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Propagandaschlacht um Syrien

Erneute Proteste gegen die Regierung in Damaskus. Westliche Medien verschweigen Morde an Sicherheitskräften

Von Karin Leukefeld *

Erneut sollen am Wochenende in Syrien Zehntausende Menschen gegen die Regierung protestiert haben. Exiloppositionelle berichten von landesweiten Protesten in mehr als 100 Orten. Dabei soll es auch wieder Tote gegeben haben, die Zahlenangaben variieren jedoch. Mehrmals täglich beliefert der Exiloppositionelle Au­sama Monajed einen E-Mail-Verteiler mit einem »Syrian Revolution News Round-Up«, im Anhang eine Flut von Links zu Videos, deren Herkunft nicht überprüfbar ist. Angeblich seien erstmals auch an bekannten Plätzen in Damaskus Tausende auf die Straße gegangen, berichteten die arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira und Al-Arabija. Syrische Medien wiesen die Darstellung zurück. Journalisten des Landes haben den beiden Kanälen wiederholt vorgeworfen, Unruhe im Land zu schüren und bewußt Falschmeldungen zu verbreiten. Westliche Redaktionen nutzen die beiden genannten Sender hingegen vielfach als Quelle für die eigene Berichterstattung.

In europäischen und nordamerikanischen Medien fehlen weitgehend Informationen über Morde an Verkehrspolizisten, Sicherheitskräften und Soldaten, die auf bewaffnete Auseinandersetzungen hinweisen. Offenbar gibt es eben nicht nur gewaltfreie Protestdemonstrationen, die dann angegriffen werden. Auch die Rückkehr von Hunderten Flüchtlingen aus Camps in der Türkei ist der westlichen Presse keine Schlagzeilen wert. Nach einem Bericht des türkischen Roten Halbmondes, aus dem am Wochenende das syrische Onlineportal Day Press News zitierte, soll sich die Zahl der ursprünglich in sechs Zeltlagern ausharrenden 16335 Flüchtlinge auf inzwischen 7103 mehr als halbiert haben. Die anderen seien in ihre syrische Heimat zurückgekehrt. Dort schreibt die staatliche Nachrichtenagentur SANA, »mehr als 98 Prozent der aus Dschisr Al-Schughur Geflohenen« seien zurückgekehrt.

Übereinstimmend berichteten ausländische und syrische Medien am Wochenende über einen Angriff auf den bekannten Karikaturisten Ali Farzat in Damaskus. Er sei von maskierten und laut westlicher Medien bewaffneten Männern verschleppt, zusammengeschlagen und an der Autobahn zum Flughafen liegengelassen worden. Dort wurde er von Passanten gefunden, die ihn ins Krankenhaus brachten.

Im Internetportal »Syria Comment« sind derweil Augenzeugenberichte aus Lattakia über das Vorgehen der Armee in dem südlichen Stadtteil Rimal Al-Dschanubi zu lesen. Dieses Viertel ist vor allem ein palästinensisches Flüchtlingslager. Nach Meinung vieler Einwohner von Lattakia gab es dort keine Demonstrationen. Die Armee habe jedoch dort eine Militäroperation durchgeführt, um gegen bewaffnete Kräfte vorzugehen. Eine amerikanische Geschäftsfrau, die seit Jahrzehnten in Rimal Al-Dschanubi lebt, berichtete über die Versorgung von Flüchtlingen aus dem Viertel. Diese seien auf dem Areal des Assad-Sportklubs untergebracht worden. Eine wohlhabende Familie aus Lattakia habe die Menschen mit Essen versorgt. Ein ebenfalls aus den USA stammender Freund dieser Augenzeugin, der direkt am Meer wohnt, habe die Boote der Küstenwache gesehen. Diese hätten jedoch nicht einen Schuß abgefeuert. In Medienberichten hatte es zuvor geheißen, die syrische Marine bombardiere Lattakia.

Syrische Geschäftsleute warnen inzwischen, sie könnten die schwierige wirtschaftliche Lage nicht länger bewältigen. Vor allem der Tourismussektor ist aufgrund von Reisewarnungen zahlreicher Regierungen komplett eingebrochen. Seit Monaten bezahlen Besitzer von Hotels, Reisebüros, Transportunternehmen oder Restaurants das Personal aus eigener Tasche, Tausende wurden entlassen.

* Aus: junge Welt, 29. August 2011


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