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Angriff auf Aleppo

Armee will Kämpfer aus der syrischen Stadt vertreiben. Russland schlägt innersyrischen Dialog vor

Von Karin Leukefeld *

„Was bezweckt De Mistura mit seinem Plan? Haben die Vereinten Nationen ihr Vorgehen gegenüber Syrien geändert oder handeln sie etwas hinter den Türen etwas anderes aus?“ Dr. Riad Ch. ist pensionierter Agraringenieur der syrischen Behörde für die Verwaltung der Naturressourcen (ANNR) und Wasserexperte. Mit großem Interesse verfolgt der 65-Jährige die politische und militärische Entwicklung in seinem Land. Von den USA erwarte er nichts als Krieg, die europäischen Staaten seien machtlos und erhielten ohnehin „ihre Anordnungen aus Washington“, sagt er (im Gespräch mit der Autorin in Damaskus). Russland werde seine Position zu Syrien nicht ändern, darum vertraue er dem russischen Engagement mit den Vereinten Nationen. Doch was De Mistura wirklich wolle, sei ihm noch unklar.

Der UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan De Mistura, hatte mit dem russischen Außenministerium in Moskau gesprochen, bevor er seinen Plan, den Konflikt in Aleppo beispielhaft „einzufrieren“ der syrischen Regierung in Damaskus vorstellte. Präsident Bashar al-Assad sagte die Prüfung der Pläne zu, mit dem Außenministerium, das für die Kontakte mit den Vereinten Nationen und internationalen Hilfsorganisationen zuständig ist, traf De Mistura gleich zweimal zusammen, um Details des Plans zu besprechen.

„Ein Waffenstillstand ist gut, das wollen wir alle“, sagt Dr. Riad und seine Frau Delal, eine Ärztin, stimmt zu. „Doch wie kann der Kampf in Aleppo „eingefroren“ werden, ohne dass die Nusra Front sich dort festsetzt und weiter aus der Türkei – gegen uns – unterstützt wird?!“ Der Ingenieur ist mit seinen Zweifeln nicht allein. Viele Gesprächspartner in Damaskus sind überzeugt, dass der Krieg nur beendet werden könne, wenn die Türkei ihre Grenzen für Kämpfer nach Syrien schließt und Saudi Arabien und Katar ihre Unterstützung für die Kämpfer einstellen. „ Die Türkei ist ein NATO-Staat. Ihr Verhalten gegen Syrien sagt uns, dass die NATO Syrien zerstören will“, resümiert Dr. Riad.

Die syrischen Streitkräfte zeigen sich derweil entschlossen, die Einkreisung der nordsyrischen einstigen Handelsmetropole Aleppo fortzusetzen. In den letzten Tagen wurden die Angriffe, auch Luftschläge auf die Viertel der Stadt intensiviert, in denen sich Kampfverbände aufhalten. Ziel der Streitkräfte ist es, die Nachschubwege der Kampfverbände aus der Türkei über die Stadt Azaz zu unterbrechen und die Kämpfer zu zwingen, Aleppo zu verlassen. Sollte das nicht geschehen und die Stadt von den Streitkräften eingeschlossen werden, drohe eine ähnliche Situation wie in der Altstadt von Homs, sagt ein Gesprächspartner, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Bei einer Belagerung wird vor allem die Zivilbevölkerung leiden.“

Die Altstadt von Homs war fast zwei Jahre lang abgeriegelt, nachdem Kampfverbände dort im Frühsommer 2012 eingezogen waren. Am 8. Mai 2014 erst waren die Kämpfer abgezogen, nachdem die Streitkräfte ihnen in einer von den Vereinten Nationen vermittelten Vereinbarung freies Geleit in einen Ort im Umland von Homs zugesichert hatten. Vermutlich gebe es indirekte Gespräche, um die Kämpfer zum Abzug aus Aleppo zu bewegen, so der Gesprächspartner gegenüber der Autorin. Allerdings dürfte eine Vereinbarung in Aleppo schwierig werden, da die türkische Regierungen ihren Einfluss dort nicht aufgeben will.

