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Weisheit oder Chaos

Saudi-Arabien zieht Botschafter aus Syrien ab

Von Karin Leukefeld *

Der saudische König Abdullah Bin Abdul Aziz hat den Botschafter seines Landes aus Syrien zurückgerufen und Präsident Assad aufgefordert, das Blutvergießen zu stoppen. Syrien habe die Wahl zwischen »Weisheit und Chaos« für seine Zukunft, sagte Abdullah, der sich nur selten öffentlich zu Wort meldet. »Das Königreich bekenne sich zu seiner historischen Verantwortung gegenüber seinen Brüdern«, zitierte der Nachrichtensender Al-Arabija aus der Rede des Königs.

Möglicherweise habe der König von »härteren Maßnahmen anderer Staaten gegen Syrien« erfahren, denen er habe zuvorkommen wollen, kommentierte der saudische Journalist Jamal Khashoggi die Äußerung von König Abdullah. Vielleicht habe er »eingreifen wollen, um zu retten, was zu retten ist, bevor die Zeit abläuft«.

Vielleicht wollte der König auch einem Eingreifen der Türkei zuvorkommen, das Syrien zunehmend als Hinterhof seiner eigenen regionalen Interessen betrachtet. Der türkische Ministerpräsident Tayyib Erdogan hatte am Sonntag erklärt, was in Syrien geschehe, sei für ihn nicht mehr ein »Thema der Außen-, sondern der (türkischen) Innenpolitik«. Unbestätigten diplomatischen Quellen zufolge soll Ankara bereits vor Wochen westlichen Botschaften Pläne für ein militärisches Eingreifen in Syrien präsentiert haben.

Washington forderte am Wochenende die Türkei auf, den Druck auf Syrien zu erhöhen. Außenministerin Hillary Clinton hatte nach Angaben ihres Sprechers Mark Toner in der Nacht zu Montag mit dem türkischen Außenminister Ahmed Davutoglu telefoniert und diesen aufgefordert, Syrien zu drängen, »sein Militär wieder in die Kasernen zu bringen und alle Gefangenen freizulassen, die wegen freier Meinungsäußerung inhaftiert seien«. Außerdem habe sie mit Davutoglu, der am Dienstag in Damaskus erwartet wird, besprochen, wie die USA einen Übergangsprozeß zur Demokratie in Syrien unterstützen könnten. Einzelheiten dazu wurden nicht bekannt.

Die Stellungnahme des saudischen Königs kam einen Tag, nachdem der Golfkooperationsrat (Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien und Vereinige Arabische Emirate) ebenfalls Präsident Assad kritisiert hatte. Auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Al-Arabi, sah sich offenbar genötigt, in den öffentlichen Chor der Kritiker Syriens einzustimmen, und zeigte sich »besorgt über die schlechter werdenden Sicherheitsverhältnisse in Syrien«, insbesondere in Hama und Deir Essor. Erst kürzlich hatte Al-Arabi seinen Antrittsbesuch in Damaskus gemacht und die Ereignisse in Syrien als »innere Angelegenheit« bezeichnet.

Die Stellungnahme des Golfkooperationsrates hatte man in Damaskus »mit Bedauern zur Kenntnis genommen«. Der Golfkooperationsrat habe die Fakten ignoriert, die Syrien vorgelegt habe, wurde eine namentlich nicht genannte offizielle Quelle in der staatlichen Nachrichtenagentur SANA zitiert. Dazu gehörten »Morde und Sabotage durch bewaffnete terroristische Gruppen, die die Souveränität und Sicherheit Syriens untergraben« wollten. Auch das Reformpaket, das Präsident Assad vorgelegt habe, sei unberücksichtigt geblieben, ebenso der Aufruf zum nationalen Dialog. Wer Syriens Interessen dienen wolle, müsse ein Ende der Sabotage und der bewaffneten Angriffe derjenigen fordern, die nichts Gutes für Syrien im Schilde führten. Syrien brauche zudem Zeit, die Reformen umsetzen zu können.

* Aus: junge Welt, 9. August 2011


Saudi-Arabien organisiert Druck auf Syrien

Mehrere Länder ziehen Botschafter aus Damaskus ab / Deutschland verstärkt Kritik an Assad **

Syrien bekommt zunehmend den Druck anderer arabischer Staaten zu spüren. Zuerst Saudi-Arabien, dann Bahrain und Kuwait, beriefen am Montag ihre Botschafter in Damaskus zu Konsultationen in ihre Heimat ein.

Mit dem Abzug seines Botschafters aus Damaskus ist Saudi-Arabien, der größte arabische Ölproduzent, deutlich auf Distanz zur syrischen Führung gegangen. In einer Abkehr von der sonst diskreten Art der Diplomatie seines Landes forderte der saudiarabische König Abdullah den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad am Sonntagabend auf, die »Todesmaschinerie« zu stoppen.

