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Kein Ende des Sterbens in Syrien

Kriegsschiffe beschossen Hafenstadt Latakia / Grüne fordern härtere Wirtschaftssanktionen *

Mit brachialer Gewalt versuchen die Herrschenden in Syrien, die Massendemonstrationen im Lande zu beenden. Am Wochenende rückte die Hafenstadt Latakia in den Brennpunkt: Die Armee soll mit Panzern und Kriegsschiffen angegriffen und mindestens 25 Zivilisten getötet haben.

Es ist die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, auf die sich die Agenturen mangels eigener Korrespondenten in Syrien berufen. Ihren Angaben zufolge wurden am Sonntag mindestens 23 Menschen getötet und Dutzende schwer verletzt, als die Armee das Hafenviertel Al-Ramle in Latakia angriff. Im Stadtviertel Al-Sakenturi seien Raketenwerfer eingesetzt worden, auch im Viertel Saliba seien Schüsse und Explosionen zu hören gewesen. Unter den Opfern sollen neben Syrern auch Palästinenser gewesen sein. In Al-Ramle befindet sich ein palästinensisches Flüchtlingslager.

Latakias Hafengegend, an den Vortagen Schauplatz von Massenprotesten, war am Sonnabend (13. Aug.) von der Armee eingenommen worden. Dabei wurden den Angaben zufolge mindestens zwei Menschen getötet und zahlreiche Bewohner festgenommen. In anderen Landesteilen gingen schon früher begonnene Militärkampagnen gegen besonders oppositionell eingestellte Städte weiter.

Eine lange Kolonne von Militärlastwagen und anderen Fahrzeugen soll in die Ortschaft Al-Kusair nahe der libanesischen Grenze eingefahren sein. In Deir al-Zor im Nordosten des Landes gingen Sicherheitskräfte mit Razzien gegen Oppositionelle vor, teilten syrische Aktivisten mit. Insgesamt waren am Sonnabend nach Angaben der Aktivisten elf Menschen getötet worden.

In der Nacht zum Sonntag soll die Armee auch in zwei Vororte von Damaskus einmarschiert sein und Verhaftungen vorgenommen haben. Ein Konvoi aus fünfzehn Militärlastwagen, acht Truppentransportern und vier Jeeps sei in die Vororte Sakba und Hamurija einrückt. Auch dort seien Schüsse zu hören gewesen, hieß es. In Sakba seien außerdem die Telefonverbindungen gekappt worden.

Videos, die am Sonntag (14. Aug.) im Internet auftauchten, zeigen machtvolle Demonstrationen, zu denen es am Vorabend in den Vorstädten von Damaskus, in Deir al-Zor und in Daraa gekommen war.

USA-Präsident Barack Obama, Saudi-Arabiens König Abdullah und Britanniens Premierminister David Cameron forderten den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad auf, die blutige Niederschlagung der Proteste »sofort« zu beenden. Der Weltsicherheitsrat will sich am Donnerstag bei einer Sondersitzung erneut mit Syrien befassen. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay und die Chefin der humanitären UN-Einsätze, Valerie Amos, sollen über die Lage in dem Land berichten, teilte die französische UN-Mission am Freitag mit.

Die deutschen Grünen fordern härtere Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Notfalls solle die Bundesregierung in der EU mit eigenen Maßnahmen vorangehen, forderte Fraktionschef Jürgen Trittin. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte bereits am Freitag angekündigt, die Regierung werde die Aufforderung von US-Außenministerin Hillary Clinton zu europäischen Wirtschaftssanktionen prüfen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2011


Kämpfe um libysche Stadt Al-Sawija

NATO tötet bei Luftangriff vier Aufständische **

Die NATO hat bei einem Luftangriff offenbar vier gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi kämpfende Aufständische getötet. Der Vorfall ereignete sich nahe der umkämpften Stadt Al-Sawija, als die NATO einen von den Rebellen eroberten Panzer der Regierungstruppen Gaddafis beschoss. Das berichtete ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Zeugen.

Die Aufständischen hatten am Sonnabend einen Angriff auf Sawija unternommen. Arabische Fernsehsender berichteten später, dass sie die Kontrolle über die rund 40 Kilometer westlich von Tripolis gelegene Stadt erlangt hätten.

Die Regierung in Tripolis bestritt jedoch, dass die Rebellen bedeutende Fortschritte erzielt hätten. »Al-Sawija ist absolut unter unser Kontrolle«, erklärte Regierungssprecher Mussa Ibrahim am Sonntagmorgen in Tripolis. Ein Vorstoß der Aufständischen sei von den Streitkräften mit »leichter Hand zurückgeschlagen« worden.

Der AFP-Fotograf berichtete dagegen, die Rebellen hätten den Westteil der Stadt besetzt. Der Fall Sawijas wäre für die Regierung ein schwerer Schlag. Die Stadt liegt an der Küstenstraße, die ins benachbarte Tunesien führt. Der Krieg würde näher denn je an die Zentrale Gaddafis heranrücken.

Die libysche Regierung hat die NATO derweil vor einem Luftangriff auf den Grenzübergang Ras Dschedir an der tunesischen Grenze gewarnt. Regierungssprecher Mussa Ibrahim sagte am Sonntag, Tripolis habe Informationen über Pläne für einen »intensiven Beschuss« des Grenzpostens, um »bewaffneten Banden« dabei zu helfen, auf libysches Territorium vorzudringen. In Ras Dschedir würden tausende Libyer die Grenze überqueren, »darunter Frauen und Kinder«. Mit einem Luftangriff würde die NATO ein »neues Blutbad« anrichten, sagt er.

Über Ras Dschedir waren in der vergangenen Monaten tausende Menschen vor den Kämpfen in Libyen nach Tunesien geflohen. Der Hauptgrenzposten zu dem Nachbarland ist aber auch für die mit Sanktionen belegte libysche Regierung strategisch wichtig.

** Aus: Neues Deutschland, 15. August 2011


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