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Wer ist die richtige Opposition?

Rim Farha zur Protestbewegung und Politik gegenüber Syrien *


Die syrische Kurdin ist Kommunalpolitikerin der LINKEN im Berliner Bezirk Lichtenberg und zählt sich zur syrischen Opposition.

ND: Die Unruhen in Syrien dauern nun fünf Monate, es gibt viele Tote unter der Zivilbevölkerung, auch Soldaten und Polizisten sterben, wohin treibt das Land?

Farha: Wir, die Opposition, hoffen, dass es nicht zu weiterem Blutvergießen kommt. Es ist aber kein Militär, das gegen die Demonstranten eingesetzt wird, sondern Angehörige von Sicherheitsdiensten; und zwar in ganz Syrien. Ich kann Ihnen hundertprozentig versichern, dass es so in Rukn Deen in Damaskus war, wo die Kurden leben. Dort hatte es vor drei Wochen Demonstrationen gegeben, nachdem ein Mann getötet worden war. Eine Woche später kamen die Sicherheitskräfte um 3 Uhr nachts, haben Wohnungen gestürmt, Personen verhaftet. Wir haben auch von gezielten Tötungen gehört.

Die Repression gegen die Opposition nimmt also zu?

Nach dem Besuch des türkischen Außenministers in Damaskus sieht es so aus, als hätte Präsident Baschar al-Assad 14 Tage Zeit bekommen, um die Lage bis zum Ende des Ramadans im Sinne Ankaras zu »beruhigen«. Aber es wäre Selbstmord, jetzt mit den Protesten aufzuhören. Das Volk möchte Demokratie. Wir fordern eine neue Verfassung und die Abschaffung von Artikel 8 der Verfassung, wonach die Baath-Partei führende Kraft in Syrien ist.

In Syrien hoffen viele Menschen auf einen friedlichen Übergang durch nationalen Dialog. Geben Sie dem Dialog noch eine Chance?

Nein, ich habe dem Dialog von Anfang an keine Chance gegeben. Diejenigen, die einladen, haben ihre Hände im Blut. Die Regierung hat das organisiert, ein Komitee wurde gegründet, das gezielte Einladungen aussprach. Ich habe die Konferenz vom 10. Juli beobachtet und war der Meinung, dass sie zu nichts führt. Das hat sich bestätigt.

Eine Forderung aus der Opposition war und ist ja ein Ende der Gewalt. Wenn morgen das Militär in die Kasernen abkommandiert würde, könnte dann ein Dialog beginnen?

Wenn das Militär sich zurückzieht, wird unter bestimmten Bedingungen wohl ein Dialog stattfinden. Aber es sind fünf Monate vergangen, und täglich gibt es neue Tote. Ich weiß nicht, ob man davor die Augen verschließen kann. Allerdings will niemand eine ausländische Einmischung, auch keinen Militärschlag. Wir lehnen ebenso Wirtschaftssanktionen ab, denn darunter leidet das Volk, das haben wir in Irak gesehen. Und wir wissen, dass sehr viele Hände im Spiel sind. Der Westen, Saudi- Arabien, die Türkei, alle haben ihre Interessen in Syrien. In jedem Fall ist es wichtig, dass die Demonstrationen in Syrien weiter friedlich sein müssen.

Die Bundesregierung hat schon im April scharfe Sanktionen verhängt. Halten Sie das für richtig?

Vielleicht sollte sie die Opposition unterstützen, die richtige.

Und wer ist das?

Die demokratischen und säkularen Kräfte. Aber der Westen macht sich mehr Gedanken darüber, wer nach Assad kommt. Wir möchten nicht, dass ein Nachfolger von Assad nach Kriterien des Westens ausgesucht wird. Das syrische Volk will seinen Präsidenten und sein Parlament selbst wählen. Meine Partei, Die LINKE, auch die Linke in Europa, sollte mehr Solidarität zeigen und gerade die fortschrittlichen, säkularen Kräfte in Syrien aktiv unterstützen. Stattdessen stehen sie da und schauen zu, was wird.

Fragen: Karin Leukefeld

* Aus: Neues Deutschland, 17. August 2011


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