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Von Washington gelenkt

Widersprüchliche Berichte aus Syrien. USA räumen Unterstützung für Protestbewegung ein. EU verschärft Sanktionen

Von André Scheer *

Hollywood zeigt, wie man Probleme löst. Die US-amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie ist am Freitag in der Türkei eingetroffen, um die Flüchtlingslager an der Grenze zu Syrien zu besuchen. Dort halten sich Medienberichten zufolge fast 10000 Menschen auf, die Schutz vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland suchen. Die Menschen dort haben jedoch offensichtlich andere Sorgen, als auf einen Fototermin mit Jolie zu warten. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Freitag meldete, sind im Lager Yayladagi einige der Flüchtlinge nach dem Freitagsgebet in einen Hungerstreik getreten, um gegen ihre Abschottung durch die türkischen Behörden zu protestieren.

Aus Syrien selbst wurden wieder Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gemeldet. So zitierte AFP den in London sitzenden Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman. Dessen Angaben zufolge hätten syrische Sicherheitskräfte nach den Freitagsgebeten (17. Juni) in Banias auf Demonstranten geschossen. Dabei sei eine unbekannte Zahl Menschen getötet worden. Auch in anderen Städten seien die Menschen wieder gegen die Führung von Präsident Baschar Al-Assad auf die Straße gegangen. Die syrische Regierung dementiert hingegen weiterhin eine Unterdrückung friedlicher Proteste und spricht von »bewaffneten Terrorgruppen«, gegen die sich das Vorgehen der Regierungstruppen richte.

Das scheint zumindest teilweise mehr als Propaganda zu sein. Irritiert stellten türkische Journalisten bei einem Besuch in der Grenzstadt Dschisr Al-Schughur am Donnerstag (16. Juni) fest, daß sich die Lage dort von der von syrischen Oppositionellen und ausländischen Medien geschilderten Situation deutlich unterschied. Die spanische Nachrichtenagentur EFE zitiert einen Reporter des türkischen Fernsehens, wonach »das, was wir in Dschisr Al-Schughur gesehen haben, den meisten Geschichten widerspricht, die erzählt wurden«. Tatsächlich habe die Stadt drei Tage lang unter der Kontrolle bewaffneter Rebellen gestanden, die 72 Soldaten gelyncht hätten. Frauen und Kinder seien mißhandelt, alle öffentlichen Gebäude wie Postämter, Krankenhäuser und Behörden zerstört worden. »Wir waren überrascht zu sehen, wie Tausende von Menschen die Soldaten willkommen geheißen haben«, zitierte EFE einen Journalisten der halbamtlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu.

Die syrischen Kommunisten sehen in den Auseinandersetzungen in erster Linie eine »Intervention des französischen und US-Imperialismus, des Zionismus und der arabischen reaktionären Regime« gegen Damaskus. Wie der parteinahe Rundfunksender »Stimme des Volkes« berichtete, demonstrierten auch Anhänger der KP in den vergangenen Tagen gegen die ausländische Einmischung und warfen speziell Frankreich vor, das Land wieder wie bis 1946 seiner Kolonialherrschaft unterwerfen zu wollen. Bestätigt können sich die Kommunisten dabei durch Äußerungen aus Washington sehen. Die Sprecherin des State Department, des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, räumte während einer Pressekonferenz am Donnerstag (Ortszeit) ein, daß ihre Botschaft in Damaskus und andere nordamerikanische Stellen mit Regierungsgegnern »innerhalb und außerhalb Syriens« in Kontakt stünden. Staatschef Assad habe die Wahl gehabt, sich zwischen Reformen oder einem Ende seiner Herrschaft zu entscheiden, und er habe »seine Entscheidung getroffen«. Auch die EU will den Druck auf Damaskus mit weiteren Sanktionen verschärfen.

* Aus: junge Welt, 18. Juni 2011


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