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Auf der Suche nach einer Zukunft

Der Syrien-Krieg hat die Palästinenser gespalten. Viele erhoffen sich nun in Schweden Zuflucht

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Das UN-Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten (OCHA) hat für den heutigen Montag zu einer Konferenz eingeladen, um die humanitäre Hilfe in Syrien und in den Nachbarstaaten zu koordinieren. Gastgeber ist das schwedische Außenministerium. Schweden gehört zu den großzügigsten internationalen Helfern syrischer Flüchtlinge, einschließlich der Palästinenser. Anfang September hieß es in Stockholm, daß alle Syrer, die sich derzeit in Schweden befinden, unbefristet im Land bleiben könnten. Auch ihre Angehörigen aus Syrien oder aus der Region seien willkommen. Tausende Palästinenser aus Syrien haben sich daraufhin auf den gefährlichen Weg nach Schweden gemacht.

Von Damaskus aus sei sein Sohn mit seiner Familie nach Kairo geflogen, erzählt ein Palästinenser aus dem Lager Yarmuk in Damaskus. Von dort gehe es nach Alexandria, schließlich mit dem Schiff nach Italien und weiter per Zug nach Schweden. Ein Redakteur von Al Hurriya, der Zeitung der Demokratischen Front zur Befreiung von Palästina (DFLP), warnt vor so einer unsicheren Flucht. 5000 US-Dollar müßten die Flüchtlinge bezahlen, 3200 davon gingen an die Schlepper, die die Menschen über das Mittelmeer brächten. »Erst fährt man mit einem kleinen Boot aus ägyptischen Hoheitsgewässern ins Mittelmeer, dann steigt man auf ein größeres Schiff um. Vor der italienischen Küsten geht es dann wieder in ein kleines Boot und wenn man Glück hat, erreicht man italienischen Boden.« 75 Flüchtlingen allerdings sei das vor wenigen Tagen nicht gelungen. Die italienische Küstenwache habe sie abgefangen und nach Ägypten zurückgeschickt. Dort habe man sie in ein Gefängnis gesperrt, um sie anschließend nach Jordanien oder Syrien wieder abzuschieben, je nachdem, welches Land Ausgangspunkt der Flucht war.

»Schweden braucht Arbeitskräfte«, interpretiert Fahed Sleiman vom Politbüro der DFLP in Damaskus die großzügige Aufnahmepolitik des skandinavischen Landes. Er kritisiere die Auswanderer nicht, denn »die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen, die Menschen haben ihre Wohnung, ihr Haus, ihre Arbeit, ihre Hoffnung verloren«. Sie hätten das Recht auf ein gutes Leben und eine Zukunft für die Kinder. Wanderbewegungen habe es in der Geschichte immer gegeben, ausgelöst durch Wirtschaftskrisen oder Kriege. »Wenn sie in Schweden ein wirtschaftlich gesichertes Leben haben, wächst eine neue Generation heran, die für die Rechte der Palästinenser eintreten kann«, ist Sleiman überzeugt.

Die Lage in Syrien aber habe die Palästinenser politisch gespalten. Es gebe Gruppen, die an der Seite der syrischen Regierung stünden. Andere, wie die Hamas, unterstützten die Aufständischen. Die DFLP sei ebenso wie die Volksfront für die Befreiung Palästinas, PFLP, »neutral«. Sie hätten hart gearbeitet, um Yarmuk, das größte Flüchtlingslager für Palästinenser in Syrien, neutral zu halten. Doch mit dem Vormarsch der Aufständischen und der Reaktion der syrischen Streitkräfte sei in Yarmuk die Linie der Neutralität gescheitert. Ende 2012 flohen Zehntausende Menschen innerhalb eines Tages. Die Zielsetzung der syrischen Opposition, insbesondere der bewaffneten Gruppen, sei unklar, sagt Fahed Sleiman. Es gebe kein Programm, keine Vorstellung davon, was für ein politisches System man in Syrien wolle. Je länger der Konflikt andauere, desto größer sei die Gefahr, daß Syrien auseinander breche. Das werde sehr negative Folgen für das Land, aber auch für den Libanon, Irak und Jordanien haben. Die multiethnische und multikonfessionelle syrische Gesellschaft sei politisch eine »heikle Angelegenheit«, sagt er: »Uns kann nur eine laizistische Demokratie retten«. Planspiele, nach denen in Zukunft religiöse oder ethnische Trennungs­linien in Syrien gezogen werden sollten, seien gefährlich, sagt Fahed Sleiman. Konflikte würden so zementiert.

Für die Palästinenser sei die Entwicklung in Syrien »keine gute Sache«, fährt er fort. Die Verhandlungen der Autonomiebehörde mit Israel führten »nirgendwohin«, die DFLP habe sie von vornherein abgelehnt. »Wir verlieren kostbare Zeit, in der wir die Anerkennung des Staates Palästina durch die UN-Vollversammlung in UN-Institutionen hätten etablieren müssen.« Es sei aber eine Bedingung der Amerikaner gewesen, während der Verhandlungen alle UN-Initiativen ruhen zu lassen. Für Mahmud Abbas sei das sein »letzter großer Auftritt«, ist Sleiman überzeugt. Die Hamas sei durch die jüngsten politischen Entwicklungen geschwächt. Durch ihr Engagement an der Seite der Aufständischen hätte sie ihre Verbündeten in Syrien, Ägypten und im Iran verloren.

* Aus: junge welt, Montag, 16. September 2013


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