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Gespaltene Opposition

Syrien: Mordanschläge auf Wissenschaftler. Exilgruppen gründen Nationalrat

Von Karin Leukefeld *

Saryah Hassoun, der Sohn des syrischen Großmuftis Ahmed Badreddin Hassoun, wurde am Wochenende von unbekannten Tätern getötet. Der Anschlag ereignete sich am Samstag (1. Okt.), als der 1986 geborene Hassoun mit dem Geschichtsprofessor Mohammad Al-Omara auf dem Weg zur Universität von Aleppo war. Al-Omara war sofort tot, Hassoun erlag seinen schweren Verletzungen am Sonntag in einem Krankenhaus in Idlib. Großmufti Ahmed Hassoun, der der sunnitischen muslimischen Gemeinde in Syrien vorsteht, gilt als aufgeschlossener Kleriker, der sich an der Seite von Präsident Baschar Al-Assad intensiv für einen nationalen Dialog in Syrien einsetzt.

Der Angriff reiht sich ein in eine Folge von Anschlägen, denen in den vergangenen Wochen bereits andere Ärzte und Wissenschaftler zum Opfer fielen. Am 25. September war Dr. Hassan Eid, Leiter des Thoraxoperationszentrums am Nationalen Krankenhaus von Homs, getötet worden. Einen Tag später wurde ebenfalls in Homs der stellvertretende Leiter der Architektur-Fakultät, Mohammd Ali Aqil und am 28. September der Nuklearwissenschaftler Aws Abdel Karim Khalil getötet.

Unterdessen haben Exiloppositionelle am Sonntag (2. Okt.) in Istanbul die Gründung eines Syrischen Nationalrates bekanntgegeben. Es handele sich um einen »historischen Schritt«, erklärte der in Frankreich lebende Soziologieprofessor Burhan Ghalioun. Diese »Dachorganisation« vereinige »die Kräfte der Opposition« und repräsentiere »die friedliche Revolution in Syrien und außerhalb«. Das Gremium sei »offen für alle Syrer«, und personifiziere »die Souveränität des syrischen Volkes bei seinem Kampf um Freiheit«. Der Rat weise »jede ausländische Einmischung zurück«, die diese Souveränität antaste, so Ghalioun weiter. Der »Dachorganisation« sollen alle politischen Richtungen, die Muslimbruderschaft, kurdische und assyrische Oppositionelle angehören. Auch die »Lokalen Koordinationskomitees« sollen dem Rat zugestimmt haben. Diese Komitees koordinieren oppositionellen Angaben zufolge die Proteste in Syrien, weswegen man ihnen im Ausland hohe Autorität zuschreibt. Kritik an dem Vorgehen kam laut der libanesischen Tageszeitung As Safir von dem Oppositionellen Louay Hussein aus Damaskus. Hussein lehnt die Bildung eines Gremiums im Ausland ab und hatte erst vor wenigen Tagen in Damaskus die Gründung einer neuen oppositionellen Partei bekanntgegeben.

Nach offiziellen Angaben haben syrische Truppen den Ort Rastan bei Homs nach tagelangen Kämpfen mit bewaffneten Gruppen eingenommen. »Ruhe und Ordnung« seien wiederhergestellt, hieß es, die Bevölkerung habe sich für den Einsatz der Armee bedankt. Bei den Bewaffneten in Rastan habe es sich um »terroristische Gruppen« gehandelt, die öffentliche Gebäude angegriffen und die Bevölkerung eingeschüchtert hätten. Nach Angaben des oppositionellen, in London ansässigen Syrischen Beobachtungskomitees soll es sich bei den Bewaffneten um desertierte Soldaten gehandelt haben. Sie wollten sich zurückziehen und den »Kampf um Freiheit« an anderer Stelle wieder aufnehmen, hieß es in einem am Freitag (30. Sept.) veröffentlichen Kommuniqué.

Eine selbst ernannte »Freie Syrische Armee« unter der Führung des ehemaligen Generals Riad Assad plant offenbar, im Norden des Landes ein »befreites Gebiet« zu schaffen. Dafür erwarte man Unterstützung des Westens, teilte eine »Generalkommission der syrischen Revolution« in Washington mit. Man wolle eine UNO-Sicherheitsratsresolution, die Verhängung einer Flugverbotszone und den Einsatz von UNO-Truppen. Vorbild sei das Vorgehen der libyschen Rebellen von Bengasi.

* Aus: junge Welt, 4. Oktober 2011


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