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Chef der Exilopposition startet Charmeoffensive

Von Karin Leukefeld *

Mit einem »Klick« ist Syriens Präsident Baschar Al-Assad weg. Wenn man die englischsprachige Webseite der Exilopposition »Nationale Koalition für die syrischen revolutionären und oppositionellen Kräfte« (www.etilaf.org) aufruft, wird man erst einmal zum Handeln aufgefordert. In einem roten Kreis ist der Kopf des verhassten syrischen Staatschefs abgebildet und mit einem roten Balken durchgestrichen. »Genug mit Assad«, heißt es da, und wer sich dieser Meinung anschließen möchte, soll einen »Klick« machen. Mit »Das gefällt mir« lässt sich die Botschaft per Twitter und Facebook weiter verbreiten.

Der im Januar 2015 mit knapper Mehrheit zum Präsidenten der »Nationalen Koalition« gewählte Khaled Khoja schlug kürzlich im Élysée-Palast beim Empfang durch den französischen Präsidenten François Hollande neue Töne an. Der Rücktritt von Assad solle »keine Vorbedingung« mehr für eine Gesprächsrunde mit der syrischen Führung sein. Man sei auch bereit, mit den sogenannten tolerierten Gruppen der Regierungsgegner im Land selbst zu kooperieren. Sein Ziel sei es, »einen neuen Rahmen für die syrische Opposition zu schaffen«, bekundete Khoja in Paris. Es gelte, sie zu einen. Um das zu erreichen, verbreitete er fast wörtlich Forderungen innersyrischer Oppositionskräfte, die seit Beginn des Konflikts 2011 von der »Nationalen Koalition« und deren Vorgängerorganisation »Syrischer Nationalrat« als »Marionetten des Regimes« diffamiert worden waren.

Wenige Tage zuvor hatten sich durch Vermittlung der französischen Regierung Etilaf-Vertreter mit Mitgliedern eines solchen angeblich gesteuerten Zusammenschlusses getroffen, des »Nationalen Koordinationskomitees für demokratischen Wandel« (NCC). Man habe sich auf ein gemeinsames Vorgehen bei zukünftigen Verhandlungen mit der syrischen Regierung geeinigt, behauptete Khoja im Anschluss, das sei ein großer Fortschritt.

Die Charmeoffensive von Khaled Khoja, der seit den 1980er Jahren in der Türkei lebt und der Muslimbruderschaft nahesteht, dürfte in seiner »Nationalen Koalition« nicht bei allen auf Zustimmung stoßen. Die Gruppe, die ihren Sitz in Istanbul hat und vom Regime-Change-Bündnis »Freunde Syriens« um die USA, Frankreich und Deutschland als »legitime Vertretung des syrischen Volkes« anerkannt und unterstützt wird, ist intern zutiefst zerstritten. Katar, Saudi-Arabien und die Türkei versuchen über Mitglieder von Etilaf ihre unterschiedlichen Interessen in Syrien politisch zu legitimieren. Frankreich und Deutschland setzen auf die von der Türkei gesponserte Muslimbruderschaft, während die USA vor allem Saudi-Arabien nicht verprellen wollen. Dort ist die Muslimbruderschaft als »Terrororganisation« verboten. Je länger der Konflikt in Syrien dauert, umso deutlicher werden die regionalen Differenzen. Das wiederum hat der vom Westen bisher weitgehend ignorierten innersyrischen Opposition um den NCC zu Aufwind verholfen.

