Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streit um Kriegsdrohung

Russland lehnt militärische Sanktionen in UN-Resolution zu Syrien ab *

Nachdem die UNO-Experten am Montag den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien nachgewiesen hatten, wird über die Drahtzieher des Giftgasangriffs und Konsequenzen daraus weiter gestritten. Russland erklärte am Dienstag erneut, es sehe in dem Einsatz des tödlichen Gases Sarin am 21. August östlich von Damaskus eine gezielte Provokation durch syrische Rebellen. Deshalb lehne man eine UN-Resolution mit militärischem Drohpotenzial ab. Der Westen hingegen macht Syriens reguläre Armee verantwortlich und will, gedrängt von Frankreich, die Möglichkeit gewaltsamer Sanktionen in die Resolution eingebaut wissen.

Der französische Außenminister Laurent Fabius sagte in Moskau, es gebe »keinen Zweifel an der Verantwortung des Regimes in Damaskus«. Dem widersprach sein Kollege und Gastgeber Sergej Lawrow entschieden. Für ihn sei durchaus denkbar, dass syrische Rebellen den Angriff mit Sarin herbeigeführt haben könnten, um eine Militärintervention von außen zu erreichen. Chinas Außenministerium wollte sich am Dienstag nicht zur Schuldfrage äußern. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete den Einsatz von Giftgas in Syrien als »Kriegsverbrechen«. Er rief den Sicherheitsrat auf, Damaskus »Konsequenzen« anzudrohen, sollte es die Auflage nicht erfüllen.

»Auf solche selbstmörderischen Taktiken greift im Allgemeinen die Verliererseite zurück«, hieß es aus Damaskus. Die Rebellen hätten offenbar selbst Boden-Boden-Raketen hergestellt, um den tödlichen Kampfstoff zu transportieren. Washingtons UN-Botschafterin Samantha Powers hielt dem entgegen, es widerspreche »jeder Logik, dass die Opposition in vom Regime kontrollierte Gebiete eindringt, um von dort Gebiete in Oppositionshand zu beschießen«.

Ein am Montag vom türkischen Militär abgeschossener syrischer Armeehubschrauber befand sich nach Darstellung Syriens nicht im Kampfeinsatz. Die Hubschrauberbesatzung habe den Auftrag gehabt, das »Einsickern von Terroristen« aus der Türkei Richtung Syrien zu überwachen, erklärten die syrischen Streitkräfte. Der MI-17-Helikopter sei zwei Kilometer von der Grenze entfernt über türkischem Staatsgebiet geortet und nach Warnungen abgeschossen worden, sagte dagegen der türkische Vizeregierungschef Bülent Arinc. Der Hubschrauber ging allerdings auf syrischem Gebiet nieder. Die beiden Piloten konnten sich angeblich mit dem Schleudersitz retten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. September 2013


Wer hat hier wen ausgetrickst?

Ein möglicher USA-Plan für Syrien: Islamistenregierung ohne chemische Waffen

Von Hannes Hofbauer **


Handfeste Beweise gibt es nicht für einen Masterplan der USA in Sachen Syrien, doch die Logik hinter ihrem Rückzieher verheißt nicht unbedingt etwas Gutes.

Rufen wir uns nochmals den Ablauf der jüngsten Ereignisse in Erinnerung. Da wurde mehrere Monate in der UNO darüber verhandelt, ob, wann und wie viele Beobachter den Einsatz etwaiger chemischer Kampfstoffe im syrischen Bürgerkrieg untersuchen dürfen. Im März 2013 war nahe Aleppo erstmals in westlichen Medien von Giftgastoten die Rede gewesen. Am 18. August trafen dann UN-Inspektoren in Damaskus ein, drei Tage später meldeten saudi-arabische TV-Stationen, dass in einem Vorort von Damaskus Tausende Giftgasopfer zu beklagen seien. Die USA, Großbritannien und Frankreich riefen sogleich nach Bestrafung; an der Täterschaft syrischer Regierungsgruppen ließen sie keinen Zweifel. Die Spezialisten der UNO begaben sich nach mehrtägiger Verzögerung an den Ort des Grauens.

