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Beginn der syrisch-syrischen Gespräche in Genf mit Hindernissen

Ein Porträt der syrischen Delegation. Von Karin Leukefeld, Genf *

Von Karin Leukefeld, Genf *

Die schwierigen Ausgangsbedingungen der syrisch-syrischen Genf II-Gespräche und eine Medienoffensive der oppositionellen Nationalen Koalition haben am Freitag zu einer Verzögerung des anberaumten Gesprächsbeginns geführt. Am schweizerischen Sitz der Vereinten Nationen in Genf wollte der Sondervermittler von UNO und Arabischer Liga, Lakhdar Brahimi, am späten Vormittag beide Delegationen begrüßen und den beabsichtigten Ablauf der ersten Gesprächsrunde skizzieren. Aber bereits am Vorabend hatte der Leiter der Delegation der Nationalen Koalition, Ahmed Jarba, bei einer Pressekonferenz erneut Öl ins Feuer gegossen. Jarba stellte wie schon bei seiner Rede in Montreux den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in den Mittelpunkt seiner Kritik und sagte „das Regime ist tot und das Beste, was man mit Toten tun kann, ist sie zu beerdigen“. Am Freitagmorgen dann legte Jarba nach und erklärte, man sei nicht bereit, die Regierungsdelegation zu treffen. „Wir haben dem UN-Vermittler (Brahimi) gesagt, er solle das Regime dazu bringen, die Genf I Vereinbarung zu unterschreiben. Wir werden sie nicht treffen, bis sie das getan haben“, so Jarba. Mit der gleichen Forderung hatte die Nationale Koalition im Vorfeld der Gespräche die Teilnahme des Irans verhindert.

Der syrische Leiter der Regierungsdelegation und Außenminister Walid Mou’allem erklärte daraufhin, er und seine Delegation würden am Samstag abreisen, sollten bis dahin nicht ernsthafte Gespräche begonnen haben. Bouthaina Schaaban, Beraterin von Präsident Bashar al-Assad und Mitglied der Regierungsdelegation, hatte in verschiedenen Interviews erklärt, die Tatsache, dass man zu den Gesprächen gekommen sei, zeige, dass man das Genf I Abkommen anerkenne. Doch sei seitdem viel Zeit vergangen und die Vereinbarung müsse der Realität Rechnung tragen. „Die Wiederherstellung von Sicherheit und ein Ende des Terrorismus müssen an erster Stelle stehen“. Terrorismus werde „nie aufhören, bis die Staaten, die die Terroristen finanzieren und bewaffnen garantieren, dass das aufhört.“ Politische Beobachter vermuten, dass die Nationale Koalition die syrische Regierungsdelegation zur Abreise drängen und die Gespräche zum Scheitern bringen will. Auffällig ist, dass keine der Stellungnahmen der Koalition sich auf die von der UNO vorgeschlagenen Verhandlungspunkte bezieht.

Der Syrien-Beauftragte von UNO und Arabischer Liga Brahimi passte seine Verhandlungsstrategie an und traf sich, wie schon am Donnerstag mit beiden Delegationen getrennt, um über den Fortgang zu beraten. Am Abend bestätigte Brahimi dann auf einer Pressekonferenz, dass die Gespräche am Samstag wie geplant beginnen würden. Beide Parteien würden sich im gleichen Raum treffen, eine Gesprächsrunde sei für den Vormittag, die nächste für den Nachmittag vorgesehen, das gleiche gelte für Sonntag. Beide Delegationen als auch die Regierung seien sich der Verantwortung bewusst. „Auch diejenigen, die die eine oder andere Seite unterstützen müssen den Ernst der Gespräche verstehen und unterstützen“, appellierte Brahimi. Über die vereinbarten Themen wollte Brahimi nicht sprechen. Doch werde die erste Gesprächsrunde sich um “praktische Fragen” drehen, “um die Diskussion zu erleichtern“.

Wer verhandelt in Genf?

Mit Außenminister und Vizepräsident Walid Mou’allem, seinem Vertreter Feisal Mekdad und Bashar al-Jaafari, dem amtierenden syrischen UNO-Botschafter hat die Regierung in Damaskus ihre höchsten Diplomaten nach Genf entsendet. Sowohl Mou’allem als auch Mekdad waren vor ihrer Amtseinnahme im Außenministerium UNO-Botschafter in New York. Al-Jaafari war bereits unter dem früheren Präsidenten Hafez al-Assad Botschafter in Frankreich und am Sitz der Vereinten Nationen in Genf. Der syrischen Delegation gehören weiterhin die Präsidentenberaterin Bouthaina Schaaban und Omran Zorbi, der syrische Informationsminister an. Luna al-Shibl ist Medienberaterin von Präsident Bashar al-Assad. Die ausgebildete Journalistin Al-Shibli hat ihr Handwerk beim katarischen Fernsehsender Al Dschasira gelernt. Alle Mitglieder der Regierungsdelegation dürften das Vertrauen von Präsident Bashar al-Assad sowie vermutlich auch des Militärs und der Geheimdienstführung genießen.

