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Bürgerkrieg und Schokolade

Unternehmer Syriens stehen in den Startlöchern zum Wiederaufbau – wenn denn der Krieg endlich vorbei wäre

Von Karin Leukefeld, Beirut *

In Aleppo haben Regierungstruppen den Anführer der radikalislamischen Brigade Liwa al-Fatah, Jussef al-Abbas, getötet. Diese rächte sich mit dem Kidnapping von Zivilisten. Der Krieg geht weiter.

Herr Dalati ist Schokoladenfabrikant in Damaskus. Seine Familie lebt im Ausland, doch Dalati bleibt. »Wie kann ich meine Heimat aufgeben?«, fragt er und fährt sich mit den Händen durch die weiß gewordenen Haare. »Schließlich haben wir auch den Betrieb hier.« Im Frühjahr 2012 musste die Produktion der Dalati-Schokolade aus einer Kampfzone heraus näher an die Hauptstadt verlegt werden. Die Sanktionen erschwerten und verteuerten den Import von Zutaten, die Kaufkraft der Kunden ließ nach. Als die Kämpfe im Herbst 2012 auch die neue Fabrik erreichten, schloss Dalati den Betrieb. »Jetzt haben wir alle Maschinen und Zutaten in eine neue Fabrik im Midhat Pascha in die Altstadt gebracht«, erzählt der 70-Jährige in seinem kleinen Verkaufsgeschäft hinter dem Hidjaz-Bahnhof. »In den nächsten Tagen werden wir die Produktion neu anfahren. Inschallah, hoffen wir dass alles gut wird.«

Die Geschichte Dalatis ist nur eine von vielen, die Unternehmer der alten Schule zu erzählen haben, die ihren heutigen Reichtum dem Unternehmergeist ihrer Väter und Großväter zu verdanken haben. Seit mehr als zwei Jahren sind ihre Einnahmen bis zum Nullpunkt zurückgegangen, dennoch geben sie nicht auf. »Wenn jetzt die Genfer Gespräche zustande kommen, Russland und die USA sich über unsere Zukunft geeinigt haben, wird der Krieg hoffentlich dem Ende zu gehen«, überlegt er. »Wir werden Syrien wieder aufbauen«.

Für Unternehmer, die auf Kapital und Erspartes zurückgreifen können, ist ein Neuanfang möglich. Für diejenigen, die vor Beginn des Krieges nur ein bescheidenes Einkommen hatten, hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Hunger und der Neuausbruch der Kinderlähmung in Syrien zeigen den wirtschaftlichen und sozialen Rückfall des Landes, das 2010 noch ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent hatte.

Vor einem knappen Jahr begann die UN-Kommission für Wirtschaft und Soziales in Westasien (ESCWA), eine »Nationale Agenda für die Zukunft Syriens« zu entwickeln. Beim ersten Treffen kamen 25 Teilnehmer aus Syrien, beim letzten Treffen Ende Oktober waren es 170. Erstmals trafen dabei auch hochrangige Beamte der syrischen Regierung mit oppositionellen Politikern wie Haitham Manna und Hussein Oudad zusammen, war aus Teilnehmerkreisen zu erfahren. Die Bundesregierung stellt dem Programm eine Million Euro zur Verfügung. In einen von der oppositionellen Nationalen Koalition kontrollierten Wiederaufbaufonds der westlichen »Freunde Syriens« zahlte Berlin zehn Millionen Euro ein.

Der Ökonom Nabil Sukkar, der in Damaskus ein Büro für Unternehmensberatung leitet, zeigt sich beeindruckt von dem ESCWA-Projekt. Ihm sei wichtig, dass weder die Initiatoren vom Ausland gesponsorter Gremien noch die Nationale Koalition im Wiederaufbauprozess Syriens das Sagen hätten. »Es ist eine nationale syrische Aufgabe, die von uns, den Syrern in Syrien, geleistet werden muss«, sagt er.

Geleitet wird das Projekt vom früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten für Wirtschaft, Abdullah Dardari, der 2011 entlassen wurde. Seitdem steht er der Abteilung für Wirtschaftliche Entwicklung und Globalisierung bei ESCWA vor. Dardari, der wegen seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik von vielen Syrern für die Zunahme der wirtschaftlichen Ungleichheit verantwortlich gemacht wird, sieht in dem Programm eine wichtige Grundlage für den Wiederaufbau Syriens. ESCWA mache Vorschläge und schreibe nicht vor, erläutert Dardari im Gespräch in Beirut. Er sei überzeugt davon, dass, wenn der Krieg in Syrien aufhöre, innerhalb von sechs Monaten syrische Unternehmer sowie die intellektuelle Elite nach Syrien zurückkehren.