Unter dem neuen ägyptischen Präsidenten Abdul Fattah Al-Sisi hat auch Kairo einen völlig anderen Kurs gegenüber Syrien eingeschlagen. Deutlich ist die Führung am Nil auf Distanz zur Muslimbruderschaft gegangen, die Organisation wurde im Februar als »Terrororganisation« verboten. Hinter Ägypten steht Saudi-Arabien, das den Kurs von Al-Sisi zumindest als Option vor allem gegen die Pläne der Türkei und Katars in Syrien unterstützt, die ihrerseits hinter der Muslimbruderschaft stehen. Im Schulterschluss mit Moskau hat Kairo die Gespräche zwischen innersyrischer Opposition und Regierung gefördert, die erstmals Ende Januar 2015 in der russischen Hauptstadt stattfanden und im April in eine zweite Runde gehen sollen. Kairo hatte zuvor das NCC und andere syrische Oppositionsgruppen zu Gesprächen eingeladen, Vertreter der Muslimbruderschaft waren dabei nicht willkommen. Ein Zehn-Punkte-Papier Kairos soll Ende März in einer zweiten Runde weiter ausgearbeitet werden, um dann in die Gespräche mit der syrischen Regierung einzufließen.

Die »Charmeoffensive« von Khaled Khoja, die er in dieser Woche in Berlin fortsetzen wird, soll den Gesprächen in Kairo und Moskau offenbar entgegenwirken. Und das Paris-Treffen der »Nationalen Koalition« mit Vertretern des NCC stellt diesen Zusammenschluss von zwölf Gruppen vor eine Zerreißprobe. Während einige NCC-Gruppen die Annäherung an Khoja und die »Nationale Koalition« begrüßen, unterstützen andere den Kurs des langjährigen Europa-Sprechers Haitham Manna. Der hat seinen Rücktritt angekündigt, sollte das »Nationale Koordinationskomitee für demokratischen Wandel in Syrien« die eigene unabhängige Linie bei den Kairo- und Moskau-Gesprächen aufgeben und sich dem von der Türkei und dessen westlichen Partnern gesponserten Flügel der »Nationalen Koalition« – der Muslimbruderschaft also – anschließen.

* Aus: junge Welt, Montag, 16. März 2015


Ungebremste Zerstörung

Der Krieg in Syrien geht in sein fünftes Jahr, politische Lösungen werden blockiert

Von Karin Leukefeld **


Die US-Administration hat entschieden, »moderate syrische Rebellen« für den Kampf in Syrien auszubilden und zu bewaffnen – ein deutliches Zeichen dafür, dass Krieg und nicht Frieden in dem nahöstlichen Staat gewollt ist. Das Training soll in der Türkei, in Saudi-Arabien und in Jordanien stattfinden. Auch in Katar werden Kämpfer geschult. Offiziell heißt es, die Männer sollten gegen den »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« kämpfen. Doch sowohl die »Rebellen« als auch die Länder, in denen sie ausgebildet werden, nennen ein anderes Ziel: Sturz des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad und seiner Regierung. Und der Präsident der in Istanbul ansässigen oppositionellen »Nationalen Koalition«, Khaled Koja, ergänzt aktuell in einem Spiegel-Interview: Man kämpfe auch »gegen den Iran«.

Ausbildung und Bewaffnung irregulärer Kampfverbände, die einen souveränen Staat destabilisieren sollen, sind nach dem Völkerrecht verboten. Der ehemalige US-Generalstaatsanwalt Ramsey Clark kritisierte daher bei einem Besuch in Damaskus kürzlich die geplanten Waffenlieferungen, die zunächst von der Türkei gefordert worden waren. Personen auszubilden und auszurüsten, damit diese gegen ein anderes Land kämpfen könnten, sei unakzeptabel und widerspreche auch US-Gesetzen. Washington sei verantwortlich für jede Waffe, die es liefere und die später bei Terroristen lande. Alle beteiligten Länder, auch die Bundesrepublik, haben die UN-Charta unterschrieben und das Prinzip der Nichteinmischung in andere Staaten anerkannt. Was in Syrien geschieht, ist das Gegenteil.

