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Giftgasproduktion mit deutscher Hilfe

Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Firmen nach Lieferungen an Syrien *

Erneut muss sich die Bundesregierung zum Anteil deutscher Unternehmen an der Giftgasproduktion Syriens äußern. Damaskus hatte 2013 unter internationalem Druck seine Bereitschaft erklärt, die Vorräte an entsprechenden Waffen zu vernichten. Dieser Prozess ist seit Jahresbeginn im Gange. Aus Erklärungen, die die syrische Regierung in diesem Zusammenhang gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen machte, geht hervor, dass zwischen 1982 und 1993 mindestens 50 Lieferungen deutscher Firmen mit potenziellen C-Waffen-Komponenten an Syrien gegangen sind. Die bundesdeutsche Beteiligung an der Aufrüstung des Landes mit C-Waffen war bereits im Herbst nach einer Kleinen Anfrage der LINKEN im Bundestag bekannt geworden.

Die Generalbundesanwaltschaft ermittele derzeit, ob deutsche Firmen Materialien zum Aufbau des syrischen Giftgas-Programms geliefert haben, bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Mittwoch. Das Ministerium reagiere damit auf Medienberichte, unter anderem des Norddeutschen Rundfunks. Das Mitglied der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages Jan van Aken sprach sich gegenüber »nd« dafür aus, die Namen der involvierten deutschen Firmen bekanntzugeben. Seine große Sorge sei, dass gesagt werde: »Hier und da gab es vielleicht einen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, aber das ist lange verjährt. Das, finde ich, darf nicht passieren, denn es handelt sich hier nicht um einen lapidaren Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, sondern um Beihilfe zum Mord.« Auch die Grünen forderten, die Regierung dürfe sich nicht hinter dem Geschäftsgeheimnis der Firmen verstecken. roe

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. März 2014


"Das war Beihilfe zum Mord"

Jan van Aken (LINKE), forderte Aufklärung über Anteil deutscher Firmen am Giftgas-Programm Syriens **

Deutsche Firmen sollen Anlagen und Chemikalien zum Aufbau des syrischen Giftgas-Programms geliefert haben. Das geht aus einem Papier der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen hervor, über das unter anderen der Norddeutsche Rundfunk berichtete. Darüber sprach mit Jan van Aken, Linksfraktionsmitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, für »nd« Roland Etzel.

Es wurde gemeldet, dass die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) das Auswärtige Amt informiert hat über Lieferungen aus der Bundesrepublik für die Produktion von Giftgas bzw. für das Gas selbst. Was beabsichtigt die OPCW mit dieser Meldung?

Gar nichts, das ist normale Routine. Nachdem Syrien 2013 der Chemiewaffenkonvention beigetreten ist, musste es eine Mitteilung an die OPCW über sein bisheriges Chemiewaffenprogramm machen. Diese Meldung muss extrem detailliert sein und genau Produktionsmittel und deren Standorte beschreiben. Zu dieser Beschreibung gehört, das kenne ich so aus dem Irak, eine genaue Auflistung aller Einzelteile, die bei der Giftgas-Produktion verwendet wurden, einschließlich Lieferdatum, Lieferland und Lieferfirma. Dies hat die OPCW nun an die jeweiligen Ländern weitergegeben.

Die Lieferung dieser Ausrüstungen und Materialien, heißt es in einer epd-Meldung ein bisschen fischig, war nicht verboten, und es hätte größtenteils keine Genehmigungspflicht bestanden. Das heißt im Umkehrschluss, für einige hätte doch Genehmigungspflicht bestanden?

Es wundert mich, wenn jetzt irgendwer sagt, die Lieferung war nicht verboten. Dafür ist es es zu früh, denn meines Wissens hat außerhalb des Ministeriums noch niemand diese Liste, ich kenne sie auch nicht. Aber es handelt sich, den Informationen der »Süddeutschen Zeitung« zufolge, offenbar um einen Zeitraum bis 1993. Eine derartige Schlussfolgerung ist deshalb für mich im Moment reine Spekulation.

Das heißt, das Auswärtige Amt, dem die Unterlagen jetzt vorliegen, hätte die Pflicht, Firmen, die gegen geltendes Gesetz verstoßen haben, der Justiz zu melden?

Das tut es auch, genau darüber haben wir es ja überhaupt nur herausbekommen. Wir von der LINKEN hatten eine Kleine Anfrage im Bundestag gestellt, in der wir zum Beispiel wissen wollten, ob es Informationen gibt, die jetzt an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden. Das ist der einzige öffentliche Beleg dafür, den ich habe, dass tatsächlich deutsche Firmennamen auf dieser Liste auftauchen.

Meine große Sorge ist, dass gesagt wird: Hier und da gab es vielleicht einen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, aber das ist lange verjährt. Das, finde ich, darf nicht passieren, denn es handelt sich hier nicht um einen lapidaren Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, sondern um Beihilfe zum Mord.

Handelt es sich bei den gelieferten Komponenten um Stoffe, die eindeutig zur Giftgas-Produktion dienen oder sogenannte Dual-use-Produkte, die man auch zum Beispiel für die Zahnpastaherstellung hätte verwenden können?

Beides, diese Liste hat Syrien erstellt. Alle Dinge, die auf ihr stehen, wurden nicht vielleicht, sondern tatsächlich in der Sarin-, in der Giftgas-Produktion eingesetzt. Es ist also nicht die Frage, ob sie vielleicht für Zahnpasta eingesetzt wurden oder nicht. Syrien hat in seiner Meldung an die OPCW nicht die Zahnpastaproduktion aufgeführt, sondern ausschließlich Sarin- oder Senfgas-Produktion.

Auf der anderen Seite sind im Chemiewaffenbereich fast alles Dual-Use-Güter, das heißt die Firmen können sich immer darauf beziehen und sagen, sie dachten ja, damit soll etwa ein Pestizid hergestellt werden. Aber ganz faktisch steht außer Frage, dass es für die Giftgas-Produktion eingesetzt wurde.

Ist das alles erst durch die Anfrage der LINKEN in Gang gekommen?

Ja, ohne unsere Frage wäre das jetzt überhaupt nicht ans Tageslicht gekommen.

Hat das Folgen auf die gerade laufende Vernichtung der syrischen Giftgas-Bestände, bei der auch Deutschland beteiligt ist?

Nein. Aber wir haben immer schon gesagt, Deutschland trägt eine Verantwortung, weil es diese Dual-Use-Güter noch bis 2011 geliefert hat.

Wie muss man sich die deutsche Rolle bei der syrischen Chemiewaffenproduktion vorstellen? Es werden ja auch noch andere Länder als Lieferanten genannt wie China und die Sowjetunion bzw. Russland.

Um das beurteilen zu können, müsste ich erst einmal die deutsche Liste sehen und auch die Gesamtaufstellung der OPCW, um die Beiträge anderer Länder zum Waffenprogramm ermessen zu können.

Bei Irak und in Libyen war es damals tatsächlich so, dass Deutschland eine zentrale Rolle hatte, weil es die gesamten Anlagen errichtet hatte. Das kann ich jetzt bei Syrien nicht einschätzen, ohne dass ich die genauen Daten kenne.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. März 2014


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