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Warnung vor dem "dunklen Tunnel"

Syriens Vizepräsident Faruk Al-Scharaa plädiert weiter für eine politische Lösung

Von Karin Leukefeld *

Könnte man oppositionellen Aktivisten in Syrien oder im Ausland glauben, hätte es das am Montag erschienene Interview mit dem syrischen Vizepräsidenten Faruk Al-Scharaa in der libanesischen Tageszeitung Al-Akhbar gar nicht geben dürfen. Scharaa habe das Land verlassen, hieß es schon vor Monaten, dann wieder, er stehe unter Hausarrest. Wieder andere behaupteten, er sei unter dem Schutz von bewaffneten Oppositionsgruppen nach Jordanien begleitet worden. Dann hieß es, er sei auf dem Weg nach Paris. Tatsächlich arbeitet, analysiert und diskutiert er, wo es ihm als Vizepräsident Syriens möglich ist. Mit den Medien allerdings sprach er bislang so gut wie nie. Tatsächlich engagiert sich Scharaa seit Beginn der Proteste für Dialog und politische Veränderung.

Am 10. Juli 2011 hatte unter dem Vorsitz Scharaas in Damaskus ein erstes Treffen für den »Nationalen Dialog« in Syrien stattgefunden. Der Vizepräsident brachte damals seine Hoffnung zum Ausdruck, daß die Beratung den Beginn eines nationalen Dialogs markiere und zu einer »umfassenden Konferenz« führen werde, in der »der Umbau Syriens in einen pluralistischen, demokratischen Staat« beschlossen werden könne, »in dem die Bürger gleichberechtigt am Aufbau der Zukunft ihrer Heimat beteiligt werden«. Das Treffen endete drei Tage später mit einer Vielzahl von Vorschlägen und Erklärungen, darunter den zentralen Forderungen, deren Erfüllung von der syrischen Opposition zur Voraussetzung für die Aufnahme eines nationalen Dialogs erklärt worden waren.

Das Treffen und die Beschlüsse wurden allerdings von beiden Konfliktparteien sabotiert. Sicherheitskräfte hatten demonstrativ Personen festgenommen, deren Gruppen oder die selbst zu dem Treffen eingeladen worden waren, und Oppositionelle im Ausland diffamierten die Regierungsgegner, die teilnehmen wollten, als »Verräter«. Ende Juli 2011 wurde dann in der Türkei die »Freie Syrische Armee« gegründet, einen Monat später der »Syrische Nationalrat«, der von Anfang an jeden Dialog zurückwies.

In dem vorhin erwähnten Interview in Damaskus beschreibt Scharaa nun die Lage in Syrien präzise und ohne Schönfärberei. Die militärische Konfrontation hält er für falsch, nur Dialog und die Bildung einer Übergangsregierung könnten die Einheit des Staates erhalten.

Eine Lösung müsse »von oberster Ebene« kommen. Allerdings gehe der Präsident, als Oberkommandierender der Streitkräfte, davon aus, daß der Konflikt erst militärisch gelöst werden müsse, dann käme der Dialog. Viele Mitglieder der Baath-Partei, der Nationalen Front und selbst Armeeangehörige hätten dagegen von Anfang an für eine politische Lösung plädiert. Außerdem gebe es staatliche Institutionen, die eigene Vorstellungen hätten.

Das Vorgehen des UN-Syrienbeauftragten Lakhdar Brahimi hält Scharaa für richtig. Doch gehe der vorsichtig und langsam vor, während die militärischen Aktionen in Syrien eskalierten und eine Lösung immer schwieriger machten. »Brahimis Kontakte und Besuche sind, ebenso wie die Genfer -Initiative, eine angemessene Grundlage«, so Scharaa. »Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß eine historische Lösung für die syrische Krise ein internationales Klima schaffen könnte, um andere wichtige Konflikte politisch zu lösen, nicht durch militärische Konfrontation.« Die »historische Lösung« sei aber nur machbar, wenn die Beteiligten es aufgäben, »alles erreichen zu wollen, was sie anstreben«. Sollten beide Seiten nicht zum Kompromiß bereit und fähig sein, werde die legitime nationale Perspektive der Syrer verloren gehen und »das Schicksal der Region fährt in einen dunklen Tunnel«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. Dezember 2012


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