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Moskauer Vorstoß

Rußland bringt Syrien-Resolution in UN-Sicherheitsrat ein. Reaktion auf westliche Kampagne vermutet

Von Karin Leukefeld *

Mit einem eigenen Resolutionsentwurf zur Lage in Syrien will Rußland im UN-Sicherheitsrat offenbar den einseitigen Druck aus den USA und europäischen Staaten entschärfen. Der Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, erklärte am Freitag (16. Dez.) in Moskau, der Entwurf orientiere sich an dem Plan der Arabischen Liga, den Syrien Ende Oktober in Doha unterzeichnet hatte. Danach sollen mit dem Ziel, einen Dialog aufzunehmen, alle Kämpfe eingestellt werden, das Militär sich aus Wohngebieten zurückziehen und politische Gefangene freigelassen werden. Der russische Textentwurf fordert sowohl die syrische Regierung als auch die Opposition auf, die Gewalt einzustellen und Gespräche aufzunehmen, sagte Lukaschewitsch. Niemand könne ihn als Aufruf für eine ausländische Einmischung in Syrien auslegen. Um den Konflikt zu entschärfen, müßten die politischen und diplomatischen Bemühungen ausgeweitet werden, eine andere Lösung gebe es nicht. Alexej Malaschenko vom Carnegie-Zentrum in Moskau betonte gegenüber dem englischsprachigen iranischen Fernsehsender Press TV, der Resolutionsentwurf zeige keine grundsätzliche Änderung in der Haltung Rußlands. »Es gibt keinen Grund, Assad zu stürzen, weil sich ohne ihn die Situation weiter verschlechtern würde«, faßte er die Meinung Moskaus zusammen.

Rußlands Außenminister Sergej Lawrow hatte wiederholt davor gewarnt, daß die ununterbrochene »Politik der Ultimaten« zur Eskalation in Syrien führe. Rußland, China und die nichtständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat (Brasilien, Indien und Südafrika) fordern seit Monaten mehr diplomatische Anstrengungen, um zwischen Opposition und Regime in Syrien zu vermitteln. Die USA, die EU und die Arabische Liga unter Führung von Katar haben dagegen mit Erklärungen und Sanktionen die Stimmung gegen die Führung in Damaskus verschärft.

Der Vorstoß Rußlands zum aktuellen Zeitpunkt könnte mit der Kampagne zu tun haben, die westliche und US-Medien sowie Politiker im Zusammenhang mit den Protesten gegen mutmaßliche Wahlfälschungen gegen Moskau gestartet hatten.

Am Donnerstag (15. Dez.) veröffentlichte die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen Bericht, in dem geflohene syrische Soldaten namentlich 74 Offiziere nennen, die das gewaltsame Vorgehen gegen die Protestbewegung angeordnet hätten. Die Offiziere hätten befohlen, »so viel wie möglich« zu schießen und zu töten, heißt es. Auf 88 Seiten wird eine Fülle von Beispielen genannt. Bis Redaktionsschluß gab es von syrischer Seite zu diesen neuen Anschuldigungen keine Stellungnahme.

Der im Ausland aktive Syrische Nationalrat (SNR) kommt am heutigen Samstag in Tunis zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Datum und Ort des Treffens dürften nicht zufällig gewählt sein. Offenbar will man medienwirksam davon profitieren, daß an diesem Tag die Tunesier Mohammed Bouazizis gedenken, der sich am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid angezündet hatte, um gegen seine menschenunwürdige Behandlung durch die staatlichen Behörden zu protestieren. Dies wurde zum Auslöser der tunesischen Protestbewegung, die zum Rückzug von Machthaber Zine Al-Abidine Ben Ali führte.

* Aus: junge Welt, 17. Dezember 2011


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