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Assad im Aufwind

Bisherige arabische Einheitsfront gegen die syrische Regierung bröckelt

Von Gerrit Hoekman *

Die Antwort aus Damaskus auf den türkischen Panzer-Schnellangriff über syrisches Territorium zur Rettung einiger alter Knochen und deren drei Dutzend Bewacher vom Wochenende (jW berichtete) war knurrig, aber keinesfalls furchterregend. Die Aktion sei eine »eklatante Aggression«, ließ das syrische Außenministerium wissen. Die Assad-Regierung ist besonders erbost darüber, dass die Türkei nicht vorher um Erlaubnis gebeten hat, sondern das syrische Konsulat nur informierte. Das Vorgehen verstoße gegen den Vertrag, der seit 1921 den Status der kleinen türkischen Enklave in Syrien regelt.

Nach Lage der Dinge ist mit einer weiteren Reaktion aus Syrien nicht zu rechnen. Präsident Baschar Al-Assad ist viel zu sehr Überlebenskünstler, als dass er sich wegen eines osmanischen Schreins mit der Türkei anlegen würde. Zumal die syrische Armee auf die nördliche Grenzregion am Euphrat praktisch keinen Zugriff mehr hat. Dort stehen sich kurdische Einheiten und der »Islamische Staat« (IS) gegenüber. Außerdem: In den letzten Jahren hat Assad bereits einige israelische Angriffe über sich ergehen lassen, ohne zum Gegenschlag auszuholen.

Die syrischen Streitkräfte sind an anderer Stelle mehr gefordert. Zum Beispiel tobt gerade vor den Toren der Hauptstadt ein brutaler Häuserkampf um die Vororte Duma und Irbin. Seit über einem Jahr belagern die Regierungstruppen dort die Rebellen, beinahe täglich fliegt die Luftwaffe ihre Angriffe. Die beiden Ortschaften sollen nur noch durch geheime Tunnel zu erreichen sein. Die humanitäre Situation der Bevölkerung sei katastrophal, berichten die Aufständischen auf diversen Internetseiten. Nach Angaben der amtlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA flüchteten alleine im letzten Monat 5.000 Bewohner. Erst am Wochenende habe die syrische Armee vor den Toren von Duma 30 Familien in Empfang genommen, die es irgendwie durch die feindlichen Linien geschafft haben, so SANA.

In den Ruinen von Duma und Irbin hat sich die Dschaisch Al-Islam verschanzt, die Armee des Islam, eine salafistische Miliz, die dem IS feindlich gegenübersteht, auch wenn sie ebenfalls einen sunnitischen Gottesstaat will. Die Armee des Islam soll in Syrien mehrere tausend Kämpfer haben. Neuerdings liefert sie sich auch in der libanesischen Grenzstadt Arsal Gefechte mit dem IS, berichten arabische Zeitungen.

In Duma und Irbin ist die Lage für die eingekesselten Rebellen praktisch hoffnungslos. Assads Präsidentenpalast liegt zwar nur zehn Kilometer entfernt, aber er ist für die eingekesselten Islamisten unerreichbar. Hin und wieder schießen die Aufständischen Granaten auf Damaskus. Anfang Februar schlugen an einem einzigen Tag über hundert Geschosse in der Hauptstadt ein und töteten zehn Menschen. Sahran Allusch, der Führer der Armee des Islam, hatte das Zentrum von Damaskus kurz vorher zur »militärischen Zone« erklärt.

Der Angriff blieb bis jetzt jedoch ein Strohfeuer. Die syrische Luftwaffe reagierte mit noch heftigeren Schlägen. Eliteeinheiten der Republikanischen Garde kämpfen sich Straße um Straße voran, berichten Quellen, die dem Regime nahestehen. An der Seite der Regierungstruppen steht seit gut einem Vierteljahr die Dschaisch Al-Wafa, die Armee der Loyalität, wie der saudiarabische Sender Al-Arabija berichtet. Sie besteht aus zu Assad übergelaufenen Rebellen, die nicht mehr bereit sind, die Terrorherrschaft der Islamisten in Duma und Irbin zu unterstützen. Auch ein Teil der noch dort lebenden Bevölkerung scheint von den Fundamentalisten genug zu haben. In letzter Zeit habe es mehrmals Kundgebungen gegen die Armee des Islam gegeben, so arabische Medien.

Je länger der Krieg in Syrien dauert, desto besser scheinen Assads Karten zu werden. Unlängst kündigte die neue tunesische Regierung an, wieder diplomatische Beziehungen zu Syrien aufzunehmen. Die arabische Einheitsfront gegen Baschar Al-Assad bröckelt, auch aus Kairo und Amman sind moderate Töne zu hören. Der Konflikt in Syrien müsse durch Verhandlungen gelöst werden – von Assads Rücktritt ist neuerdings keine Rede mehr.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Februar 2015


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