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Kein Ende der Kämpfe

Jahresrückblick 2014. Heute: Syrien. Krieg wird weiter befeuert. Zahl der Flüchtlinge steigt an

Von Karin Leukefeld *

Als im Januar 2014 in Montreux und Genf Delegationen der syrischen Regierung und einer von den selbst ernannten »Freunden Syriens« handverlesenen syrischen Opposition miteinander sprachen, hofften die Syrer – mehr als dass sie wirklich an einen Erfolg der Gespräche glaubten. Doch ihre Hoffnung wurde enttäuscht.

Grundlage der Gespräche war die »Genfer Vereinbarung« vom 30. Juni 2012. Obwohl die Rolle des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad mit keinem Wort in der Erklärung erwähnt wird, wurde dessen Rücktritt unmittelbar nach der Unterzeichnung durch die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat von der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton zur Bedingung gemacht. Diese Forderung wird nicht von den Syrern, sondern von den »Freunden Syriens« erhoben und verhindert bis heute eine politische Lösung des ursprünglich innersyrischen Konflikts.

Mit der »Nationalen Koalition« saßen die Falschen auf der Seite der syrischen Opposition am Tisch, da sie in dem Land selbst nicht präsent ist. Die nicht bewaffnet kämpfenden Oppositionellen waren nicht eingeladen. Auch der Iran nahm an der Konferenz nicht teil, weil dessen regionaler Widersacher Saudi-Arabien gedroht hatte, sonst nicht zu erscheinen. Die Gruppe wird von Saudi Arabien, Katar, der Türkei und westlichen Staaten – alle nennen sich »Freunde Syriens« – gesponsert und vertritt dafür deren Interessen.

Der einzige Erfolg der Genfer Gespräche, die im Februar in eine zweite Runde gingen, war Ende Februar 2014 die Einstellung der Kämpfe in der Altstadt von Homs. Mehr als 1.000 Zivilisten konnten das Areal verlassen. Im Mai 2014 wurde der Abzug der letzten Kampfverbände von dort erreicht. Die Vorgespräche dafür hatten mehr als ein halbes Jahr gedauert.

Ölfelder im Blick

Im Juni 2014 wurde Baschar Al-Assad bei Wahlen erneut im Amt als Präsident bestätigt. Erstmals gab es drei Kandidaten. Wie andere europäische Regierungen verhinderte auch die Bundesregierung, dass in Deutschland lebende Syrer an der Wahl teilnehmen konnten. Zur Begründung hieß es, die Wahlen seien »demokratisch nicht legitimiert« und nur auf Basis der Genfer Vereinbarung durchzuführen. Diese Meinung werde auch von den Außenministern der Europäischen Union vertreten. Im Libanon kam es hingegen zu einer Massendemonstration syrischer Flüchtlinge, die an den Grenzen oder in der Botschaft in Beirut ihre Stimme abgeben wollten.

Seit Juni 2014 werden die Schlagzeilen über die Entwicklung in Syrien vom »Islamischen Staat« (IS, arabische Abkürzung Daesch) bestimmt. Dieser hatte sich seit seinem Auftrittsdebüt in Syrien im Frühjahr 2013 in brutalen Kämpfen gegen andere bewaffnete Gruppen durchgesetzt, das nordsyrische Al-Rakka zu seiner »Hauptstadt« erklärt und marschierte Anfang Juni 2014 in der nordirakischen Stadt Mossul ein.

Stets hatte Daesch die syrischen und irakischen Ölfelder fest im Blick. Der andere starke Kampfverband ist die Al-Nusra-Front, die nach eigenen Angaben der Al-Qaida-Ableger in Syrien sein will. Daneben gibt es die »Islamische Front«, in der verschiedene Kampfverbände zusammengeschlossen sind.

Das mörderische Auftreten von Daesch nutzten die sogenannten Freunde Syriens, einen neuen »Antiterrorkampf« zu beginnen. Seit dem 23. September werden Luftangriffe auf Syrien geflogen. Eine angeblich »moderate bewaffnete Opposition« soll ausgerüstet und trainiert werden, um gegen den IS und gegen die syrischen Streitkräfte zu kämpfen.

Allerdings gibt es »moderate bewaffnete Gruppen« in Syrien nicht mehr. Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« (FSA) haben längst aufgegeben und durch Vermittlung von Versöhnungskomitees lokale Waffenstillstände geschlossen. Andere Kombattanten haben sich – teilweise auch als Flüchtlinge nach Europa – abgesetzt. Wieder andere haben sich der Al-Nusra-Front oder Daesch angeschlossen, die ihre Kämpfer dank mächtiger Geldgeber weit besser bewaffnen und vor allem bezahlen.

Keine »moderate Mitte«

Wer diese Geldgeber sind, machte US-Vizepräsident Joseph Biden Anfang Oktober 2014 bei einer Rede an der Harvard-Universität klar. Das größte Problem der USA in Syrien seien ihre eigenen Verbündeten in der Region gewesen, so Biden. »Die Türken«, seien wie »die Saudis, die Emirate usw. so entschlossen gewesen, Assad zu stürzen und einen sunnitisch-schiitischen Stellvertreterkrieg zu starten«, dass sie »Hunderte Millionen US-Dollar und mehrere tausend Tonnen Waffen in jeden gesteckt haben, der gegen Assad kämpfen wollte. Nur dass die Leute, die sie ausgerüstet haben, Al-Nusra und Al-Qaida waren und die extremistischen Typen von Gotteskriegern, die aus allen Teilen der Welt kommen.«

Den USA sei es »trotz intensiver Suche« auch nicht gelungen, eine »moderate Mitte« in Syrien zu finden, mit der man hätte kooperieren können. »Die moderate Mitte besteht aus Geschäftsleuten, nicht aus Soldaten«, sagte Biden.

Weiterhin werden politische Oppositionelle, wie die Gruppe »Den Syrischen Staat aufbauen« oder das »Nationale Koordinationskomitee für demokratischen Wandel in Syrien« in Europa ignoriert. Mit den kurdischen Volksverteidigungskräften der Partei der Demokratischen Union (PYD) und ihrer politischen Perspektive wollen weder die EU noch die Türkei etwas zu tun haben. Nirgends zeigt sich das deutlicher als in der Grenzstadt Ain Al-Arab (kurdisch: Kobani), wo PYD-Einheiten sich seit Oktober gegen Angriffe von Daesch behaupten.

Die Stadt ist zerstört, das zivil-gesellschaftliche Vorzeigeprojekt der Kurden, Rojava, ist einem erbitterten Krieg gewichen. Die Bundesregierung nutzte die mit dem Kampf der syrischen Kurden sympathisierende Öffentlichkeit, um Waffen und Militärberater an die kurdische Autonomieregierung von Masud Barsani im Nordirak zu schicken. Die wiederum ist verbündet mit der Türkei und steht dem Projekt Rojava ablehnend gegenüber.

Die Bevölkerung in Syrien spürt derweil bitter die Kosten des Krieges. Preise haben sich vervierfacht, die Arbeitslosigkeit ist hoch, Kinderarbeit ist gestiegen, so dass viele gar nicht mehr zur Schule gehen. Strom, Heizöl und Wasser sind knapp. Andauernde Anschläge auf die zivile Infrastruktur haben wirtschaftliche und Umweltschäden in Milliardenhöhe verursacht.

Auch die Vereinten Nationen gehören zu den Verlierern des Krieges. Die friedenssichernde UN-Mission auf dem Golan (UNDOF) wurde wiederholt von der Al-Nusra-Front angegriffen, Dutzende Blauhelmsoldaten wurden entführt. Mitte Oktober 2014 wurden die UN-Soldaten nach 40 Jahren erfolgreicher Mission vom syrischen Teil der entmilitarisierten Pufferzone auf dem Golan abgezogen. Der Weg war frei für den Vormarsch der islamistischen Verbände. Diese kooperieren mit Israel, wie UNDOF-Berichte der letzten zwei Jahre belegen. Etwa 1.000 verletzte Kämpfer wurden zur medizinischen Behandlung in israelische Krankenhäuser gebracht. Manche kehrten nach ihrer Genesung zurück ins Kampfgebiet.

Erneute Gespräche

Im Dezember 2014 veröffentlichte die UN-Organisation für humanitäre Hilfe (OCHA) einen neuen Spendenappell zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge. 8,4 Milliarden US-Dollar werden für 2015 gebraucht, um 12,2 Millionen Menschen in Syrien – 7,6 Millionen Inlandsvertriebene und drei Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten – versorgen zu können. Bis Ende 2015 prognostiziert die UNO einen Anstieg der Flüchtlingszahlen.

Ende des Jahres 2014 wurde eine neue Gesprächsinitiative bekannt. Diese wurde von dem Juli 2014 eingesetzten UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, sowie Russland und Ägypten vorbereitet. Vertreter verschiedener Oppositionsgruppen, einschließlich der PYD, die die syrischen Kurden repräsentiert, haben ihre Teilnahme zugesagt. Kurz nach Weihnachten erklärte das syrische Außenministerium, auch die Regierung sei zu einem neuen Dialog in Moskau mit denjenigen bereit, die an die Einheit und Souveränität Syriens glaubten. Ein erstes Treffen könnte Ende Januar 2015 in Moskau stattfinden.

* Aus: junge Welt, Montag, 5. Januar 2015


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