Vernichtung der syrischen Chemie-Waffen - Bewusste Verzögerung?
Ein Beitrag von Alexander Drechsel in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator):
Syrien hat sich im vergangenen Jahr verpflichtet, seine Chemie-Waffen komplett zu vernichten. Mitte des Jahres sollte dieser Prozess eigentlich abgeschlossen sein. Doch der Zeitplan ist ins Rutschen geraten. Zu den Hintergründen – Alexander Drechsel:
Manuskript Alexander Drechsel
Der Zeitplan war ambitioniert – zu ambitioniert! Bis zum vergangenen Mittwoch hätte Syrien alle seine Chemiewaffen und deren Vorprodukte außer Landes schaffen müssen. Hätte!
Anstatt der rund 1.300 Tonnen sind bislang gerade einmal gut 50 Tonnen verladen worden. Das heißt: Noch immer sind etwa 96 Prozent der todbringenden Chemikalien in Syrien.
Trotz dieses eklatanten Verstoßes gegen international zugesagte Verpflichtungen gibt es keinen Aufschrei - überhaupt ist es auffällig still um die Vernichtung der syrischen C-Waffen geworden. Die federführende Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW), die im vergangenen Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist jetzt zurückhaltender als im Dezember – damals, als der Zeitplan zur Vernichtung der Kampfstoffe noch realistisch erschien. Der Pressesprecher der OPCW, Michael Luhan, war voll des Lobes für den ausgearbeiteten Plan.
O-Ton Luhan (overvoice)
„Die gesamte Operation ist einzigartig. Nie zuvor wurden Massenvernichtungswaffen in einem Land abgerüstet, das sich mitten in einem bewaffneten Konflikt befindet. Sie müssen aus dem Kampfgebiet herausgebracht und auf See vernichtet werden. All das ist neu. Es ist eine äußerst bemerkenswerte multinationale Anstrengung. Es ist ein Zusammenspiel von Diplomatie, Finanzierung, Technologie, speziellem Fachwissen und Verifikation."
In der Tat war und ist die internationale Kraftanstrengung beeindruckend: Die USA haben die CAPE RAY auf die Reise in Richtung Mittelmeer geschickt. An Bord des Spezialschiffes der US-Navy sollen auf hoher See in einer Hydrolyseanlage die meisten der C-Waffen vernichtet werden.
Neben den USA sind noch weitere Staaten an der Operation beteiligt. Da das US-Militär die Kampfstoffe und deren Vorprodukte nicht selber im syrischen Hafen von Latakia aufnehmen kann, haben Dänemark und Norwegen zwei Schiffe gechartert, die die Fracht in den süditalienischen Hafen Gioia Tauro bringen, wo die Container mit den Chemikalien dann auf die CAPE RAY umgeladen werden sollen. Geschützt werden die skandinavischen Frachter von Kriegsschiffen aus Dänemark, Norwegen, Großbritannien, China und Russland.
Moskau ließ zudem Allrad-Laster und gepanzerte Fahrzeuge ins Bürgerkriegsland fliegen, die von syrischen Soldaten in den Lagerstätten mit C-Waffen beladen und in den Hafen von Latakia gefahren werden sollen.
Außer auf der CAPE RAY sollen auch in Großbritannien und in Deutschland C-Waffen-Komponenten oder Abfallprodukte aus dem eigentlichen Vernichtungsprozess umweltgerecht entsorgt werden. Etwa ein Dutzend Länder haben zudem in Sonderfonds eingezahlt.
Es ziehen also viele Staaten an einem Strang - und trotzdem hinkt die Operation dem Zeitplan hoffnungslos hinterher. Bislang haben die beiden Frachter bei zwei Verladeoperationen im Abstand von drei Wochen lediglich 18 Container aufgenommen. Ginge es in diesem Tempo weiter, wären alle syrischen Kampfstoffe erst in etwa drei Jahren eingeschifft.
Auch der Vernichtungsprozess an Bord der CAPE RAY beinhaltet zeitliche Unsicherheiten erklärt der Chemiewaffenexperte Jean Pascal Zanders:
O-Ton Zanders (overvoice)
„Im US-Plan ist der sogenannte ‚Sea State‘ berücksichtigt. Darunter versteht man eine Kategorisierung, um Wellenhöhe und Windstärke einzuordnen. Der Zerstörungsprozess kann innerhalb der ‚Sea States‘ 0 und 1 beziehungsweise bis maximal 2 gewährleistet werden. ‚Sea State‘ 2 sind Wellen bis zu einem halben Meter. Die sichere Lagerung ist bis zu ‚Sea State‘ 4 möglich, das entspricht zweieinhalb Metern Wellenhöhe. Der eigentliche Zerstörungsprozess sollte in wirklich ruhigen Seastates stattfinden, also zwischen Null und Eins, was keinerlei Wellengang oder 10 bis 15 Zentimetern hohen Wellen entspricht. Die Ursache dafür ist, dass im Laufe der Bedienung Behälter mit den (giftigen) Flüssigkeiten in die Hydrolyseeinheit eingesetzt werden müssen. Dieses Verfahren ist anfällig und die Sicherheit des Personals, das die Maschinen bedient, muss im Mittelpunkt stehen."