Die Delegation der oppositionellen Nationalen Koalition wird von Ahmad Jarba geführt. Der 1969 im nordsyrischen Khamishly geborene Jarba gehört dem arabischen Shammar-Stamm an, der von Irak, über Iran, Jordanien bis Saudi Arabien lebt. Jarba war zwei Mal in Syrien inhaftiert, verließ das Land 2011 und wurde im Sommer 2013 zum zweiten Mal als Präsident der Nationalen Koalition wieder gewählt. Mit Unterstützung Saudi Arabiens gilt Jarba als einer der zentralen Organisatoren für Waffenlieferungen nach Syrien. Weiteres prominentes Mitglied der Verhandlungsgruppe der oppositionellen Koalition ist Haitham Maleh. Der 1931 geborene Maleh war im März 2011 aus syrischer Haft freigelassen worden und leitet die Rechtsabteilung der Nationalen Koalition. Am 30. Januar 2012 machte Maleh mit Äußerungen im britischen Telegraph von sich reden. (Der syrische Präsident Bashar al) „Assad und seine Familie werden in Syrien umgebracht“, sagte Maleh in dem Interview. „Sein Ende wird sein, dass er getötete wird, wie Gaddafi“.

Die Syrische Muslimbruderschaft ist in der Delegation (Nazir Hakim) ebenso vertreten, wie der Kurdische Nationalrat, ein Gremium, dass als Bündnispartner der Nationalen Koalition mit Hilfe der irakischen Kurden und der Türkei eingesetzt worden ist. Als Vertreter des KNC ist Abdulhamid Darwish (Jg. 1936) nach Genf gekommen. Darwish ist Gründer der Kurdischen Demokratischen Fortschrittspartei in Syrien, die er Anfang der 1990iger Jahre auch im syrischen Parlament vertrat. Als weiterer Kurde nimmt Ibrahim Berro an der Delegation teil.

Als „unabhängiger“ Vertreter in der Delegation der Nationalen Koalition wird der Journalist Autor und Übersetzer Michel Kilo geführt, der u.a. in München und Münster studiert hat. Kilo hat für sein politisches Engagement 8 Jahre im Gefängnis verbracht. 2011 organisierte er mit anderen Oppositionellen die erste offizielle und öffentliche Konferenz in Damaskus, hat sich im Laufe der Jahre aber von verschiedenen seiner Mitstreiter getrennt. Zuletzt verließ Kilo das Demokratische Forum, dass seine Entscheidung, der Nationalen Koalition beizutreten, nicht teilt. Im August 2013 sagte Kilo nach dem Einsatz von Giftgas im Umland von Damaskus, die USA müsse Syrien jetzt endlich angreifen, damit „das Syrische Volk endlich in Freiheit“ leben könne.

Der Generalsekretär der Koalition, Badr Jamus (Jg. 1968) ist Arzt und Geschäftsmann und war 10 Jahre lang der Honorarkonsul Syriens in der Republik Moldawien. Der IT-Manager Anas Abdé (Jg. 1967) lebt in Großbritannien, wo er in verschiedenen syrischen Oppositionsgruppen aktiv war, bevor er erst dem Syrischen Nationalrat, dann der Nationalen Koalition beitrat. Souhair Ataasi ist mit Rima Flihan (Lokale Koordinationskomitees) eine der zwei Frauen, die der Delegation der Nationalen Delegation angehören. Manche Medien berichten von einer dritten weiblichen Teilnehmerin, Nora al-Amir (Homs). Die 1971 in Damaskus geborene Souhair Atassi ist Vizepräsidentin der Nationalen Koalition. Sie engagierte sich im Damaszener Frühling und ist bekannt für ihre Diskussionsforen. Sie verließ Syrien nach einer Inhaftierung 2011. Mohamad Houssam Hafez war bis 2012 Mitarbeiter im Syrischen Außenministerium, bevor er das Land verließ. Er hatte ein Forschungsstipendium an dem mit US-Geldern finanzierten Syrischen Zentrum für politische und strategische Studien (London), das seit 2011 maßgeblich für die Öffentlichkeitsarbeit der Auslandsopposition verantwortlich war. Heute hat Hafez eine Gastprofessur an der Katar Universität in Doha.

* Dieser Beitrag erschien - gekürzt unter dem Titel "Fehlstart in Genf" in der "jungen Welt" vom 25. Januar 2014


Syriens Opposition verweigert Dialog

Noch kein Minimalkonsens für Verhandlungen / Damaskus-Vertreter: Rücktritt Assads ist eine Illusion

Von Karin Leukefeld, Genf **


Nach monatelangem Tauziehen haben in Genf endlich die syrischen Friedensverhandlungen begonnen. Doch schon am ersten Tag sieht es nicht so aus, als sei eine Einigung in absehbarer Zeit möglich.