Dann ging alles noch schneller: Obama sah seine selbst gezogene »rote Linie« überschritten und kündigte einen Militärschlag an, Cameron, Hollande und Erdogan standen Gewehr bei Fuß. Putin und Lawrow zogen alle ihnen zur Verfügung stehenden Register, drohten indirekt mit der Lieferung der letzten Komponenten des Flugraketenabwehrsystems S-300 an Assad und ließen – angeblich – US-Außenminister Kerry auf dem glatten diplomatischen Parkett ausrutschen. Als dieser beiläufig erwähnt hatte, eine vollständige Chemiewaffenabrüstung Syriens würde die US-Pläne ändern, machte sein russischer Amtskollege Lawrow daraus Nägel mit Köpfen, sprich: einen Abrüstungsplan, der zur – vorläufigen – Rücknahme der US-Angriffspläne führte.

Was, wenn Kerry nicht beiläufig, sondern bewusst die Karte mit der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen gezogen hätte, nicht um des Friedens willen, sondern um eine zukünftige geopolitische Neuordnung im Nahen Osten für die USA problemloser gestalten zu können?

Der Plan dahinter könnte folgender sein: Washington kann in Syrien nicht mehr auf eine halbwegs laizistisch und westlich ausgerichtete Opposition bauen; dazu haben sich die Kräfteverhältnisse am Boden und im Exil zu stark geändert. Auch die Erfahrungen insbesondere in Libyen haben gezeigt, dass mit liberal-demokratischen Gruppen im aufgeheizten arabischen Ringen um die Macht kein Staat zu machen ist. Mit radikalen Islamisten wird Washington also leben müssen; die russische Alternative, eine weitere Unterstützung von Assad und/oder alewitschen Nachfolgern, kommt für Obama allem Anschein nach nicht in Frage. Dies vor allem deshalb, weil alle seine Verbündeten in der Region, von Saudi-Arabien über Katar bis zur Türkei, auf die sunnitische Karte setzen, wie rachsüchtig siegreiche Radikale auch sein mögen.

Eine Neuordnung, wie sie Washington vorschwebt, fußt auf drei Säulen: einer wirtschaftlichen, einer geopolitischen und einem Regimewechsel vor Ort. Zuoberst geht es um die Beseitigung wirtschaftlicher Hemmnisse für potenzielle große US-Investoren in einem vollständig geöffneten Markt, wie sie – für Washington viel zu zaghaft – von Assad bereits angegangen worden war. Der verheerende Krieg bietet zudem neue, noch vor kurzem ungeahnte Möglichkeiten im Wiederaufbau, an dem US-Firmen zu beteiligen sind. Ähnliche Wichtigkeit besitzt die Verdrängung Russlands aus dem Mittelmeer; der syrische Hafen Tartus ist der einzige feste Ankerplatz für die russische Marine im Mittelmeer. Und drittens streben die USA, wie immer bei Interventionen von Jugoslawien über Afghanistan bis Irak und Libyen, einen Regimewechsel an. Sie wünschen sich möglichst pflegeleichte Gesprächspartner im Inland, um ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen durchsetzen zu können. Dies ist, wie die Beispiele in Irak und Syrien zeigen, allerdings schwieriger als gedacht.

Aus all dem kann geschlossen werden, dass der – vorläufige – Verzicht der USA auf einen entscheidenden Militärschlag gegen Assad für die unterstellten Pläne nutzbringend sein kann. Radikale Islamisten an der Macht in Syrien sind zwar nicht die erste Wahl; wenn ihnen zuvor allerdings der Zugriff auf sämtliche Chemiewaffen entzogen wird und die USA selbst es sind, die über ihre Verbündeten die Qualität und Quantität ihrer zukünftigen Bewaffnung kontrollieren, dann sieht die Sache schon deutlich ungefährlicher aus. Ein Vorwand, um Assads Syrien nach seiner chemischen Entwaffnung zu bombardieren, wird sich allemal finden. Im Übrigen dürfte sich dieser mögliche US-amerikanische Plan auch mit den israelischen Wünschen decken. Islamisten an die Macht, so könnte die Losung aus Washington lauten, sie mögen kulturell und religiös stark sein, solange sie politisch zu handhaben und militärisch unter Kontrolle sind.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. September 2013