In Moskau ist es derweil zu ersten Gesprächen zwischen dem Außenministerium und syrischen Oppositionellen gekommen, die zu einem Dialog mit der syrischen Regierung bereit sind. Der Sprecher des russischen Außenministeriums Alexander Lukaschewitsch sagte am Donnerstag vor Journalisten, Russland unterstütze Syrien und dränge daher “auf den Beginn eines Dialogs zwischen den Syrern, um eine politische Lösung für die Krise im Land zu finden”. Demnach haben der ehemalige Vorsitzende der (vom Westen anerkannten) Nationalen Koalition (Etilaf), Mouaz al-Katib und Kadri Jamil von der oppositionellen Partei des Volkswillens einem Dialog zugestimmt. Auch das Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel in Syrien, NCC und die (kurdische) Partei der Demokratischen Union (PYD) sollen teilnehmen. Von Seiten der syrischen Regierung gibt es bisher keine Stellungnahme zu dem Vorschlag. Die Regierungsdelegation könnte allerdings, wie bei den Gesprächen in Genf, von Außenminister Walid Mou’allem geleitet werden. Russland möchte Opposition und Regierung in Syrien zu dem Dialog nach Moskau einladen, wo sie abseits von äußeren Einflüssen miteinander verhandeln sollen.

Die libanesische Tageszeitung Al Akhbar berichtete, dass die Gespräche zur Bildung einer „Syrischen Übergangsregierung“ führen sollen, die aus Vertretern der amtierenden syrischen Regierung und der Opposition – wie Mouaz al-Katib und Kadri Jamil – zusammengesetzt werden soll. Ministerpräsident sollte eine „nicht provozierende“ Persönlichkeit werden, auf die sich die Syrer einigen könnten. Die Übergangsregierung soll „weitgehende Befugnisse“ erhalten, während Präsident Bashar al-Assad weiterhin Oberbefehlshaber der Streitkräfte und des Sicherheitsapparates bleiben soll. Vorrangige Aufgabe der Übergangsregierung soll die Einrichtung einer Konstitutionellen Versammlung sein, die eine neue Verfassung ausarbeiten soll. In zwei Jahren sollen Wahlen zu einem neuen Parlament stattfinden. Anschließend soll es Präsidentschaftswahlen geben, bei denen Bashar al-Assad kandidieren kann.

Vorbereitet wurde die Initiative von den Außenministerien Russlands und Ägyptens, unter Beteiligung des Büros von UN-Sondervermittler De Mistura. Mit der Entwicklung des politischen Prozesses in Syrien sollen so viele „national gesinnte Kräfte“ wie möglich gebündelt werden, um gegen die Terrororganisation des „Islamischen Staat im Irak und in der Levante“ (ISIL), die Nusra Front und andere zu kämpfen. Dabei sollen die syrischen Streitkräfte durch die Soldaten und Offiziere verstärkt werden, die in den letzten Jahren desertiert waren, sich aber nicht den Terrorgruppen angeschlossen hatten.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur AP sollen die terroristischen Gruppen ISIL und Nusra Front (Al-Khaida) sich auf einen gemeinsamen Kampf gegen die syrischen Streitkräfte geeinigt haben. Der mörderische Konkurrenzkampf der zwei Kampfverbände solle demnach eingestellt werden. Die Nachricht basiert auf Aussagen eines namentlich nicht genannten „prominenten syrischen Oppositionsvertreter und einem Rebellenkommandeur“, die von einem Geheimtreffen am 2. November im Norden Syriens berichteten.

Die am Mittwoch bei der Ausreise in den Libanon verfügte Festnahme des Oppositionspolitikers Louay Hussein wurde am Donnerstag von einem Gericht in Damaskus bestätigt. Hussein, der 2011 die oppositionelle Bewegung „Den syrischen Staat aufbauen“ gründete, wurde in das Adra Gefängnis nördlich von Damaskus gebracht. Die Behörden werfen ihm vor, gegen „nationale Interessen“ verstoßen zu haben.

Dieser Beitrag erschien – gekürzt – in „junge Welt“ vom 15.11.2014

Karin Leukefeld

referiert beim 21. Friedenspolitischen Ratschlag am 6./7. Dezember in Kassel. Hier geht es zum Programm!




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