Mahnende Worte an syrische Parteien
Lawrow appelliert in Montreux an "historische Verantwortung" / Ban klagt Assad-Regierung an
Von Karin Leukefeld, Montreux *
In aufgeheizter Stimmung haben die Friedensverhandlungen für Syrien in der Schweiz begonnen. Die erste Sitzung, an der Minister aus 30 Staaten teilnahmen, ging ohne konkrete Ergebnisse zu Ende.
Die lange erwartete Syrien-Konferenz in Montreux (Genf II) hatte noch lange nicht begonnen, als im Morgengrauen bereits eine lange Schlange von Journalisten anstand, um sich und ihre Ausrüstung durch die Sicherheitssperre zu schleusen. Begrüßt worden waren sie in der frühen Morgenstunde von Anhängern der syrischen Regierung, die syrische Fahnen schwenkten und ihren Präsidenten Baschar al-Assad und seine Frau mit Parolen und auf Fotos hochleben ließen. »Allah, Syrien und Baschar, mehr brauchen wir nicht«, riefen sie wieder und wieder. Kurz darauf stand der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor der evangelisch-lutherischen Kirche, die sich direkt neben dem Montreux-Palast erhebt, in dem die Syrien-Konferenz am Mittwoch eröffnet wurde, Journalisten Rede und Antwort.
Nach der Begrüßung durch den schweizerischen Präsidenten Didier Burkhalter eröffnete
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Redemarathon des Tages mit mahnenden Worten an beide syrische Delegationen, die die Verantwortung für Frieden in ihrem Land trügen. Die größte Verantwortung komme allerdings der syrischen Regierung zu, sagte Ban. Hätte sie auf die Anliegen des Volkes richtig reagiert, wäre die Konferenz nicht nötig geworden. US-Außenminister John Kerry nutzte einen großen Teil seiner Redezeit, um Assad zu beschuldigen. Er sei weltweit vermutlich der »größte Magnet für Terroristen« und habe keine Zukunft in Syrien, das sei »einfach eine Tatsache«.
Auch Steinmeier wies die Hauptverantwortung für den Krieg in Syrien der syrischen Regierung zu, ohne allerdings Assad namentlich zu erwähnen. Gleichzeitig lobte er »die Anstrengungen der Gruppen der syrischen Opposition, gegen die Gruppen von Al Qaida« zu kämpfen.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach von einer historischen Verantwortung für Frieden, die jeder der Anwesenden trage. Außenstehende Akteure sollten sich mit Interpretationen zum Ausgang der Gespräche zurückzuhalten, verlangte Lawrow. Den Staaten im Mittleren Osten und in Nordafrika dürften keine Regierungsmodelle übergestülpt werden, die »die Uhr zurückdrehen« würden. Lawrow verwies zudem auf die Lage der Christen, die in Syrien 2000 Jahre friedlich gelebt hätten. Er hoffe, dass innermuslimische Konflikte beigelegt werden, damit der Islam eine gute Rolle in der multipolaren Welt spielen könne.
Der
syrische Außenminister Walid Mouallem beschrieb ausführlich die Schrecken, die wahhabitische Söldner über die Zivilbevölkerung gebracht hätten. Sie versuchten, Syrien um tausend Jahre zurückzuwerfen. Mouallem beschuldigte die Nachbarstaaten, insbesondere die Türkei, eine Mitverantwortung an dem Krieg in Syrien zu tragen. Sie hätten ihre Grenzen nicht gegen das Einsickern von Kämpfern und Waffen geschlossen, wie gute Nachbarn es tun sollten. Als er vom UNO-Generalsekretär ermahnt wurde, seine Redezeit einzuhalten, entgegnete Mouallem, nach drei Jahren Leid sei es sein gutes Recht zu sprechen.
Ahmad al-Dscharba, der die Delegation der oppositionellen Nationalen Koalition anführt, nutzte den am Vortag der Konferenz veröffentlichten Bericht über angebliche Folter in syrischen Gefängnissen, um die Verbrechen der syrischen Regierungstruppen mit denen der Nazis zu vergleichen. Assad, den er einen Terroristen nannte, müsse zum Rücktritt gezwungen werden, das sei weiterhin das Ziel seiner Delegation.