"Es gibt nach wie vor Zweifel an Assads Schuld"

CIA-Experte Ray McGovern über die Syrien-Krise, zweifelhafte geheimdienstliche Quellen und Kriegstreiber in den USA ***

Ray McGovern hat 27 Jahre lang als CIA-Beamter gearbeitet und war während dieser Zeit unter anderem für die morgendlichen Unterrichtungen des Führungsstabs von Präsident Ronald Reagan zuständig. Nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst zählte er zu den Mitbegründern der Friedensorganisation Veteran Intelligence Professionals for Sanity (etwa: Ehemalige Geheimdienstmitarbeiter für die Vernunft). Mit ihm sprach für »nd« Harald Neuber.


Die Obama-Regierung zeigt sich davon überzeugt, dass Syriens Präsident Baschar al-Assad chemische Waffen gegen seine Bevölkerung eingesetzt hat. Teilen Sie diese Ansicht?

Denis McDonough, der außenpolitische Berater der Regierung, hat für diese These sogar in den sonntäglichen Talkshows geworben. Er sagte wörtlich: »Niemand stellt nun mehr die Geheimdiensterkenntnisse darüber in Frage, dass das Assad-Regime im August chemische Waffen gegen das eigene Volk eingesetzt hat. Die ganze Welt glaubt das.« Später stützte er sich auf den »gesunden Menschenverstand«. Die Geheimdienste arbeiteten schließlich nicht wie ein Gerichtshof, fügte er an.

Den US-Kongress scheint das nicht überzeugt zu haben.

Nein, denn viele Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses hatten ja offensichtlich keine besondere Lust, sich der von McDonough angeführten »ganzen Welt« anzuschließen. Die Serie von Unterrichtungen des Kongresses, mit denen Präsident Obama das Einverständnis des Parlaments für einen Militärschlag gegen Syrien einholen wollte, blieb nicht nur ergebnislos, sondern war geradezu kontraproduktiv.

Das wurde in den Kommentaren des Vorsitzenden des Streitkräfteausschusses des Repräsentantenhauses, des kalifornischen Republikaners Buck McKeon, deutlich. McKeon ist nicht gerade eine Friedenstaube. Dennoch sagte er: »Nach meiner Einschätzung haben sie es« – er meinte den Einsatz der Chemiewaffen – »nicht direkt mit Assad in Verbindung bringen können.«

Vor dem soeben vorgestellten UN-Bericht über den Zwischenfall vom 21. August hatten US-Regierungsvertreter vor allem mit abgehörtem Funkverkehr nach den Geschehnissen argumentiert. Wie schätzen Sie diese Quellen ein?

Zunächst ist dieses Argument selbst bei uns in den USA umstritten. Von dem Abgeordneten Alan Grayson, einem Demokraten aus Florida, bis zu den Russen und Assad selbst fordern ja alle Kritiker die Veröffentlichung der US-Quellen, die eine direkte Verantwortung Assads für den Chemiewaffenangriff belegen sollen.

Auch aus dem UN-Bericht geht das nicht hervor. Dort wurden nur Details des Angriffs analysiert. Dennoch hat die US-Botschafterin bei der UNO, Samantha Power, den Report erneut als Beleg für die Schuld der Assad-Regierung angeführt. Londons Botschafter Mark Lyall Grant sagte, es gebe nun »keine Zweifel« mehr.

Es gibt nach wie vor Zweifel. Auch die Funksprüche wurden ja schon als Beleg angeführt. Grayson hat von Verteidigungsminister Chuck Hagel bereits Auskunft über Berichte gefordert, nach denen der Funkverkehr ...

... der übrigens vom deutschen Bundesnachrichtendienst abgehört wurde ...

... falsch interpretiert worden sein könnte. Tatsächlich haben sich die Syrer in dieser Kommunikation wohl selbst überrascht von dem Angriff gezeigt.

