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Tauziehen in New York

Weiter Debatten über Syrien-Resolution im UN-Sicherheitsrat. Rußland bietet Hilfe bei Zerstörung von Chemiewaffen an. Assad antwortet Obama über Telesur

Von Rüdiger Göbel *

In New York verhandeln derzeit Diplomaten der fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrates über eine Syrien-Resolution. Offensichtlich Vertreter westlicher Staaten streuten am Donnerstag Gerüchte, eine Einigung stünde kurz bevor. So kolportierte die Nachrichtenagentur AFP, die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Rußland, China, USA, Frankreich und Großbritannien hätten sich auf »Hauptpunkte« eines Resolutionsentwurfs verständigt. Ein westlicher Diplomat habe der Agentur am Rande der UN-Generaldebatte erklärt, daß in dem Papier die Möglichkeit von Strafmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta erwähnt werde, also Militärangriffe für den Fall, daß Damaskus Vereinbarungen über die Vernichtung seiner Chemiewaffenbestände nicht nachkommt. Laut Süddeutsche.de herrschte »vorsichtiger Optimismus« unter den Botschafter, möglicherweise könnte bereits an diesem Freitag über das Dokument abgestimmt werden.

Letzte Meldung

Der UN-Sicherheitsrat sollte noch am Freitag (27. Sept.) über einen Resolutionsentwurf abstimmen, auf den sich die USA und Russland am Vortag verständigt hatten. Dieser sieht Sanktionen vor, sollte Syrien bei der Chemiewaffenvernichtung nicht kooperieren. Ein Militärschlag wird nicht ausgeschlossen, würde aber eine weitere Resolution erfordern.
Der Text, über den der Sicherheitsrat noch in der Nacht zum Samstag abstimmen sollte, würde Syriens Machthaber Baschar al-Assad verpflichten, den Inspekteuren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) "uneingeschränkten Zugang" zu geben und alle ihre Forderungen zu erfüllen. Binnen 30 Tagen sollen die Experten alle von Damaskus genannten Orte untersuchen, aber auch andere Stellen, an denen Chemiewaffen vermutet werden.
Werfen die OVCW-Experten Damaskus einen schweren Verstoß seiner Verpflichtungen vor, dann soll der Sicherheitsrat Strafmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta beschließen können. De facto kann Russland ber auch dann ein Veto einlegen.

Agenturen, 27.09.2013



Das Dementi der russischen Delegation kam prompt. Die Debatte über »bestimmte wesentliche Punkte« sei noch nicht abgeschossen. »Die angeblichen Berichte, wonach die fünf Vetomächte des Sicherheitsrates sich auf den Kern einer Syrien-Resolution geeinigt haben, stimmen nicht«, zitierte die Agentur Interfax einen namentlich nicht genannten russischen Diplomaten. In der Delegation Rußlands sei man »äußerst verwundert« über diese Informationen gewesen.

Moskau bot unterdessen an, bei der Zerstörung der syrischen Chemiewaffen zu assistieren. »Rußland kann etwa bei der Sicherung der Kampfstoffarsenale helfen«, erklärte der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow am Donnerstag laut Interfax. Außerdem könnten Experten die Zerstörung von Lagern und Fabriken für C-Waffen kontrollieren. Ein solcher Einsatz hänge allerdings von der Gesamtsituation in Syrien ab. »Der Prozeß wird sehr kompliziert.« Gleichzeitig begrüßte er die Rückkehr von UN-Inspektoren nach Syrien. Die Gruppe der Vereinten Nationen war am Mittwoch in Damaskus eingetroffen. Die Experten sollen etwa ein Dutzend Fälle untersuchen, bei denen mutmaßlich Giftgas eingesetzt wurde. »Wir erwarten ein ausgeglichenes Urteil«, sagte Rjabkow. Sein Chef, Rußlands Außenminister Sergej Lawrow, erklärte in einem Interview mit der Washington Post, das Nervengas Sarin, das im Frühjahr bei der syrischen Stadt Aleppo eingesetzt worden ist, sei identisch mit dem am 21. August bei Damaskus verwendeten. Die Untersuchungen russischer Experten hätten ergeben, das bei Aleppo verwendete Sarin sei »primitiv« gewesen, also selbst hergestellt. »Wir haben auch Belege dafür, daß das Sarin, das am 21. August bei Damaskus eingesetzt wurde, identisch war, nur die Konzentration war höher«, so Lawrow.

Syriens Präsident Baschar Al-Assad äußerte derweil im Interview mit dem lateinamerikanischen TV-Sender Telesur die Befürchtung, Aufständische könnten versuchen, den UN-Inspekteuren den Zugang zu den syrischen Chemiewaffendepots zu versperren. Ungeachtet seiner Kooperationszusage sei ein US-Militärangriff auf sein Land nicht auszuschließen, so Assad weiter, »sei es unter dem Vorwand von Chemiewaffen oder unter einem anderen Vorwand«. Mit Blick auf die von US-Präsident Barack Obama vorgebrachten Anschuldigungen vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York sagte der syrische Staatschef, der aufgrund von Embargomaßnahmen nicht direkt vor der UNO sprechen kann: »Diese Rede ist wie seine vorherigen Reden voller Behauptungen, die auf Fälschungen basieren und viele Lügen beinhalten.« Die meisten Erklärungen der Verantwortlichen der US-Regierung hätten nicht die »mindeste Glaubwürdigkeit«. Einmal mehr kritisierte Assad die Unterstützung der Aufständischen durch das Ausland, konkret nannte er Waffenlieferungen durch Saudi-Arabien.