Der Präsident der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, bezeichnete es im Gespräch mit »nd« als »großen Fehler, dass Iran nicht eingeladen« wurde. Wichtiger aber sei die Teilnahme der oppositionellen Nationalen Koalition, die in Genf zu direkten Gesprächen mit der syrischen Regierungsdelegation kommen müsse. Jabbour kritisierte die Abwesenheit »vieler respektabler Vertreter der syrischen Opposition«. Es sei eindeutig ein Fehler der UNO gewesen, die verschiedenen Gruppen der Opposition nicht zu einem gemeinsamen Vorbereitungstreffen eingeladen zu haben.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 23. Januar 2014
»Gespräche in Montreux sollten torpediert werden«
In der Schweiz hat die Friedenskonferenz zu Syrien begonnen. Folterbilder belasten das Gesprächsklima. Gespräch mit Heike Hänsel
Heike Hänsel ist Bundestagsabgeordnete der Linkspartei **
Am gestrigen Mittwoch hat in der Schweizer Stadt Montreux die Syrien-Friedenskonferenz begonnen. Sie haben gemeinsam mit anderen vor dem Tagungsort protestiert – wer waren Ihre Mitstreiter und wie ist die Aktion abgelaufen?
Ich war eine von ungefähr 50 Friedensaktivistinnen, die schon Anfang der Woche in Genf zu einer Konferenz zusammengekommen waren – Motto: »Frauen führen in den Frieden«. Veranstalter war u.a. Codepink, eine feministische Friedensorganisation aus den USA. Dabei waren auch die Friedensnobelpreisträgerinnen Mairead Maguire aus Irland und Shirin Ebadi aus dem Iran.
Unsere zentrale Forderung ist ein sofortiger Waffenstillstand für Syrien. Das ist die Bedingung für eine politische Lösung dieses Konfliktes. Die zweite Forderung ist, daß wir eine breite Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Gruppen, wie von Friedens- oder Frauenorganisationen an den Verhandlungen brauchen.
Welche könnten das sein?
Zum Beispiel die »Syrische Frauenplattform«. Sie hat konkrete Vorschläge; sie hat zehn Punkte formuliert, wie man Frieden schaffen könnte – wenn es denn einen Waffenstillstand gäbe. Der muß aber zuallererst zwischen den bewaffneten Gruppen ausgehandelt werden, bevor man sich auf eine Übergangsregierung einigt. Vor allem ist wichtig, daß die Syrerinnen fordern, daß sie auch entsprechend an diesem Prozeß beteiligt werden.
Ist es nicht blauäugig zu glauben, daß sich mit militanten Gruppen wie der Al-Nusra-Front über einen Frieden diskutieren läßt?
Als erstes muß ich kritisieren, daß zu den Verhandlungen in Montreux nicht alle eingeladen wurden, die in diesem Konflikt eine Rolle spielen – der Iran zum Beispiel. Ohne ihn wird eine politische Lösung schwierig sein. Daß sich die UN dem Druck der USA und der syrischen Opposition gebeugt hat, indem sie den Iran auslud, halte ich für inakzeptabel.
Zum zweiten kann man die Konferenz anders organisieren. Es müssen nicht immer alle an einem Tisch sitzen, und es muß auf jeden Fall die syrische Zivilgesellschaft vertreten sein. Es gibt etliche demokratische Gruppen, die beteiligt sein wollen, zum Teil auch Organisationen wie »Rebuilding the Syrian State«. Aber auch Frauengruppen, wie die eben erwähnte »Syrische Frauenplattform«. Und drittens: Alle Waffenlieferungen an die Konfliktparteien müssen umgehend eingestellt werden.
Diese Gruppen kommen hier in Montreux nicht zu Wort, obwohl sie an Ort und Stelle vertreten sind und konkrete Vorschläge für einen Friedensprozeß einbringen könnten. »Friedensprozeß« heißt mehr, als nur mit bewaffneten Gruppen zu verhandeln. Es ist doch so, daß sich einige von ihnen buchstäblich den Weg zum Verhandlungstisch freigeschossen haben. Es kann nicht sein, daß man nur dann ernst genommen wird, wenn man bewaffnet ist.
Am Dienstag berichteten Medien, es gebe Folter- und Leichenbilder aus syrischen Gefängnissen. Was denken Sie, wie sich das auf die Verhandlungen auswirkt?
Ich denke, daß diese Bilder vor Beginn der Verhandlungen gezielt gestreut wurden. Zu allererst sollte die Quelle überprüft werden, ich vermute mal, daß diese Veröffentlichungen die Gespräche gezielt torpedieren sollten.
Die Bilder stehen nun leider im Vordergrund, als ich mit dem deutschen Botschafter sprach, ging er auch als erstes auf dieses Thema ein. Foltervorwürfe muß man natürlich immer ernst nehmen, das ist klar. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß der US-Geheimdienst CIA zahlreiche Foltergefängnisse in vielen Ländern unterhalten hat – auch in Syrien.
Interview: Roland Zschächner
** Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. Januar 2014
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