Wenn Sie auf die Debatte der vergangenen Woche und die erzwungene Kehrtwende der Obama-Regierung zurückblicken: Was ist falsch gelaufen?

Ich denke, dass Präsident Obama dem Beispiel Ronald Reagans folgen sollte, der nach dem libyschen Attentat auf die Westberliner Diskothek La Belle 1986 die Funksprüche veröffentlicht hat. Darin meldeten libysche Quellen aus Ostberlin den »Erfolg« der Aktion. Reagan hatte damals bewusst entschieden, dass der Nutzen durch die Offenlegung der nachrichtendienstlichen Quellen größer sei als der Schaden.

Stattdessen hat sich die Obama-Regierung in Genf mit Russland geeinigt. In den USA wird dieses Abkommen aber als Zeichen der Schwäche kritisiert.

Mit diesem »gemeinsame Abkommen zur Absicherung der schnellstmöglichen und sichersten Vernichtung des syrischen Chemiewaffenprogramms« wurden die Totenglocken für alle Pläne der Türkei, Israels und Saudi-Arabiens geläutet, die USA in einen Krieg mit Syrien zu ziehen. Vor allem die Rolle der Israel-Lobbyorganisation AIPAC (Amerikanisch-israelischer Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten) wurde in großen Medien wie der »New York Times« angesprochen. Das dennoch geschlossene Abkommen stellt die amerikanisch-russischen Beziehungen auf neue Füße, damit beide Seiten gemeinsam gegen die Gewalt im Nahen Osten vorgehen können. Dass sie in nur drei Tagen eine detaillierte Vereinbarung über ein so heikles Thema aus dem Boden stampfen konnten, ist fast ein Wunder. Ich kann mich an so etwas in den vergangenen 50 Jahren in Washington nicht erinnern.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. September 2013


»Ich bin sicher, daß beide Seiten Giftgas haben«

Auch wenn der Westen anderes behauptet: UN-Inspektoren fanden keinen Beweis, daß Assad Sarin einsetzte. Gespräch mit Jan van Aken ****

Jan van Aken ist stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei sowie außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Bundestag.


Die UN haben am Montag das Ergebnis ihrer Chemiewaffenkontrolleure zum Giftgas­einsatz in Syrien vorgelegt. Sind Sie dadurch schlauer geworden?

Daß es sich um Sarin handelte, war vorher auch schon bekannt. Das wurde nur vermutet – jetzt ist es eindeutig nachgewiesen. Das ist wichtig für die strafrechtliche Verfolgung.

Die entscheidende Frage, wer das Gas eingesetzt hat, ist aber immer noch nicht geklärt. Wurde das nicht untersucht?

Die UN-Kontrolleure hatten kein Mandat dafür. Ich behaupte mal, daß weder die USA noch Rußland ein Interesse daran haben. Alle Beteiligten wissen, daß ihre Argumente dünn sind – das trifft nicht nur auf den Bericht des US-Außenministers John Kerry zu, sondern auch auf die Behauptung Rußlands, die Rebellen seien es gewesen.

Beide Seiten haben wohl ein Interesse daran, die Frage lieber ungeklärt zu lassen, um nicht Gefahr zu laufen, das Gesicht zu verlieren. Auch wenn der Westen jetzt nachlegt, der Bericht beweise die Täterschaft von Syriens Präsident Baschar Al-Assad – es stimmt nicht. Ich habe den Bericht im Detail durchgearbeitet und nicht die geringste Bestätigung gefunden.

In dem Bericht heißt es, es seien »improvisierte Sprengköpfe« eingesetzt worden. Was ist das denn?

Im Bericht wird angedeutet, daß es improvisierte sein »könnten«. Gemeint sind wohl Geschosse, denen ein größerer Sprengkopf aufgesetzt wurde, als konstruktionsmäßig vorgesehen ist. Also: Auf eine kleine Rakete wird ein großer Sprengkopf geschraubt. Was das soll, weiß ich nicht – solche Dinger können nicht wirklich gut fliegen. Im Internet kursieren Videos, auf denen solche Raketen zu sehen sind, einige zeigen auch Soldaten der regulären syrischen Armee.

