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Wachsende soziale Spannungen in Syrien

Libanon-Krieg mit wirtschaftlichen Auswirkungen / Mehr irakische und palästinensische Flüchtlinge

Von Karin Leukefeld *

Nach dem Krieg in Libanon befindet sich auch die syrische Wirtschaft auf Talfahrt. Die ohnehin prekäre soziale Situation im Land hat sich verschärft.

Nach Angaben des syrischen Innenministers Bassam Abdel Majid haben seit dem Krieg in Libanon mehr als 81 000 syrische Arbeiter das Nachbarland verlassen, wo sie jahrelang in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und im Tourismusbereich gearbeitet hatten. Der syrische Wirtschaftsexperte Dr. Nabil al-Saman hofft zwar, dass diese Krise bald vorüber sei, doch noch ist das Zukunftsmusik. Der Krieg hat den libanesischen Wirtschaftsboom in Schutt und Asche gebombt und Tausende Arbeitsplätze vernichtet.

Für die syrische Wirtschaft ist die hohe Zahl an Rückkehrern eine enorme Belastung. Bisher konnten die syrischen Gastarbeiter in Libanon fast das Doppelte von dem verdienen, was sie in ihrer Heimat bekommen hätten. Ihr Geld ernährte in Syrien ganze Familien. Bis zum Frühjahr 2005 arbeiteten schätzungsweise eine halbe Million Syrer in Libanon. Während der Erntezeit fuhren syrische Tagelöhner täglich zwischen den libanesischen Feldern und ihrer Wohnung in Syrien hin und her. Das änderte sich drastisch mit der Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar 2005 und dem anschließenden Rückzug der syrischen Truppen. Vielerorts in Libanon herrschte offene Feindschaft, es kam zu tätlichen Übergriffen gegen syrische Arbeiter, die daraufhin in Massen Libanon verließen.

Für viele wird es schwierig sein, in Syrien wieder Arbeit zu finden, wo die Arbeitslosenrate auf 20 Prozent geschätzt wird. Zu viele Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt, der durch die politische und wirtschaftliche Isolation des Westens stagniert. Das Land versorgt zudem seit den 1950er Jahren palästinensische Flüchtlinge, inzwischen eine halbe Million. Seit der USA-geführten Invasion in Irak 2003 sind außerdem laut einem Bericht des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge (UNHCR) mindestens ebenso viele Iraker nach Syrien geflohen, die Hälfte davon Kinder.

Doch nicht nur irakische Flüchtlinge suchen Schutz in Syrien, auch Palästinenser aus Irak sind auf der Suche nach Sicherheit. Nachdem Syrien im Frühjahr einer Gruppe von 287 Palästinensern die Einreise erlaubt hatte, die zuvor monatelang erst an der irakisch-jordanischen, dann an der irakischsyrischen Grenze ausharrten, wartet inzwischen eine weitere Gruppe palästinensischer Flüchtlinge am Grenzposten Tanaf. Nach Angaben der Syrischen Menschenrechtsorganisation SOHR sind unter den 344 Flüchtlingen 150 Kinder. Die syrische Regierung versorgt die Flüchtlinge zwar mit Medikamenten und ärztlicher Betreuung, weigert sich aber bisher, die Menschen aufzunehmen. Offenbar befürchtet Damaskus, dass noch mehr Palästinenser aus Irak folgen würden.

Die Rückkehrer aus Libanon, dazu mehr als eine Million palästinensische und irakische Flüchtlinge sind für die syrische Wirtschaft eine große Herausforderung. Hinzu kommt die hohe Rate an Kinderarbeit, die in Syrien eigentlich verboten ist. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der arbeitenden Mädchen und Jungen im Alter von 10 bis 17 Jahren auf 600 000. Ein reformiertes Gesetz erlaubt Kindern erst ab 15 Jahren eine regelmäßige Beschäftigung. Dabei geht es besonders um Kinder aus armen, ländlichen Familien, die oft in familieneigenen Betrieben helfen müssen, manche laut UNICEF bis zu 46 Stunden pro Woche. In einem Bericht über die menschliche Entwicklung in Syrien, der im Juli gemeinsam von der Syrischen Staatlichen Planungskommission und dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) veröffentlicht wurde, heißt es, rund ein Viertel der syrischen Schüler verließen die Schule vor Abschluss der Grundstufe, um zu arbeiten.

Dennoch sind die Schulen in Damaskus völlig überlastet, weil aufgrund der Landflucht und hoher Flüchtlingszahlen immer mehr Kinder zu unterrichten sind. Die Klassenstärke betrage mittlerweile 50 Schüler, sagt Ghazwan al-Wazz, Leiter der Bildungsbehörde in Damaskus gegenüber dem UNInformationsnetzwerk (IRIN). In einigen Schulen müssten Lehrer in doppelten Schichten arbeiten.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2006


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