Wissenschaftler der Wuhan-Universität in China haben bei der Auswertung von Satellitenaufnahmen festgestellt, dass die Versorgung mit Strom in Syrien seit März 2011 um 83 Prozent zurückgegangen ist. Ursache ist die ungebremste Zerstörung der öffentlichen Infrastruktur im Energiesektor durch bewaffnete Gruppen. Sie sprengen Strommasten und Pipelines, überfallen Elektrizitätswerke und ermorden deren Mitarbeiter, wenn die den Schaden wieder reparieren wollen. Zum Beginn des fünften Kriegsjahres in Syrien ist das Leid der syrischen Bevölkerung vor allem deshalb so groß, weil der Krieg ungebremst fortgesetzt wird.

Positive Entwicklungen in Syrien sind allein den Syrern selbst zu verdanken. In ihrer großen Mehrheit versuchen sie, den Flächenbrand in ihrer Heimat zu löschen. Im Umland von Damaskus, im Vorort Beit Saham, verjagten wütende Einwohner die Kämpfer der Al-Nusra-Front, die immer wieder einen lokalen Waffenstillstand verhindert hatte. Die UN-Flüchtlingshilfeorganisation (UNHCR) lieferte erstmals seit Monaten dringend notwendige Güter an die Bevölkerung im Osten Aleppos, was durch einen lokalen Waffenstillstand ermöglicht wurde. In der Heimat der aramäischen Christen Syriens, in Maalula, wurden 500 Bäume gepflanzt, und fast 1.000 syrische Kämpfer gaben in den letzten Tagen ihre Waffen ab.

** Aus: junge Welt, Montag, 16. März 2015

Vor Ort: »Etwas ist in Bewegung«

Der Besuch von französischen Parlamentariern beim syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad hat vor wenigen Tagen im Élysée-Palast in Paris zu scharfer Kritik geführt. Doch die Abgeordneten verschiedener politischer Parteien vertreten ihre Position: Wer das Reden von einer »politischen Lösung« ernst meine, müsse mit der Regierung und dem Präsidenten in Damaskus reden und verhandeln. Ähnlich wie der UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, sind auch diese Abgeordneten der Meinung, dass es ohne Assad keine Lösung des Krieges in Syrien geben wird. Jacques Myard von der konservativen UMP sagte am Freitag im Interview mit dem Deutschlandfunk, tue man das nicht, drohe eine völlige Destabilisierung der Region.

»Wir glauben, dass wir von Beginn an einen Fehler gemacht haben«, so Myard. »Man hat uns gesagt: Baschar wird stürzen. An Weihnachten ist er weg. Aber jetzt, nach vier Jahren, ist er immer noch da. Da gibt es ein Problem. Die Lage hat sich im Nahen und Mittleren Osten stark verändert: im Irak, natürlich in Syrien, in Ägypten. Auch mit Blick auf die Haltung anderer Staaten stellen wir uns Fragen: Türkei, Katar, Saudi-Arabien, auch Jordanien.« Diplomatie bedeute nicht, »in Paris zu bleiben oder im Fernsehen aufzutreten. Man muss sich die Dinge anschauen. Und das haben wir gemacht«. Dabei hätten die Abgeordneten festgestellt, dass »etwas in Bewegung« sei. Es gäbe »Verhandlungen mit Aufständischen, Gespräche in Moskau, in Aleppo und im syrischen Parlament«. Auf die Frage, ob dem Westen angesichts des »Islamischen Staates« die »Wahl zwischen Pest und Cholera« bleibe, antwortete Myard: »Diplomatie ist die Kunst, politische Lösungen zu erreichen.«

Die französische Delegation wurde von einem Offizier des französischen Geheimdienstes begleitet, berichtete Le Figaro. Der habe sich mit dem syrischen Amtskollegen Generalmajor Ali Mamluk getroffen und über die Gefahr gesprochen, die von Hunderten junger Franzosen ausgehe, die sich in dem arabischen Land den Dschihadisten angeschlossen hätten. Syrien hat sich zur geheimdienstlichen Zusammenarbeit bereit erklärt, wenn Frankreich seine Botschaft in Damaskus wieder öffnet. (kl)





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