Ein Bericht des UN-Entwicklungsprogramms spricht derweil von einem »schweigenden Krieg gegen die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung« Syriens. Einer informellen Faustregel zufolge dauert der Wiederaufbau nach einem internen Krieg oder Konflikt erheblich länger als die Zerstörung. Sollte der Krieg in den nächsten Monaten enden, muss mit einer Wiederaufbauphase von bis zu 30 Jahren gerechnet werden.

Hassan Abdulazim vom oppositionellen Koordinationsbüro für demokratischen Wandel in Syrien sagte im Gespräch mit »nd« in Damaskus, der Wiederaufbau Syriens sei für seine Allianz ein zentrales Thema bei den Genf-II-Gesprächen. Man strebe eine internationale Wiederaufbaukonferenz unter dem Dach der Vereinten Nationen an und unterstütze auch die ESCWA-Initiative, sofern sie den Interessen Syriens diene. Verhindern wolle man neoliberale Projekte, die zu einer wirtschaftlichen und sozialen Spaltung des Landes geführt hätten. Außerdem müssten »Staaten, die an der Zerstörung Syriens beteiligt waren«, daran gehindert werden, »beim Wiederaufbau ihre Interessen durchzusetzen«.

* Aus: neues deutschland, Montag, 18. November 2013

Karin Leukefeld

referiert auf dem Friedenspolitischen Ratschlag 2013 zum Thema:
Der Krieg gegen Syrien ist vertagt. Die Gefahr bleibt bestehen
Workshop B6 am Samstagnachmittag 7. Dezember 2013.
Zum ganzen Programm des Friedensratschlags.



Offensive bei Aleppo **

Syrien: Regierungstruppen nehmen Flughafen ein

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Nach der Wiedereinnahme strategisch wichtiger Ortschaften und der Luftwaffenbasis 80 südöstlich von Aleppo haben die syrischen Streitkräfte ihre Offensive verschärft. Am Freitag meldete das Staatsfernsehen die Einnahme von Tel Hasel, das etwa zehn Kilometer südöstlich der früheren Wirtschaftsmetropole liegt. Der Flughafen von Aleppo soll demnach wieder sicher sein.

Aleppo, dessen Einwohner sich kaum an den Protesten gegen Präsident Baschar Al-Assad beteiligt hatten, ist seit einer Offensive bewaffneter Gruppen im Sommer 2012 gespalten. Islamische und Islamistische Gruppen sowie die mit diesen Gruppen verbündeten Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« (FSA) waren aus der Provinz Idlib und aus der Türkei auf Aleppo vorgerückt und hatten Stadtviertel im Westen und Norden der Stadt eingenommen. Nachschub erhielten die Kämpfer aus der Türkei. Rund zwei der mehr als drei Millionen Einwohner von Aleppo sind geflohen.

Aus den internen Kämpfe der vergangenen drei Monate waren unter den bewaffneten Gruppen die Islamisten als Sieger hervorgegangen. Hauptsächlich drehten sich die Konflikte dabei um Kriegsgerät, Munition und strategisch wichtige Stützpunkte. Ziel der Al-Qaida nahestehenden Gruppen ist es, ein »islamisches Khalifat im Irak und in der Levante« (Großsyrien) zu errichten. Offenbar unter Druck des Westens stoppt die türkische Regierung inzwischen den Transport von Waffen und Kämpfern und hat Grenzübergänge geschlossen. Entsprechend geschwächt sind die Rebellen. Bei einem gezielten Angriff auf ein Treffen hochrangiger Führer der von Katar unterstützten Al-Tawhid-Brigade in Aleppo soll Medienberichten zufolge am Freitag der für Finanzen zuständige Kommandeur Youssef Al-Abbas getötet worden sein. Der Oberkommandierende der Brigade, Abdelkader Saleh, sei verletzt worden.

Die syrischen Streitkräfte meldeten weitere militärische Erfolge in der Stadt Mahin in der Provinz Homs sowie in Harasta bei Damaskus. Nach Angaben libanesischer Behörden sind seit Freitag Tausende Syrer vor neuen Kämpfen aus den nordwestlich von Damaskus gelegenen Qalamun-Bergen in den Libanon geflohen. Seit Wochen war eine Offensive der syrischen Streitkräfte in diesem Gebiet erwartet worden, um die letzte Nachschublinie der Aufständischen aus dem Libanon abzuschneiden. Über die Grenzstadt Arsal hatten diese dort Kämpfer, Waffen und Geld eingeschleust.

** Aus: junge Welt, Montag, 18. November 2013


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