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Durchbruch in New York

UN-Sicherheitsrat einigt sich auf Resolution zu Syrien. Keine automatische Gewaltandrohung gegen Damaskus. "Nationale Koalition" weiter geschwächt

Von Karin Leukefeld *

Die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat – China, Rußland, Frankreich, Großbritannien und die USA – haben sich am Donnerstag abend (Ortszeit) am Rande der UN-Vollversammlung in New York auf eine Resolution zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffenbestände geeinigt. UN-Diplomaten erwarteten die Abstimmung noch für Freitag abend.

In der Beschlußvorlage, deren Text die Nachrichtenagentur Reuters verbreitete, heißt es, der Einsatz chemischer Waffen stelle eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit dar. Ihr Einsatz am 21. August bei Damaskus wird als Verletzung des Völkerrechts verurteilt. Weder Syrien noch nichtstaatliche oder andere Parteien dürften chemische Waffen »benutzen, entwickeln, herstellen, bestellen, lagern, erhalten oder transportieren«, heißt es weiter. Zudem unterstützt der Entwurf die Durchführung der Genf-II-Friedenskonferenz und fordert alle syrischen Parteien zu einer konstruktiven Teilnahme auf. Jedem, der die Resolution nicht befolgt, wird mit »Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta« gedroht. Darauf angesprochen betonte der russische Außenminister Sergej Lawrow, daß die Resolution keine automatischen Strafmaßnahmen vorsehe. Gegebenenfalls müsse über Santionen im UN-Sicherheitsrat neu entschieden werden.

Am Sitz der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag wurde inzwischen der Entwurf einer Erklärung bekannt, die Bestandteil der Sicherheitsratsresolution sein wird. Vorgesehen ist demnach, den Inspektoren »sofortigen und ungehinderten Zugang« zu allen von Damaskus gemeldeten Lagerstätten ebenso zu gewähren wie zu »nicht gemeldeten Orten«. Unklar ist noch, wie die Mission finanziert werden soll. Die Kosten für die Zerstörung der syrischen Chemiewaffenbestände werden von Experten auf mehrere Milliarden US-Dollar geschätzt.

Der noch amtierende deutsche Außenminister Guido Westerwelle nahm am Donnerstag in New York an einem Treffen der von den USA ins Leben gerufenen Gruppe der »Freunde Syriens« teil. Dabei machte der Vorsitzende der »Nationalen Koalition« syrischer Regierungsgegner, Ahmad Jarba, die Führung in Damaskus und dessen Verbündete von der libanesischen Hisbollah und im Iran für die militärische Eskalation verantwortlich. Kurz zuvor hatte er erstmals die Bereitschaft der Koalition erklärt, an einer Friedenskonferenz teilzunehmen. In einem Fünf-Punkte-Plan forderte Jarba unter anderem den Abzug ausländischer Milizen, die Freilassung von politischen Gefangenen und die Unterstützung der arabischen Staaten für einen politischen Übergangsprozeß in Syrien. Die »Freie Syrische Armee« (FSA) solle in eine »nationale Armee« umgewandelt werden. Doch für wen Jarba überhaupt noch spricht, ist unklar. Mehrere FSA-Brigaden folgten am Freitag dem Beispiel von 13 islamistischen Kampfverbänden und kündigten der Koalition und dem FSA-Oberkommando die Gefolgschaft auf.

Am Rande der UN-Vollversammlung setzte sich eine Delegation des Forums »Frauen für Frieden in Syrien« für eine politische Lösung des Konflikts ein. Sie wiesen auf die entwürdigende Lage der Frauen in den Flüchtlingslagern hin und forderten ein Ende der Unterstützung der Kampfparteien in Syrien durch Ausbildung und Waffenlieferungen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. September 2013


Chefsache mit Vorteil für Moskau

USA und Russland machten Weg zur Vernichtung syrischer C-Waffen frei

Von Klaus Joachim Herrmann **


Nach wochenlangem Ringen einigten sich Moskau und Washington auf den Resolutionsentwurf zu Syrien.