Für den eigentlichen Vernichtungsprozess auf der CAPE RAY haben US-Militär und OPCW - wenn alles glatt läuft - 45 Tage eingeplant. Doch derzeit läuft eben nicht alles glatt und die Kosten steigen mit jeder weiteren Verzögerung. Das norwegische Verteidigungsministerium beziffert allein die bisherige Charter für eines der beiden Containerschiffe auf umgerechnet knapp fünf Millionen Euro - der Einsatz der norwegischen Fregatte ist nicht mitgerechnet!
Nun wird die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen sicherlich nicht am Geld scheitern. Die Frage lautet vielmehr, wie dehnbar der politische Geduldsfaden ist.
Noch überwiegen die diplomatischen Töne - so etwa beim norwegischen Verteidigungsministerium - Zitat:
Zitat
„Norwegen ist fest entschlossen, an der Umsetzung der Beschlüsse der OPCW und des UN-Sicherheitsrats beizutragen. Wir haben große Flexibilität gezeigt – wir sind uns des außergewöhnlichen Charakters der Operation und der schwierigen Sicherheitslage in der Arabischen Republik Syrien bewusst. Wir hoffen, dass alle anderen Parteien weiterhin das gleiche Engagement zu zeigen. Weitere Verzögerungen sollten vermieden werden."
Hinter den Kulissen wächst aber der Unmut. So veröffentlichte das US-Außenministerium Details aus einer Sitzung des OPCW-Exekutivrats vor anderthalb Wochen. Demnach stellt das syrische Regime neue Forderungen: So etwa Detektoren für Sprengfallen, um die Transportwege durchs Kriegsgebiet zu überprüfen. Auch weigere sich das syrische Militär, spezielle Hangar oder unterirdische Anlagen zu sprengen, in denen ehemals C-Waffen produziert oder gelagert wurden.
Es ist aber fraglich, ob die Schuld allein bei den Syrern zu suchen ist. Wahrscheinlich haben die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen und andere Planer auch die Widrigkeiten des syrischen Bürgerkriegsszenarios unterschätzt. Offensichtlich ist sowohl der Transport als auch der Zugang zu den Lagern durch die Frontlinien schwieriger als gedacht. Als Hinweis kann gelten, dass die Inspektoren der OPCW eine der insgesamt 23 Lagerstätten für C-Waffen, die das syrische Regime benannt hatte, immer noch nicht untersucht haben. Über die Gründe kann wegen der restriktiven Informationspolitik der OPCW in diesem Punkt nur gemutmaßt werden.
Die OPCW hält aber trotz der Widrigkeiten am Zeitplan fest, dass bis Mitte des Jahres alle Chemiewaffen zerstört sein sollen, sagte jedenfalls Pressesprecher Luhan NDR Info in dieser Woche:
O-Ton Luhan (overvoice)
„Es gibt keine Diskussion oder Anregung, dass der 30. Juni als Termin für das Fristende verschoben werden sollte. Nach unserer Einschätzung ist dieser Termin haltbar."
Festzuhalten bleibt aber, dass der syrischen Armee offenbar schon jetzt die Fähigkeit genommen wurde, Chemiewaffen einzusetzen. Schon wenige Wochen nach Beginn der Operation im Oktober meldete die OPCW, dass Produktionseinrichtungen, Füllanlagen und Kampfstoffmunition unwiederbringlich zerstört worden seien.
Der internationalen Gemeinschaft und vor allem Syriens Verbündeten Russland wird das auf Dauer aber nicht reichen. Immerhin war es Moskau, das zwischen dem Westen und dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad aktiv vermittelte, um einen drohenden US-Militärschlag gegen Assad abzuwenden. So konnten die Strategen im Kreml verhindern, dass ihr Einfluss in der Region ins Wanken geraten könnte. Sollte Assad aber weiterhin auf Zeit spielen, riskiert er, von seinem langjährigen Verbündeten Russland fallen gelassen zu werden.
* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 8. Februar 2014; www.ndr.de/info
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