Nicht nur Rußland geht davon aus, daß es die Rebellen waren. Dafür gibt es starke Indizien – z.B. wurden vor wenigen Monaten bei einer Rebellengruppe in der Türkei zwei Kilogramm Sarin gefunden, dazu läuft jetzt auch ein Gerichtsverfahren.

Das beweist gar nichts. Ich bin sicher, daß beide Seiten solche Chemiewaffen haben. Die reguläre Armee sowieso, und es ist auch keine Frage, daß die Rebellen welche haben. Da wurden z.B. verschiedene Waffenlager erobert, es gab auch Überläufer, die das Zeug möglicherweise mitgebracht haben.

Es heißt ja, die Sarinkartuschen seien mit Boden-Boden-Raketen verschossen worden, die aus dem Arsenal der syrischen Armee stammen könnten.

Könnten. Selbst wenn Raketentrümmer mit dem Aufdruck »Eigentum der syrischen Armee« gefunden worden wären, heißt das nicht, daß die sie auch verschossen hat. Solche Raketen könnten durchaus den Rebellen in die Hände gefallen sein.

Die USA und Rußland hatten sich in der vergangenen Woche auf den Kompromiß geeinigt, dem Assad auch zugestimmt hat, daß Syriens Giftgasvorräte unter internationaler Kontrolle vernichtet werden. Haben Sie eine Vorstellung, wie das vor sich gehen soll?

Nicht so ganz. Zunächst muß geklärt werden, welche Art Giftgas wo und in welchen Mengen gelagert wird. Was in Vorratstanks lagert, könnte sehr schnell per Schiff abtransportiert werden. Schwierig wird es, wenn das meiste schon in Munition abgefüllt ist und vielleicht schon 30 Jahre lagert. Im Irak hatten die UN-Inspektoren ein Chemiewaffenlager gefunden, in dem uralte und schon halb verrottete Granaten lagen. Weil es zu gefährlich war, in den Bunker überhaupt hineinzugehen, wurde er kurzerhand zubetoniert. Vielleicht wissen wir Ende der Woche mehr – entsprechend dem amerikanisch-russischen Vierpunkteplan muß Assad bis dahin alle Informationen über seine Chemiewaffenvorräte auf den Tisch legen.

Sie plädieren dafür, daß die Verantwortlichen sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen. Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Das Gericht kann auf Grundlage des UN-Berichts ein Ermittlungsverfahren einleiten. Unter den Bedingungen des Bürgerkrieges ist es sicher schwierig, die Verantwortlichen schnell zu ermitteln; das macht aber nichts. Irgendwann fangen Leute an zu quatschen oder man findet Dokumente. Letztlich wird man diese Kriegsverbrecher identifizieren.

Interview: Peter Wolter

**** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. September 2013


Die Medien und der UN-Chemiewaffenreport

Sollten die Regierungen der USA und Frankreichs doch noch Syrien bombardieren lassen, begehen sie nach derzeitiger Faktenlage einen Völkerrechtsbruch

Von Clemens Ronnefeldt *****


Jede Person, die einigermaßen der englischen Sprache mächtig ist, hat derzeit die Möglichkeit, die Berichterstattung der Medien über den UN-Chemiewaffenbericht bezüglich des Einsatzes von Giftgas in Syrien mit dem Original zu überprüfen. Der Report ist im Internet nachlesbar (kurzlink.de/chemiewaffen-syrien). Auf Seite 8 des PDF-Dokumentes findet sich unter den Punkten 27 bis 30 eine Zusammenfassung, die mit dem Satz endet: »This result leaves us with the deepest concern – Dieses Ergebnis läßt uns mit tiefster Sorge zurück.« Auf den Seiten 22 bis 25 finden sich Aufnahmen von Raketen(teilen) in Damaskus. Während die UN-Experten eine Schuldzuschreibung, wer für den Abschuß der Raketen verantwortlich ist, vermeiden – sie hatten dazu auch nicht den Auftrag –, gehen zahlreiche deutsche Medien über die bloße Berichterstattung der Fakten des Berichts weit hinaus – und klagen Syriens Präsidenten Baschar Al-Assad als Verantwortlichen an.

»Es ist ein Report des Grauens: In ihrem Bericht an den Sicherheitsrat bestätigen die UN-Inspektoren den Giftgaseinsatz in Syrien. Die Schuldfrage umgehen sie dezent. Doch die von ihnen gesammelten technischen Details lassen kaum Zweifel, daß das Assad-Regime verantwortlich ist«, urteilte Spiegel-online-Korrespondent Marc Pitzke aus New York. Im Bericht heißt es weiter: »›Die technischen Einzelheiten des UN-Berichts machen deutlich, daß nur das Regime diesen großangelegten Chemiewaffenangriff unternommen haben kann‹, sagte Samantha Power, die UN-Botschafterin der USA, nach der Sitzung. Darauf deuten nicht nur die aufgefundenen ›professionellen‹ Waffen hin – Raketen, wie sie das syrische Regime nutzt. ›Es gibt nun keinen Zweifel mehr, daß das Regime Chemiewaffen eingesetzt hat‹, sekundierte auch der britische UN-Botschafter Sir Mark Lyall Grant. Der Bericht habe bestätigt: ›Das Regime war verantwortlich.‹ Ähnlich äußerte sich Frankreichs stellvertretender UN-Botschafter Alexis Lamek.«

Die Internetseite der FAZ titelte: »Nur Assad ist zu solch einem Angriff fähig« und führte aus: »In Syrien ist nach Einschätzung der UN-Inspekteure am 21. August Sarin-Gas eingesetzt worden. Für Amerika und Frankreich steht fest: Machthaber Assad hat das befohlen:« Ähnlich berichtete Die Welt (»Westen macht Assad für Nervengas verantwortlich«), auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung schrieb Paul-Anton Krüger: »Der Bericht weist keiner der Seiten in dem Bürgerkrieg die Verantwortung für den Angriff zu, das ließ das Mandat auch nicht zu. Er liefert aber starke Indizien dafür, daß Truppen des Regimes von Präsident Baschar Al-Assad die Urheber sind.«

Auch wenn die Raketen vermutlich russischer Bauart sind und »aus Nordwesten« flogen, wo »von der Regierung kontrollierte Gebiete« »in dieser Richtung liegen« (SZ, 17.9.2013): Nach intensiver Lektüre des UN-Dokumentes findet sich kein einziger Satz oder Abschnitt, der die in den Medien vorgenommene Interpretation rechtfertigt.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nannte bei der Vorstellung des Giftgasberichtets den Einsatz von Sarin »ein Kriegsverbrechen«. Paul-Anton Krüger schrieb dazu in der SZ: »Die USA und Frankreichs Außenminister Laurent Fabius werteten den Bericht als Bestätigung für die Verantwortung Assads. Er stärke die Haltung derer, ›die gesagt haben, daß das Regime schuld ist‹, sagte Fabius. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle vermied hingegen Schuldzuweisungen, er sprach von einem ›zivilisatorischen Verbrechen‹, die Verantwortlichen müßten vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt werden.«

Die Wortwahl des UN-Generalsekretärs (»Kriegsverbrechen«) hat auch völkerrechtliche Bedeutung: Sie rechtfertigt die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofes, nicht aber eine Bestrafung durch eine militärische Intervention. Nur die Wortwahl »Gefahr für den Weltfrieden« hätte eine solche nach sich ziehen können. Der UN-Generalsekretär versucht weiterhin, mit seiner vermutlich sehr bewußten Wortwahl eine solche Militärintervention in Syrien zu verhindern.

Sollten die Regierungen der USA und Frankreichs doch noch Syrien bombardieren lassen, begehen sie nach derzeitiger Faktenlage einen Völkerrechtsbruch.

***** Clemens Ronnefeldt arbeitet als Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes. Der Verband hat Beraterstatus bei der UNO.

Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. September 2013



Verhärtete Front

Von Olaf Standke ******

Nach dem Report ist vor der Resolution. Kaum lag der Bericht der UN-Inspektoren über einen Giftgasangriff nahe Damaskus vor, entzündete sich der Streit über seine Konsequenzen. Keinen Zweifel lassen die Experten daran, dass am 21. August Chemiewaffen eingesetzt wurden. Keinen Zweifel haben westliche Staaten, dass das Regime die Verantwortung dafür trägt. Aber das ist eine nicht nur von Moskau angezweifelte Interpretation, die Schuldfrage gehörte nicht zum Mandat der Inspektoren. Sie wird nun aber die Debatte um die von Russland und den USA vereinbarte Resolution des Weltsicherheitsrates zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen prägen. Denn hinter der von Washington oder Paris geforderten »harten« Entschließung verbirgt sich wieder die Drohung mit einem Militärschlag. Gestern hinterließen der russische Außenminister und sein französischer Kollege nach ihrem Treffen eine verhärtete Front.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte den Giftgaseinsatz jetzt völlig zu Recht als »Kriegsverbrechen«. Die Verantwortlichen gehören vor Gericht, in diesem Fall den Internationalen Strafgerichtshof, der auch im Auftrag des Sicherheitsrates Ermittlungen einleiten kann. Es wäre fatal, wenn der russisch-amerikanische Plan zur Liquidierung der syrischen Massenvernichtungswaffen ausgerechnet am Streit um eine UN-Resolution zu seiner Umsetzung scheitern – und damit auch die Chance auf weiterführende Waffenstillstandsverhandlungen begraben würde.

****** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. September 2013 (Kommentar)


Reaktion: Damaskus weist Drohungen zurück

Nach der Veröffentlichung des Berichts der UN-Inspektoren über den Einsatz von chemischen Kampfstoffen östlich von Damaskus konzentrierten sich am Dienstag syrische Medien vor allem auf die Reaktion der drei Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs. John Kerry, William Hague und Laurent Fabius waren in Paris noch vor der Übergabe des Reports an den UN-Sicherheitsrat vor die Presse getreten und hatten Syrien erneut mit Militärschlägen gedroht. Die drei Minister interpretierten nahezu wortgleich den Bericht der UN-Waffeninspektoren als Beweis dafür, daß die syrischen Streitkräfte für den Angriff mit Chemiewaffen am 21. August verantwortlich seien. Nur sie hätten die technischen Möglichkeiten dafür.

Eine namentlich nicht genannte Quelle im syrischen Außenministerium kritisierte diese Äußerungen scharf. Die Vertreter der USA, Frankreichs und Großbritanniens hätten in ihren Stellungnahmen ihre »wahren Absichten in Syrien offenbart«, zitierte die syrische Nachrichtenagentur SANA die Quelle. Sie hätten versucht, die Ergebnisse des innersyrischen Dialogs vorwegzunehmen, um den Syrern ihre eigenen Vorstellungen aufzuzwingen. Die drei UN-Vetomächte versuchten, unter dem Vorwand einer politischen Lösung die Krise in Syrien zu verlängern – unter anderem durch die Unterstützung von bewaffneten »Terrorgruppen« wie der Al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front.

George Jabbour, Professor für Geschichte und Philosophie in Damaskus, erklärte gegenüber junge Welt, daß es bei den Vereinten Nationen leider üblich sei, bei strittigen Fragen eine »sehr dehnbare Sprache« zu benutzen. Der Bericht sei offenbar so formuliert, »daß jede Seite ihn nach eigener Anschauung interpretieren« könne. Rußland, China und andere Staaten hätten eine andere Sicht der Dinge und hätten sich dahingehend geäußert. Die Pressekonferenz von Hague, Fabius und Kerry in Paris untergrabe die Vereinbarung, auf die sich Kerry und Lawrow in dreitägigen Verhandlungen geeinigt hätten, so Jabbour. »Wenn Kerry und Lawrow zusammen sind, ist eitel Sonnenschein. Kaum ist Kerry woanders, widerspricht er allem, was aus Rußland kommt.« (kl)

(junge Welt, Mittwoch, 18. September 2013)




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