Wer am Rande gestanden habe, sei im Vorteil gewesen, wunderten sich Agentur-Kollegen in der UNO am späten Donnerstagabend. »Wir haben uns auf einen amerikanisch-russischen Resolutionsentwurf geeinigt, der heute noch an den Sicherheitsrat geht«, ließ Russlands Außenminister Sergej Lawrow nach einer Beratung wie selbstverständlich und fast beiläufig verlauten. Er ergänzte, dass es »keine Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII geben« werde. Dafür müsste ein neuer Beschluss her. Ein Erfolg Moskaus, waren sich Experten einig. Dass dieses Ergebnis nur Chefsache zwischen Lawrow und seinem US-Amtskollegen John Kerry gewesen sein konnte, galt als ausgemacht.

In Moskau wurde verbreitet, der Chef des Außenamtes sei mit seinen und den US-Diplomaten »zufrieden« gewesen. Aus seinem Amtssitz in der russischen Hauptstadt am Smolensker Platz hatte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow allerdings schon wissen lassen, dass die USA die syrische Opposition weiterhin massiv mit Waffen unterstützen wollen. Die Lage könne damit weiter destabilisiert werden, warnte der Spitzendiplomat. Die Gefahr einer Gewaltanwendung gegen Syrien sei erst einmal nur zeitweilig verschoben.

Mehr als vier Wochen war nach dem Kompromiss für eine Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gesucht worden. Es bestehe die Hoffnung, dass der Plan zur Sicherstellung und Vernichtung der chemischen Waffen in Syrien nun mit Leben erfüllt werde, wurde der US-Außenminister zitiert. Das Arsenal könnte nach einem Bericht der »Washington Post« nun sogar schneller als erwartet vernichtet werden. Die Zeitung berief sich auf einen vertraulichen Bericht, wonach der Großteil des Arsenals »nicht nutzbar« sei, weil die Bestandteile getrennt voneinander aufbewahrt würden. Binnen neun Monaten könnten die Bestände unschädlich gemacht werden, habe es laut »Washington Post« in dem von Waffenexperten erstellten Bericht für das Weiße Haus geheißen.

Der syrischen Opposition kommen derweil immer mehr Rebellen abhanden. So kündigte laut Agenturberichten Hauptmann Amar al-Wawi, führendes Mitglied der von Deserteuren gegründeten Freien Syrischen Armee (FSA), der Nationalen Syrischen Allianz und dem FSA-Generalstab im Namen von Brigaden aus mehreren Provinzen die Gefolgschaft. Auch sieben Brigaden aus der südlichen Provinz Daraa sagten sich von der Allianz los. Mitte der Woche hatten bereits 13 Brigaden mit islamistischem Hintergrund erklärt, die Allianz spreche nicht in ihrem Namen.

Während Gespräche über die geplanten Friedensverhandlungen weiterlaufen, bringen Saudi-Arabien, die Türkei und Frankreich Ex-Funktionäre der bisherigen Führung Syriens als mögliche Führungspersönlichkeiten für eine künftige Übergangszeit ins Spiel. Die Pariser Zeitung »Le Figaro« hatte am Donnerstag berichtet, der frühere Verteidigungsminister Ali Habib habe sich nach Frankreich abgesetzt. Saudi-Arabien soll den früheren Ministerpräsidenten Riad Hedschab unterstützen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 28. September 2013


Rückkehr des Rates

Von Klaus Joachim Herrmann ***

Wie umstritten er auch sein mag, der UN-Sicherheitsrat ist in die ganz große politische Arena zurückgekehrt. Vor die militärische Intervention der USA und einiger ihrer Verbündeter in Syrien wurde das Völkerrecht gesetzt. Der Chef des Weißen Hauses, Barack Obama, hatte sich ja selbst zur Klarstellung genötigt gesehen, sein Land sei nicht der Weltpolizist. Allemal besser als ein Waffengang ist auch für die USA diplomatischer Ausgleich höchst unterschiedlicher Absichten, Interessen und Möglichkeiten.

Nach allen Wirren um Syrien und seine Chemiewaffen kam doch eine gemeinsam vertretbare Resolution zur Abstimmung auf den Tisch. Deren Text beruht zuerst auf der Einigung der Vetomächte USA und Russland. Doch kann auch das Gremium mit der Resolution Autorität und Handlungsfähigkeit beweisen. Nur wenn er beides hat, taugt der Rat ja erst wirklich etwas. Ganz besonders deshalb, weil hier nun einmal die Mächtigsten dieser Welt zusammensitzen. Wenn die keinen Ausweg finden, wer dann? Zum Ende der syrischen Chemiewaffen muss ja jetzt vor allem das Ende des Mordens kommen.