»Syrien hat nur zwei Möglichkeiten für seine Zukunft: entweder aus freiem Willen zur Vernunft zu kommen oder in Chaos und Gewalt zu versinken«, hieß es in der Erklärung von König Abdullah. Sein Königreich könne in keiner Weise hinnehmen, was sich in Syrien abspiele. Die blutige Unterdrückung der Protestbewegung verstoße »gegen die Religion, die menschlichen Werte und die Moral«. Syrien geht derzeit mit seiner Armee gegen zum Teil leicht bewaffnete Gruppen der Muslim-Brüder in der Großstadt Hama vor. Beobachter gegen davon aus, dass die Muslim-Brüder Unterstützung aus Saudi-Arabien erhalten

König Abdullah beorderte nun seinen Botschafter in Damaskus zu »Beratungen« nach Riad zurück. Noch am Montag folgten Bahrain und Kuwait diesem Beispiel. Zudem kündigte Riad eine weitere Sitzung des Golfkooperationsrats zu Syrien an. Der Rat, in dem Saudi-Arabien die führende Kraft ist, hatte am Samstag bereits ein Ende des Blutvergießens gefordert und Reformen verlangt.

Die Türkei will bei Gesprächen mit Assad am heutigen Dienstag ebenfalls auf Reformen dringen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu betonte einem Pressebericht zufolge, bei seinem Gespräch mit Assad am Dienstag werde er verdeutlichen, dass Syrien dabei sei, Ankara als Partner zu verlieren. Die türkische Zeitung »Radikal« berichtete, Davutoglu wolle Assad zwei Möglichkeiten vor Augen führen: Er könne sich wie der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow trotz des Zusammenbruchs seiner Führung als geachteter Staatsmann Respekt verschaffen – oder ihm drohe ein Schicksal wie dem hingerichteten irakischen Staatschef Saddam Hussein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beobachte »mit zunehmender Sorge, dass die Kritik »der internationalen Gemeinschaft« Präsident Assad zu keinerlei Änderung seiner Politik veranlasst hat«, sagte Vizeregierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin. Die Bundesregierung hat nach Angaben von Außenamtssprecher Dirk Augustin die Kontakte zur syrischen Führung inzwischen »auf ein Minimum des Notwendigen« reduziert. Deutschland müsse als einer der Hauptabnehmer Handelssanktionen durchsetzen, forderte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU), im Deutschlandradio. Vor einem solchen Schritt müsse aber gewährleistet sein, dass die Rohstoffe »nicht übermorgen einen anderen Käufer« fänden, etwa beim »energiehungrigen China«. Wie er verhindern wolle, dass Syrien Öl nach China exportieren könne, erläuterte Polenz nicht.

** Aus: Neues Deutschland, 9. August 2011


Saudischer Tadel

Von Roland Etzel ***

Syriens Präsident Assad hat unter seinen arabischen Nachbarn wenig Freunde. Das ist nicht neu. Wesentlich dafür ist die seit vier Jahrzehnten anhaltende säkulare Politik der Assads, verbunden mit einer starken militärischen Anlehnung an Moskau. Da entstehen Klüfte. Aus der bisher gepflegten stillen Feindschaft der Könige und Emire gegenüber Damaskus ist nun aber offene Konfrontation geworden. Vor allem der exklusive Klub der Ölmonarchien namens Golfkooperationsrat tadelte Assad direkt und forderten von ihm »rasche Reformen«.

Welche, ließen sie unerwähnt. Sie hätten völlig zu recht anführen können, dass Assad mit seinen jetzigen Zugeständnissen um Jahrzehnte zu spät kommt und sich auch erst unter Druck von unten dazu veranlasst sah. Doch das taten sie nicht. Dabei hat Assad gerade für Syrien Einmaliges verkündet: ein Parteienzulassungs- und ein Wahlgesetz. Allerdings – und das hat wohl den Zorn der jetzigen Kritiker vom Golf erst erregt – sollen sich religiös definierende Parteien davon ausgenommen sein.

Dass Saudi-Arabiens König Abdullah am lautesten von Syrien Reformen einklagte, ist die Dreistigkeit schlechthin. Der König lässt bei sich weder Parteien noch Gewerkschaften zu, geschweige denn ein Parlament, und hat gerade die Einführung des Wahlrechts für Frauen um weitere fünf Jahre verschoben. Doch er darf wohl auch dieses Mal darauf vertrauen, dass seine westlichen Verbündeten das großzügig übersehen.

*** Aus: Neues Deutschland, 9. August 2011 (Kommentar)


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