Der Chef der exiloppositionellen »Nationalen Syrischen Koalition«, Ahmed Al-Dscharba, brach nach der Abspaltung mehrerer islamistischer Kampfverbände seine Werbetour in den USA ab. Er werde sofort nach Syrien reisen, um den Zwist zu beenden, meldete der arabische Sender Al-Arabija am Donnerstag. 13 in der Provinz Aleppo agierende Brigaden, darunter die berüchtigte Al-Nusra-Front, hatten am Mittwoch der im türkischen Istanbul residierenden »Koalition« jegliche Legitimation abgesprochen. Das Exilbündnis spreche nicht in ihrem Namen und dürfe deshalb auch keine Verhandlungen mit Assad führen. Die islamistischen Kampfgruppen bekräftigten, ein neues Syrien auf der Grundlage der Scharia anzustreben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. September 2013


Knackpunkt Sanktionen bei Syrien-Resolution

Angriff auf irakisches Konsulat in Damaskus / Streit der Assad-Gegner hält an **

Im UN-Sicherheitsrat wurde in den vergangenen zwei Tagen intensiv an einer neuen Syrien-Resolution gearbeitet. Wie weit man dabei schon ist, wird von den Akteuren aber unterschiedlich beantwortet.

Die Bemühungen um eine UN-Resolution zur Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals machen Fortschritte. Die fünf UN-Vetomächte verständigten sich in New York auf »Hauptpunkte« eines Resolutionsentwurfs, hieß es am Mittwoch aus westlichen Diplomatenkreisen. Aus dem russischen Umfeld verlautete aber, dass die Diskussionen über »bestimmte wesentliche Punkte« noch nicht abgeschlossen seien.

Ein westlicher Diplomat sagte, dass in dem Resolutionsentwurf die Möglichkeit von Strafmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta erwähnt würden. Allerdings enthalte die Kompromissfassung keine unmittelbare Sanktionsdrohung gegen die syrische Führung um Präsident Baschar al-Assad. Dieser selbst schloss gegenüber dem venezolanischen Fernsehsender Telesur einen Militärangriff der USA weiterhin nicht aus.

Am Mittwoch waren die Außenminister der Vetomächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York zu Gesprächen über die Syrien-Krise zusammengekommen. Ban hatte immer wieder die »beschämende Blockade« des Sicherheitsrats im Syrien-Konflikt gerügt.

Chemiewaffenexperten der UNO haben am Donnerstag ihren zweiten Einsatz in Syrien begonnen. Sie waren erstmals Mitte August nach Syrien gereist. In ihrem vorige Woche vorgelegten Bericht hieß es, es gebe »klare und überzeugende« Beweise für den Einsatz des Nervengases Sarin mit Boden-Boden-Raketen. Zu den Verantwortlichen des Angriffs äußerten sich die UN-Experten nicht.

Bei einem Granatenangriff auf das irakische Konsulat in Damaskus sind am Donnerstag eine Frau getötet worden, drei weitere Menschen wurden verletzt. Zu dem Angriff auf das Konsulat bekannte sich niemand. Neben Russland ist auch Irak gegen ein militärisches Eingreifen des Westens in Syrien, das von den Rebellen gewünscht wird.

Die syrische Opposition ist alarmiert von der Abspaltung mehrerer islamistischer Brigaden. Der Vorsitzende der im Exil in Istanbul residierenden Nationalen Syrischen Allianz, Ahmed al-Dscharba, will deshalb in die Provinz Aleppo reisen, um mit den abtrünnigen Kommandeuren zu sprechen. Das sagte Luai Safi, ein führendes Mitglied der Allianz, am Donnerstag in New York gegenüber dpa. Dscharba hatte am Rande der UN-Vollversammlung zahlreiche arabische sowie westliche Minister und Diplomaten getroffen.

Bassam Ishak, ein weiteres Mitglied der Allianz, sagte dem Emiratesender Al-Arabija: »Wir wollen diese Gruppen nicht bekämpfen, sondern sie integrieren.« Er warf den Islamisten vor, sie seien Assad auf den Leim gegangen, der seit Beginn des Aufstandes versuche, Extremismus zu schüren und interne Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen der Regimegegner zu provozieren. Die Allianz ist der Auffassung, die westlichen Regierungen hätten eine Mitschuld an der Radikalisierung der Revolution, weil sie die gemäßigten Rebellen nicht ausreichend unterstützt hätten.

Die 13 Brigaden, die vor allem in der Provinz Aleppo aktiv sind, hatten am Mittwoch erklärt, die Allianz habe keine Legitimität. Sie spreche nicht in ihrem Namen und dürfe deshalb auch keine Verhandlungen mit der Regierung führen. Zu den Brigaden, die der Opposition die Gefolgschaft verweigert haben, gehört auch die Nusra-Front. Die Kämpfer der Al Qaida nahestehenden Gruppe »Islamischer Staat in Irak und Syrien« zählen dagegen nicht dazu. Sie hatten die zivile Opposition ohnehin nie anerkannt.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 27. September 2013


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