Die syrisch-syrischen Gespräche in Genf sind am Freitag nur mit Schwierigkeiten in Gang gekommen. Vorgesehen war ein Eröffnungstreffen um 11 Uhr am Sitz der Vereinten Nationen, bei dem der Sondervermittler von UNO und Arabischer Liga, Lakhdar Brahimi, beide Delegationen begrüßen und den beabsichtigten Ablauf der ersten Gesprächsrunde skizzieren wollte. Anschließend sollten sich die Delegationen in getrennte Räume zurückziehen, um über die Themen zu beraten, die seitens der UNO sowie von Russland und den USA vorgeschlagen worden waren. In den folgenden Stunden wollten Brahimi und Mitarbeiter seines Verhandlungsteams zwischen den Räumen hin- und herpendeln. Unterstützt wurde dieses Konzept von den Delegationen der USA und Russlands, die jeweils von stellvertretenden Außenministern geleitet werden. Ziel der ersten Runde war, die Delegationen schließlich in einem Raum zusammenzuführen und nach möglicherweise acht bis zehn Tagen erste Ergebnisse zu präsentieren.

Das mühsam über Monate hin ausgearbeitete Szenario wurde bereits am Vorabend durch oppositionelles Störfeuer in Frage gestellt. Der Leiter der Delegation der Nationalen Koalition, Ahmed al-Dscharba, hatte am Donnerstagabend bei einer Pressekonferenz erneut die Bildung einer Übergangsregierung ohne Präsident Baschar al-Assad gefordert. »Das Regime ist tot, und das Beste, was man mit Toten tun kann, ist, sie zu beerdigen«, sagte Dscharba. Am Freitagmorgen erklärte Dscharba dann, man werde die Regierungsdelegation nicht treffen. Brahimi müsse »das Regime dazu bringen, die Genf-I-Vereinbarung zu unterschreiben. Wir werden sie nicht treffen, bis sie das getan haben«, sagte er.

Allerdings kursieren in Genf unterschiedliche Texte darüber, was einst mit Genf I vereinbart worden sei. Während die Opposition darauf besteht, dass Assad einer Übergangsregierung nicht angehören könne, vertritt Damaskus die Position, dass eine Regierung der Nationalen Einheit unter Einbeziehung der Opposition gebildet werden solle. Vizeaußenminister Faisal Mekdad bezeichnete die Idee eines Rücktritts Assads am Freitag als »Illusion« und sagte, Ziel sei eine erweiterte Einheitsregierung.

Mekdad erklärte weiter, seine Regierung sei bereit, Genf I anzuerkennen, die Beraterin Assads, Bouthaina Schaaban, fügte hinzu, die Tatsache, dass die Regierungsdelegation nach Genf gekommen sei, belege, dass man die Vereinbarung akzeptiere. In verschiedenen Interviews machte Schaaban darüber hinaus klar, dass das Abkommen, das im Juni 2012 getroffen worden war, der Realität angepasst werden müsse. Im Interesse der Syrer müssten »die Wiederherstellung von Sicherheit und ein Ende des Terrorismus an erster Stelle« stehen, sagte sie.

Der syrische Minister für Nationale Versöhnung, Ali Haidar, erklärte derweil, dass diejenigen, die sich in Genf als Opposition bezeichneten, in Syrien nicht vertreten seien. »Sie sprechen die Sprache der Golfstaaten und der USA«, sagte Haidar, der Präsident der Syrischen Sozialen Nationalen Partei (SSNP) ist. Die SSNP war bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 erstmals mit eigenen Abgeordneten ins Parlament gewählt worden. Angesichts der zunehmenden Gewalt in Syrien hatte sie sich mit einer anderen Oppositionspartei zur Beteiligung an einer Regierung der nationalen Einheit bereit erklärt. Wie andere innersyrische Oppositionsparteien war auch die SSNP nicht zu den Gesprächen in Genf eingeladen worden.

Die Genf-I-Vereinbarung, wird von Beobachtern immer wieder erwähnt, fuße auf dem Sechs-Punkte-Plan des früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan, dem Vorgänger des amtierenden Syrien-Vermittlers Brahimi. An erster Stelle des umfangreichen Dokuments stehen ein sofortiges Ende der bewaffneten Gewalt in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, die Freilassung von Gefangenen, landesweite Bewegungsfreiheit für Journalisten, die Zulassung von Vereinigungen, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, humanitäre Hilfe und freier Zugang für Hilfsorganisationen in alle Kampfgebiete. Der Übergangsprozess muss demnach in gegenseitigem Einvernehmen von Opposition und Regierung von den Syrern selber geführt werden, heißt es weiter. Dieser Prozess müsse in einem »Klima der Sicherheit für alle, der Stabilität und Ruhe« stattfinden.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 25. Januar 2014


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