Die Welt sucht spätestens seit dem Zerfall der Supermacht Sowjetunion eine neue Balance. Gewiss sind UNO und Sicherheitsrat als Erbe von Krieg und Nachkrieg erneuerungsbedürftig. Darüber kann gesprochen und verhandelt werden. Solange es aber nichts Vergleichbares gibt, sollten sie arbeiten – und mit ihnen respektvoll umgegangen werden.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 28. September 2013 (Kommentar)


Der Kompromiß

USA und Rußland einigen sich

Von Werner Pirker ****


Was bis vor kurzem nicht für möglich gehalten wurde, ist eingetreten. Rußland und die USA haben sich in der Syrien-Frage auf einen gemeinsamen Entwurf für eine Resolution des UN-Sicherheitsrates geeinigt. Das nun dessen 15 Mitgliedern zur Beschlußfassung vorgelegte Papier gilt als Kompromiß, den natürlich beide Seiten auf ihre Weise auszulegen versuchen werden.

Die von Moskau und Washington vertretenen Standpunkte waren so unvereinbar, daß sie keinerlei Kompromiß zuzulassen schienen. Während die Amerikaner auf einer Resolution beharrten, die für den Fall, daß Damaskus gegen die Bestimmungen zur Abrüstung seiner Chemiewaffenbestände verstoßen sollte, Sanktionen nach Artikel VII der UN-Charta vorsieht, wandte sich die russische Seite strikt gegen eine solche Drohung. Denn Artikel VII sieht militärische Zwangsmaßnahmen auf der Grundlage eines UN-Mandates vor. Gegen eine ausländische Militärintervention aber hatte sich Moskau von Beginn des Syrien-Konfliktes an entschieden ausgesprochen und eine entsprechende Sicherheitsrats-Resolution durch seine Vetodrohung blockiert. Auf der anderen Seite wollten sich die USA die militärische Option keineswegs wegverhandeln lassen und meinten, sie den Russen als Sanktion für Verstöße gegen den russisch-amerikanischen Plan zur syrischen Chemiewaffen-Abrüstung schmackhaft machen zu können. Die Amerikaner haben den Artikel VII in der Resolution unterzubringen vermocht. Doch es wird keinen Automatismus geben. Über Gewaltanwendung muß neu verhandelt werden. Und am russischen Veto sollte es dann erneut kein Vorbeikommen geben.

So weit, so gut. Man weiß aber auch, daß Washington bei der Durchsetzung seiner hegemonialen Absichten keine Hemmungen kennt und es zu jedem noch so hinterhältigen Manöver bereit ist, um sich weltpolitische Vorteile zu verschaffen. Und Barack Obama hat bereits hinlänglich bewiesen, daß er seinem Vorgänger hinsichtlich imperialer Arroganz und Verlogenheit um nichts nachsteht. Im Fall Libyen ist die Resolution, die die Einrichtung einer Flugverbotszone vorsah, zur Kriegsresolution umgedeutet worden –die russische Diplomatie hat daraus hoffentlich ihre Lehren gezogen. Und auch die syrische Tragödie mit ihren Zehntausenden Toten und Millionen Flüchtlingen hat maßgeblich die Obama-Administration zu verantworten.

Man gewinnt aber auch immer wieder den Eindruck, daß Obama aus der Kriegsnummer raus will. Und sollte die Aggression gegen Syrien tatsächlich vor allem die Isolierung des Iran und damit seine Zubereitung als nächstes Kriegsopfer zum Ziel haben, dann könnten die gegenwärtigen Zeichen einer gewissen Annäherung zwischen Washington und Teheran auch ein Hoffnungsschimmer für Syrien sein. »Regime change« in Damaskus ist aber nach wie vor angesagt. Und weil die Contras dabei überfordert sind, werden wohl wieder NATO-Militärinterventen aushelfen müssen. Dennoch ist die Kriegsdynamik nicht mehr ungebrochen.

**** Aus: junge Welt, Samstag, 28. September 2013


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