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Aufteilung Syriens

Gegenwärtige Auseinandersetzungen in arabischer Republik verlaufen entlang der Linien aus altem Zerlegungsplan des US-Geheimdienstes CIA

Von Pepi Berger, Damaskus *

Wer die Situation in Syrien verstehen möchte, muß sich mit der Geschichte auseinandersetzen. Begonnen hat dieser Konflikt bereits 1920. Die Osmanen mußten sich damals auf das Gebiet der heutigen Türkei zurückziehen. Unter der Leitung des Völkerbundes, der Vorläuferorganisation der heutigen UNO, dominiert von Frankreich und Großbritannien, begann die Aufteilung der ehemaligen osmanischen Provinz Großsyrien. Aus ihr wurden Palästina und der Libanon im Westen, Jordanien im Süden und im Osten der Irak – neben Syrien.

Bereits 1952 erstellte die CIA einen neuen Teilungsplan, um eventuelle Übergriffe auf Israel zu verhindern. Unter der Bush-Regierung ließ Condoleezza Rice diesen verändern, und die USA begannen, den neuen umzusetzen. Den Anfang machte man im Irak.

Bereits seit langem subventionieren die USA syrische Oppositionsgruppen, nach eigenen Angaben mit etwa sechs Millionen Dollar jährlich, um die Unzufriedenheit zu schüren. Unbestätigten Meldungen zufolge sollen die Jugendlichen in Daraa im Auftrag und gegen Geld regierungsfeindliche Losungen an Hauswände gesprüht haben. Daraufhin ließ der Geheimdienstchef von Daraa sie inhaftieren. Dies führte zu breiten Protesten in der Bevölkerung und zur Forderung nach Absetzung des Beamten und dessen Verurteilung. Der Geheimdienstchef wurde tatsächlich seiner Ämter enthoben. Da er aber ein Mitglied der Assad-Familie ist, wurde bislang keine Anklage erhoben. In der Folge kam es zu Auseinandersetzungen, die in einen bewaffneten Kampf ausarteten.

Diese Umstände brachten Washington der Realisierung seiner Pläne ein großes Stück näher. Eine Abspaltung des Südens von Syrien entspricht genau dem US-Teilungsplan. Dieses Gebiet soll in Zukunft Jordanien zugeschlagen werden. Damit verlöre Syrien den sogenannten Hauran, die Kornkammer des Landes.

Noch während die Auseinandersetzungen in Daraa anhielten, begannen Demonstrationen in den Küstengebieten. Kurze Zeit später überzogen Demonstrationen Homs und Hama bzw. Maarat Numan.

Bei den Protesten wurden Demonstranten von Heckenschützen erschossen, in Banias wurde ein syrischer Militärkonvoi angegriffen. Bei diesem ersten bewaffneten Überfall starben sieben Soldaten und drei Offiziere.

Nach bislang unbestätigten Meldungen aus Botschaftskreisen im Libanon legte ein deutsches Schiff mit Waffen in Tarabulus (Tripoli) im Libanon an. Die waren jedoch nicht, wie man vermuten könnte, für die Hisbollah bestimmt; diese Waffen sollen auf direktem Wag nach Syrien geschafft worden sein. Westliche Diplomaten in Syrien bezeichnen diesen Vorgang als nicht bewiesen.

In Tel Kalakh an der libanesischen Grenze kam es zu ersten Auseinandersetzungen um Waffen. Dieser Ort ist aufgrund der strategischen Lage seit Jahrhunderten eine Schmugglerstadt. Dort wurden seit den 60er Jahren Waren, die es in Syrien nicht gab, ins Land geschmuggelt. Nach der wirtschaftlichen Öffnung Syriens beschränkte man sich auf den Diesel- und Waffenschmuggel. Die libanesische und die syrische Regierung ließen die Schmuggler gewähren. Offiziell ist es zwar für Privatpersonen verboten, Waffen zu tragen. Da dies aber in der arabischen Gesellschaft eine Tradition ist, läßt sich dieses Verbot kaum durchsetzen.

Als die syrische Armee nun den Waffenschmuggel stoppen wollte, kam es zu Gefechten. Nach Räumung der Waffenlager zog sich die Armee wieder zurück. Wenige Tage später stellt der Geheimdienst fest, daß es in Dschisr Al-Schughur zu einem massiven Zuzug von Männern kam.

Als die Armee anrückte, wurden angeblich Panzer vernichtet, zwei Hubschrauber sollen abgeschossen worden sein. Schon bald gaben die Behörden keine Zahlen der verletzten oder getöteten Soldaten mehr bekannt.

Vergleicht man diese Ereignisse mit der amerikanischen »Neuordnung«, wird offensichtlich, daß die letztgenannten Unruhen genau in jenem Gebiet stattfinden, das nach dem amerikanischen Teilungsplan später an den Libanon angegliedert werden soll.

Das ist die gesamte Küste von der libanesischen Grenze bis nach Iskenderon, heute in der Provinz Hatay zur Türkei gehörig. Dieses Gebiet ist eines der wasserreichsten Syriens und landwirtschaftlich sehr bedeutend.

Was bleibt am Tag nach der Abtrennung von Syrien, das bislang seine 23 Millionen Menschen nahezu selbst versorgen konnte? Es wird zu vier Fünfteln aus Stein- und Sandwüste bestehen und wäre in keiner Weise lebensfähig. Es wäre nicht nur arm und abhängig, sondern würde der internationalen Gemeinschaft unermeßliche Kosten verursachen.

* Aus: junge Welt, 21. Juni 2011


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