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Alles Dänische steht in Aleppo auf dem Index

Lebensmittel werden immer teurer in Syrien, die anhaltenden Kämpfe sind nur ein Grund dafür

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Derzeit hält sich die UN-Sondergesandte für Kinder in bewaffneten Konflikten, Leila Zerrogui, in Syrien auf, um den Schutz Minderjähriger im Krieg zu erörtern. Zerroguis Büro zufolge werden Kinder als menschliche Schutzschilde missbraucht, als Kindersoldaten oder Lastenträger. In mehreren Regionen des Landes gingen derweil die Kämpfe weiter.

Maadamiya wird belagert. Die syrischen Streitkräfte haben ihren Ring um den Vorort im Westen von Damaskus immer enger gezogen und türmen einen Sandwall entlang der Hauptstraße auf, die an Maadamiya vorbei in Richtung Kuneitra führt. Im 19. Jahrhundert siedelten in dem Ort Bauern, die von ihrer Viehzucht und ihren Oliven lebten. Das berichtete der Schweizer Reisende Johann Ludwig Burghardt, der im Jahre 1810 seine »Reise durch Syrien und das Heilige Land« unternahm.

Nur wenige Olivenhaine sind Maadamiya noch geblieben, das in den letzten 15 Jahren – wegen seiner Ruhe und der niedrigen Preise – einen nie gekannten Bauboom erlebte. Seit Sommer 2012 haben die meisten der etwa 25 000 Einwohner den Ort verlassen.

Heute sollen sich mehrere tausend regierungsfeindliche Kämpfer in Maadamiya aufhalten. Die Armee lässt keine Nahrungsmittel passieren. Strom, Telefon- und Internetleitungen sind abgestellt, Müllberge türmen sich in den Straßen. Auch Wasser soll es nicht mehr geben. »Wir leben von Ratten und Gras«, erklärt ein Mann per Skype, der sich als Aktivist bezeichnet. Seine Internetverbindung hat er per Satellit hergestellt, das technische Zubehör dafür hat er aus dem Ausland erhalten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und der Syrische Arabische Rote Halbmond haben mehrfach erfolglos den Zugang zu dem Ort gefordert. Das Militär scheint entschlossen, die Kämpfer und die Zivilisten, die sich dort noch aufhalten, auszuhungern.

In der zweitgrößten Stadt Aleppo im Nordosten gibt es Lebensmittel. Ein Kilo Tomaten kostet 500 Syrische Pfund (SYP), ein Kilo Zucker 275 SYP, ein Kilo Reis 370 SYP. 300 SYP entsprechen etwa einem Euro. Damit seien die Preise für Grundnahrungsmittel, Obst, Gemüse, Getränke bis zu Fleisch und Benzin teils auf das Vierfache gestiegen, schreibt eine Einwohnerin von Aleppo an ihre Freundin in Damaskus. Sie wohnt in dem Teil der Stadt, der unter offizieller syrischer Kontrolle ist, dem »freien Aleppo«, wie die Menschen dort auch sagen.

Doch frei wie früher ist das Leben in Aleppo lange nicht mehr. Der Nachschub aus dem Umland wird von bewaffneten Gruppen behindert oder unterbrochen. Als das Dänische Rote Kreuz kürzlich Hilfsgüter nach Aleppo liefern wollte, musste es mit mehr als einem dutzend Gruppen verhandeln. Die Dänen hätten schon mit fast allen Stellen die Durchfahrt vereinbart gehabt, doch die letzte Stelle habe sich verweigert, weil die Hilfsgüter aus Dänemark kamen. »Sie wissen doch, Dänemark ist das Land mit den Mohammad-Karikaturen«, sagt die Mitarbeiterin. Dänische Produkte werden von islamistischen Organisationen – und dazu zählen die meisten Anti-Assad-Kämpfer – boykottiert.

Die Syrer zahlen einen hohen Preis für den Krieg in ihrem Land, der nichts mehr mit den Forderungen der Protestbewegung von einst zu tun hat. Es gehe häufig um Interessen der einzelnen Guerillagruppen, sagt der Ökonom Nabil Sukkar gegenüber »nd« in Damaskus. Sie seien an Waffenstillstand wenig interessiert, weil ihre Geldquellen dann versiegen würden. Sie finanzieren sich sowohl aus dem Ausland als auch aus Syrien selber, wo sie sich – mit Waffengewalt – Einkommensquellen verschafft hätten. Ein Beispiel dafür sei die – unprofessionelle – Ausbeutung von Ölquellen im Norden und Osten des Landes, von der diese Gruppen profitierten. Leider habe die EU die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien nicht für das Land, sondern ausgerechnet für diese Gruppen aufgehoben, kritisiert der Ökonom.

Syrische Geschäftsleute sollen seit Kriegsbeginn elf Milliarden Dollar nach Libanon transferiert haben, heißt es in einem Bericht der UN-Kommission für Wirtschaft und Soziales für Westasien. Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei 49 Prozent.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Juli 2013


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