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"Patriots" gegen Syrien

Gipfeltreffen der Arabischen Liga: Einsatz von NATO-Raketen im Norden des Landes gefordert. Tote bei Anschlag in Damaskus

Von Karin Leukefeld *

Obwohl er am vergangenen Sonntag als Präsident der »Nationale Koalition der Oppositions- und Revolutionskräfte« Syriens zurückgetreten war, hat Ahmed Moas Al-Chatib am Dienstag beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Doha (Katar) den Sitz der Arabischen Republik besetzt. Der gastgebende Emir von Katar, Scheich Hamad bin Kalifa Al-Thani, hatte den früheren Prediger der Omayyaden-Moschee von Damaskus anstelle des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad eingeladen. Vor den Augen der internationalen Kamerateams ließ dieser sich auf dem Stuhl Syriens nieder, der seit der von Katar betriebenen Suspendierung von Damaskus im November 2011 leer geblieben war. Politische Beobachter führen seine Teilnahme trotz des Rücktritts darauf zurück, daß er mit seinem Auftreten die Anwesenheit einer radikaleren Delegation der Muslimbruderschaft verhindern wollte.

Der syrische Botschafter bei der Arabischen Liga, Yussef Al-Ahmad, verurteilte die Einladung an das Bündnis der Regierungsgegner. Der souveräne und legitime Staat Syrien werde durch ein nicht legitimiertes Gremium ersetzt, sagte Ahmad im libanesischen Fernsehsender Al-Mayadeen. Die Politik der Arabischen Liga verschärfe die Krise und trage nicht zu deren Lösung bei.

Während der zweitägigen Sitzung sprach sich Al-Chatib zwar gegen eine ausländische Einmischung in Syrien aus, weil die Krise von den Syrern selbst gelöst werden müsse. Gleichzeitig verlangte er jedoch von den USA, den »Schutzschirm der ›Patriot‹-Raketen über den Norden Syriens zu erweitern«. Man warte noch immer auf eine »Entscheidung der NATO, Menschenleben zu schützen«, so Al-Chatib. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge berief er sich dabei auf US-Außenminister John Kerry, der ihm zugesagt habe, die Bitte einer Ausdehnung des Einsatzgebietes der in der Türkei stationierten »Patriot«-Systeme auf den Norden Syriens »zu prüfen«. Ein Vertreter der NATO antwortete am Dienstag in Brüssel jedoch, das Bündnis habe »nicht die Absicht, militärisch in Syrien einzugreifen«. Die Durchsetzung einer Flugverbotszone im Norden Syriens müßte vom UN-Sicherheitsrat entschieden werden, der Bundestag müßte einer entsprechenden Mandats­änderung für die dort stationieren Bundeswehrsoldaten zustimmen.

Bei der Eröffnung des Treffens von Königen, Emiren und Präsidenten in Doha erklärte Katars Scheich Hamad, dessen Emirat die Aufständischen in Syrien seit Januar 2012 mit großen Mengen Waffen versorgt, er unterstütze eine »politische Lösung« in Syrien, allerdings könne »die Uhr nicht zurückgedreht werden«. Auf den Einfluß Katars auf die bewaffneten Gruppen in der Arabischen Republik wird auch Al-Chatibs Rücktritt zurückgeführt. Die libanesische Tageszeitung As Safir hatte unter Berufung auf Mitglieder der Koalition berichtet, daß das Emirat den IT-Manager Ghassan Hitto als »Regierungschef« der Opposition durchgesetzt habe, der als enger Weggefährte der Muslimbruderschaft gilt. Al-Chatib seinerseits hatte sich wiederholt gegen die Bildung einer Exilregierung ausgesprochen und vor einer möglichen Teilung des Landes gewarnt.

Bei einem Bombenanschlag in der syrischen Hauptstadt Damaskus sind nach Angaben der offiziellen Nachrichtenagentur SANA am Dienstag mehrere Menschen getötet und weitere verletzt worden. Die Agentur meldete, das Attentat, das sich in einem Viertel im Norden der Stadt ereignete, sei mit einer Autobombe verübt worden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. März 2013


Freches Ansinnen Syrische Opposition will "Patriots"

Von Werner Pirker **


Die vom Westen und der arabischen Feudalreaktion ausgehaltenen syrischen Regimegegner fordern die Einrichtung einer »Schutzzone« in Nordsyrien mit deutschen »Patriot«-Raketen. Das läuft, wie das libysche Beispiel gezeigt hat, als die vom UN-Sicherheitsrat gebilligte Einrichtung einer Flugverbotszone zum Luftkrieg gegen die regulären Streitkräfte umgedeutet wurde, auf die Forderung nach einer ausländischen Militärintervention hinaus. Es gehört offenbar zum Wesenskern postmoderner »Revolutionen«, das »Befreiungswerk« dem Imperialismus zu überantworten.

Daß sich die Bundeswehr direkt in den syrischen Bürgerkrieg hineinziehen läßt, ist eher zu bezweifeln. Die Installierung von Raketen zum vorgeblichen Schutz eines ­NATO-Bündnispartners ist eine, wenngleich auf verlogenen Behauptungen beruhende Sache. Direkte militärische Präsenz in Syrien, bis hin zum Einsatz deutscher Raketen gegen die syrische Regierungsseite aber würde die Bundeswehr zur Kriegspartei machen. Wenn sie das nicht ohnehin schon ist. Die Entscheidung zur Installierung von »Patriot«-Raketen in der Türkei erfolgte nach einer inzwischen als bewaffnete Provokation entlarvte Aktion syrischer Aufständischer. Die hatten einen mit NATO-Raketen durchgeführten Angriff auf türkisches Territorium den Regierungstruppen unterstellt. Mittlerweile ist selbst auf Spiegel online zu lesen, daß es »keinen einzigen Angriff durch die syrische Luftwaffe oder durch syrische Raketen« gegeben habe.

Das freche Ansinnen des Anti-Assad-Lagers, sich von ausländischen Interventen an die Macht tragen zu lassen, wurde auf einer Tagung der Arabischen Liga geäußert, auf der sich die Regierungsgegner als Repräsentanten Syriens in Szene setzen durften. Die von den reaktionärsten arabischen Staaten dominierte Organisation ist ihrer seit Jahrzehnten eingenommenen Rolle als stets auf den Ausgleich mit dem imperialistischen Westen bedachte Institution treu geblieben. Die bewaffnete syrische Opposition ist somit in ihr gut aufgehoben. Auch wenn den Rebellen die Liga etwas zu bedächtig und konservativ erscheinen dürfte, ist man sich im wesentlichen einig: Regimewechsel und Einbindung Syriens in den sunnitisch-wahabitischen Block. An eine politische Lösung ist nicht gedacht, und wenn, dann nur unter der Voraussetzung einer totalen Kapitulation des Assad-Lagers.

Der von den Amerikanern zusammengezimmerten Oppositionskoalition steht mit Ghassan Hitto neuerdings ein US-Bürger vor. Das zeigt, daß von Washington nicht einmal der Versuch unternommen wird, die Abhängigkeit der Anti-Assad-Allianz von den USA zu kaschieren. Auf der Konferenz der Arabischen Liga war es allerdings nicht Hitto, sondern dessen Vorgänger Chatib, der das große Wort führte, was vermuten läßt, daß man sich der Peinlichkeit einer offenen Bevormundung durch die US-Administration bewußt sein dürfte. An den realen Machtverhältnissen ändert das nicht das geringste.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. März 2013 (Kommentar)


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