindet. Die israelische Armee gab an, ein eigener Soldat und ein Zivilist seien bei dem Gefecht »versehentlich« verletzt worden. Man habe mit »hartem Artilleriebeschuß« gegen Stellungen der syrischen Armee reagiert. Ein Armeesprecher sagte allerdings, Israel sei »nicht an einer weiteren militärischen Eskalation« auf dem Golan interessiert.

Der der libanesischen Hisbollah nahestehende Fernsehsender Al-Manar berichtete, Israel habe das Gebiet bombardiert, weil ein israelischer Soldat verletzt worden sei. Erst dann hätten die islamistischen Kämpfer den Grenzübergang eingenommen. Die syrische Armee hat Israel mehrfach beschuldigt, sich zugunsten der »terroristischen Gruppen« in den Kampf in Syrien einzumischen. Die Hisbollah unterstützt die syrischen Streitkräfte im syrisch-libanesischen Grenzgebiet.

Die Nusra-Front, Gruppen, die sich als »Freie Syrische Armee« bezeichnen, und die von Saudi-Arabien und westlichen Geheimdiensten kontrollierte Islamische Front operieren seit Ende 2012 in der UN-Pufferzone. Das Gebiet, das zwischen dem von Israel 1967 besetzten und später annektierten Golan und dem von Syrien 1973 zurückeroberten Teil der Golanhöhen liegt, wird als entmilitarisierte Zone seit 1973 von UN-Friedenstruppen (UNDOF) kontrolliert. Die Mission untersteht dem UN-Sicherheitsrat, der sich zuletzt am 26. August 2014 mit der Lage in der Region befaßte und die UN-Mission im südlichen Libanon (UNIFIL) um ein weiteres Jahr verlängerte.

Syrische Bevölkerung und UN-Truppen wurden seit Ende 2012 wiederholt von Kampfverbänden angegriffen, die aus Jordanien kommend mit Billigung Israels die Pufferzone für ihren Vormarsch in Richtung Kuneitra nutzten. Die Zivilbevölkerung, zumeist Flüchtlinge, die 1967 von den Golanhöhen vertrieben worden waren, wurde angegriffen und verjagt. Wiederholt wurden UN-Soldaten entführt, den Truppen wurden zudem Fahrzeuge, Uniformen und Ausrüstung gestohlen. Österreich zog sich Mitte 2013 aus der UN-Mission zurück. Die philippinische Regierung kündigte vor wenigen Tagen an, ihre Truppen ebenfalls vom Golan abzuziehen. Israel hat wiederholt verletzte Kämpfer in Krankenhäusern auf dem besetzten Golan behandelt, wo sie im Februar 2014 sogar vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu besucht wurden.

Ziel des Vormarsches dürfte sein, das von Kampfverbänden kontrollierte Gebiet in Deraa an der Grenze zu Jordanien im Westen zu erweitern und schließlich von Westen her auf die syrische Hauptstadt Damaskus zu marschieren. Israel ist diesem Ansinnen nicht abgeneigt und läßt die Kampfverbände gewähren. Schon unmittelbar nach der Staatsgründung 1948 hatte Israel versucht, die Drusen dafür zu gewinnen, ihre Siedlungsgebiete im Libanon, auf dem Golan und im Süden Syriens unter israelischem Militärschutz zu vereinen und einen Pufferstaat gegen Damaskus zu bilden. Die Drusen hatten abgelehnt.

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad hat derweil eine neue Regierung ernannt. In zentralen Schlüsselpositionen wie dem Innen- und Außenministerium sowie im Verteidigungsministerium gibt es keine Änderungen. Ministerpräsident bleibt Wael Al-Halki.

US-Geheimdienste haben eingeräumt, daß etwa 300 US-Bürger in den Reihen des »Islamischen Staats« kämpfen. Unbestätigten Berichten zufolge soll die Gruppe von den USA 6,6 Millionen US-Dollar Lösegeld für eine entführte Amerikanerin gefordert haben. Die 26jährige Frau, deren Identität auf Wunsch ihrer Familie geheimgehalten wird, soll in Syrien humanitäre Hilfe geleistet haben.

* Aus: junge Welt, Freitag 29. August 2014


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Syrien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage