Wege aus der Gewalt
UN-Sicherheitsrat berät über Lage in Syrien. Vertreter aus Indien, Brasilien und Südafrika setzen auf Dialog, EU und USA auf Konfrontation mit Damaskus
Von Karin Leukefeld *
Erneut hat sich der UN-Sicherheitsrat mit der Lage in Syrien befaßt. Während die Vertreter Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Portugals erneut ein schärferes Vorgehen gegen Damaskus forderten, setzen Indien, Brasilien und Südafrika auf direkte Gespräche mit der syrischen Regierung, um Wege aus der Gewalt zu finden. Rußland und China haben erneut deutlich gemacht, daß es mit ihnen keine Resolution gegen Syrien geben werde.
In Anwesenheit seiner Kollegen aus Deutschland, Frankreich und Portugal sagte der britische UN-Vizebotschafter Philip Parham nach dem nicht öffentlichen Treffen am Mittwoch abend, man werde über weitere Sanktionen entscheiden müssen, falls Präsident Baschar Al-Assad den Forderungen des Sicherheitsrates und arabischer Staaten nicht nachkomme. Auf Antrag der europäischen Sicherheitsratvertreter sollen in dem UN-Gremium in der kommenden Woche die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Navi Pallay, und die Nothilfekoordinatorin Valerie Amos zur Lage der Menschenrechte in Syrien gehört werden. 2000 Zivilisten seien seit Beginn der Unruhen Mitte März getötet worden, so Parham. 3000 Zivilisten seien verschleppt worden und 13000 Menschen seien noch immer in Haft. Die getöteten und verstümmelten syrischen Soldaten und Polizeikräfte erwähnte Parham nicht.
Der syrische UN-Botschafter Baschar Dschafari warf den europäischen Vertretern im Sicherheitsrat vor, die Öffentlichkeit »in die Irre zu leiten«. Warum bezeichnet die britische Regierung die Randalierer in London als »Mordbanden«, widerspreche aber, wenn die syrische Regierung die gleiche Bezeichnung benutze, um diejenigen zu beschreiben, die syrische Polizisten und Soldaten töteten? Parham wies den Vergleich zwischen den Ereignissen in Großbritannien und Syrien als »lächerlich« zurück.
US-Botschafterin Susan Rice bezeichnete derweil die Ereignisse in Syrien als »schwerwiegende und zunehmende Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit«. Diese Formulierung ist erforderlich für zwingende Sicherheitsratsresolutionen, wie sie von den USA und den EU-Ländern angestrebt werden. Zur Untermauerung ihres Standpunktes verwies Rice auf Stellungnahmen der Türkei sowie arabischer Staaten, die Präsident Assad in den vergangenen Tagen ebenfalls kritisiert und ihre Botschafter aus Damaskus teilweise abgezogen hatten.
Um den Stillstand im Sicherheitsrat in ihrem Sinne zu überwinden, planen Washington und Brüssel offenbar, eine »Syrien-Kontaktgruppe« mit arabischen Staaten ins Leben zu rufen, ähnlich wie es sie seit mehr als einem Jahr auch zum Jemen gibt. Darin könnten sie sich als Stichwortgeber mehr im Hintergrund halten und die arabischen Staaten gegen Syrien vorschicken.
Rice kritisierte erneut auch die Partnerschaft Syriens mit dem Iran, die ein »Risiko« darstelle und wodurch »konfessionelle und andere Spannungen auf Nachbarstaaten übergreifen« könnten. Besonders besorgt seien die USA über einen »anhaltenden Strom von Waffen nach Syrien«. Rice bezog sich dabei auf den Hinweis von Ankara, wonach türkische Behörden einen Lastwagen mit Waffen beschlagnahmt hätten, der vom Iran nach Syrien unterwegs gewesen sei. Die Waffenlieferung, die syrische Behörden etwa zeitgleich aus dem Libanon kommend beschlagnahmt hatten, erwähnte Rice nicht. Immerhin räumte sie ein, daß es hilfreich sein könne, einen »UN-Vertreter nach Damaskus zu entsenden«, ein Vorschlag, den auch die deutsche Vertretung schon gemacht hat.
Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin schlug derweil vor, eine Delegation der Vereinten Nationen nach Damaskus zu entsenden, die helfen könne, den Dialog in Syrien in Gang zu bringen. Das sei die »zentrale Aufgabe der internationalen Gemeinschaft«, sagte er. »Bisher sehen wir keine Antwort der Opposition auf den von Damaskus vorgeschlagenen Dialog.« Ohne Dialog werde aber »nichts besser«, so Tschurkin, der weitere Sanktionen strikt ablehnte.
Eine hochrangige Delegation mit Vertretern aus Indien, Brasilien und Südafrika hat sich unterdessen am Dienstag und Mittwoch mit dem syrischen Außenminister Walid Muallem und mit Präsident Assad in Damaskus getroffen. Diese Staatengruppe hat einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und setzt zusammen mit den Vetomächten Rußland und China weiter auf Dialog mit und in Syrien.
In einer Stellungnahme der brasilianischen Botschaft hieß es, Präsident Assad habe der Delegation erneut seinen Reformwillen versichert. Der Reformprozeß solle vom syrischen Volk mitbestimmt und im nationalen Dialog vorangebracht werden, eine neue Verfassung könne bis Februar oder März kommenden Jahres vorliegen. Assad habe auch Fehler der Sicherheitskräfte gleich zu Beginn der Unruhen (im März) eingeräumt. Außenminister Muallem unterteilte die Opposition gegen die Regierung in drei Gruppen. Diejenigen, die wirtschaftlich vernachlässigt worden waren, zweitens Intellektuelle und Akademiker, und drittens gebe es bewaffnete Gruppen. Ein Komitee untersuche die Gewalttaten der letzten Wochen, die Verantwortlichen müßten zur Rechenschaft gezogen werden. Am Ende des Jahres solle Syrien eine freie, pluralistische und Mehrparteiendemokratie sein, betonte Muallem.
* Aus: junge Welt, 12. August 2011
Widersprüchliche Meldungen: Armeeabzug und Kämpfe
Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die ihren Sitz in London hat, sollen am Donnerstag Panzer der Armee in den Ort Sarakeb, nahe der Grenze zur Türkei, eingerückt sein. Schüsse seien zu hören gewesen, mehr als 100 Personen, darunter auch Kinder, seien festgenommen worden. Der gleichen Quelle zufolge soll es auch in anderen Orten sowie in Homs zu Angriffen von Soldaten gekommen sein, es wird von fünf bis zu 18 Toten gesprochen. Auch in Deir Essor sollen die Kämpfe anhalten.
Der Gouverneur von Hama, Anas Al-Naim, erkärte gegenüber der syrischen staatlichen Nachrichtenagentur SANA, die Behörden seien intensiv damit beschäftigt, die Zerstörungen zu beseitigen, die durch die Kämpfe der vergangenen Woche entstanden waren. Anders als westliche Medien berichtet hätten, habe die Armee Hama und die Umgebung komplett verlassen.
Der Truppenabzug aus Hama war am Mittwoch von arabischen und ausländischen Medien dokumentiert worden. Nach offiziellen Angaben konnte eine Gruppe von 72 Medienvertretern Hama besuchen, filmen und Interviews machen. Ein Armeesprecher bestätigte den Journalisten, daß die Soldaten in ihre Kasernen zurückbeordert worden seien. Auch aus der Stadt Idlib habe das Militär sich zurückgezogen, »nirgends am Orontes gibt es noch syrische Truppen«, so der Sprecher. Während der Operation in Hama und Umgebung habe man Waffen und drahtlose Kommunikationsmittel sichergestellt, die von den »bewaffneten Terroristengruppen« bei ihren Angriffen eingesetzt worden seien, so ein Armeesprecher. Außerdem wurde Geld gefunden, das offenbar aus einer Bank gestohlen worden war.
Aus Damaskus wurde bekannt, daß in einigen Vororten offenbar eine inoffizielle Ausgangssperre ab 22 Uhr verhängt worden ist, um nächtliche Auseinandersetzungen zu verhindern. Aufgrund der Sanktionen und westlicher Reisewarnungen seit April haben viele Menschen ihre Arbeit verloren. Die Zahl der Straßenhändler, die Ende 2010 fast auf Null zurückgegangen war, hat nach Auskunft von Einwohnern in Damaskus wieder rapide zugenommen.
(kl)
** Aus: junge Welt, 12. August 2011
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