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Syrische Oppositionsgruppen konferieren in Moskau

Es geht um die Umsetzung des Annan-Plans - Doch der "Syrische Nationalrat" bleibt auf Kriegskurs

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der russische Außenminister Sergej Lawrov hat am Montag und Dienstag verschiedene Gruppen der syrischen Auslandsopposition empfangen, um deren Ansichten über die Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans von Kofi Annan zu hören. Russland arbeite „aktiv an einem Zustandekommen eines Dialogs zwischen der syrischen Regierung und verschiedenen Oppositionsgruppen“, sagte Lawrov zu Beginn des Treffens. Das sei wichtig, um die Vereinbarung von Genf (Übergangsregierung aus Regierung und Opposition) zu erreichen.

Der besonders in Deutschland bekannte Oppositionelle Michel Kilo war am Montag an der Spitze einer Delegation des Syrischen Demokratischen Forums gekommen, das vor zwei Monaten in Kairo gegründet worden war (siehe das Interview). Er hoffe, die „Gedanken von Ihnen sind nützlich für uns“, wird Lawrov im Gespräch mit Kilo zitiert. Kilo verwies darauf, dass Syrien zum „Spielfeld eines internationalen Konflikts“ geworden sei, er hoffe, dass Russland mit der Opposition eine „Stabilisierung der Lage im Land“ erreichen könne. Kilo machte die syrische Führung dafür verantwortlich, dass es keine Gespräche (mit der Opposition) gebe. Im Vorfeld der Fahrt nach Moskau hatte Kilo im Gespräch mit der Autorin (in Paris) darauf verwiesen, dass er mit anderen syrischen Oppositionellen vor einem Jahr mit Vertretern der Regierung in Damaskus gesprochen und „kein einziges positives Signal“ erhalten habe. In Moskau sagte Kilo laut russischem Nachrichtensender Russia Today: „Das Regime kommt unseren Forderungen nicht entgegen und es sagt, wir vertreten nicht das syrische Volk.“ Das Internetportal ‚Russland aktuell’ zitiert Kilo mit der Aussage, er sehe wegen der Gewalt in seinem Land keine Chance für einen Dialog mit Präsident Baschar al-Assad.

Der syrische Nationalrat (SNR), der am Dienstag in Moskau eintraf, ging auf deutlichen Konfrontationskurs zum Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan. Ein Sprecher kritisierte den Besuch von Kofi Annan in Damaskus und beschuldigte den Sonderbeauftragten von UN und Arabischer Liga, zum "Symbol des Regimes" zu werden. Er sei nach Damaskus gefahren, obwohl die Gewalt anhalte. Gleichzeitig sei Annan dem Treffen der „Freunde Syriens“ (6.7.2012) in Paris ferngeblieben. Zu dem Paris-Treffen hatte Frankreich eingeladen, das mit den USA, Großbritannien, Deutschland und den Golfmonarchien Katar und Saudi Arabien zur Führungsgruppe der „Freunde Syriens“ gehört. Die Gruppe hat den SNR, der von keinem Syrer gewählt wurde und der die bewaffneten Aufständischen in Syrien unterstützt, als „legitime Vertretung Syriens“ anerkannt.

Neben der Kritik an Kofi Annan forderte SNR-Sprecher Najib Ghadbian die 'internationale Gemeinschaft' zu raschen Maßnahmen auf, um die "Serienmorde des Regimes" zu stoppen. Da Annans Friedensplan gescheitert sei, müsse der UN-Sicherheitsrat jetzt Resolutionen nach Kapitel VII der UN-Charta beschließen. Das Kapitel sieht Zwangsmaßnahmen gegen Staaten von Wirtschaftssanktionen bis hin zu Militäreinsätzen vor. Russland solle das unterstützen, forderte der SNR-Sprecher. Bassma Kodmani vom SNR-Vorstand betonte, die syrische Opposition sei sich einig, dass das „Assad-Regime gestürzt“ werden müsse. Die Bildung einer Übergangsregierung – wie in Genf (30.6.2012) von den Vetomächten des UN-Sicherheitsrates beschlossen - stehe nicht auf der Tagesordnung.

Der stellvertretende russische Außenminister Mikail Bugdanov kritisierte am Dienstag das Gerede über ein Scheitern des Kofi Annan Plans. Es richte politischen und moralischen Schaden an und fache direkt und indirekt die Gewalt in Syrien an. Russland sei bereit, ein weiteres internationales Treffen zu Syrien auszurichten, fügte Bugdanov hinzu. Er hoffe, dass auch Iran und Saudi Arabien dann dabei wären, die bei dem Treffen in Genf gefehlt hätten.

In Syrien treten Oppositionelle nach wie vor einen friedlichen Übergang ein. Der Historiker und Vorsitzende der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, sagte im Gespräch mit der Autorin in Damaskus, alle, die zum Dialog bereit seien, sollten trotz aller Widrigkeiten damit beginnen. Die Genf-Konferenz habe ein Gremium aus Regierung und Opposition vorgeschlagen, das den politischen Übergang sichern solle. Darüber müsse jetzt gesprochen werden, forderte Jabbour. Regierung und Opposition sollten Namen nennen. „Wenn man erst einmal mit dem Dialog beginnt, werden die anderen folgen“, ist Jabbour überzeugt. „Besser wir reden 10 Jahre lang, als dass das Blutvergießen weitergeht.“

Der Begründer der Bewegung „Der Dritte Weg“, der Islamgelehrte Mohammed al-Habash erklärte dem Magazin Syria Today, niemand dürfe von einem Dialog ausgeschlossen werden.“ Louay Hussein von der Gruppe „Den Syrischen Staat aufbauen“ betonte, dass es nicht darum gehen könne, einen „Dialog zu führen in dem Beschwerden gesammelt werden und alle ihre gerechtfertigten Forderungen vortragen“ könnten. Letztlich seien Regierung und Opposition „Gegner, die miteinander verhandeln“ müssten.

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ zeigte sich derweil am Dienstag „schockiert über die Tötung von 33 Journalisten in Syrien seit März 2011 sowie über zahlreiche Verhaftungen.“ In ihrer Erklärung (www.rsf.org) werden ausschließlich „Bürgerjournalisten“ genannt, die bei Kämpfen, Übergriffen der Armee oder bei der Dokumentation von Kämpfen getötet oder nach ihrer Festnahme vermutlich umgekommen seien. Syrien nimmt auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ Platz 176 (von 179) ein. Präsident Assad wurde am 3. Mai 2012 zum „Feind der Pressefreiheit“ ernannt. Angriffe auf andere Journalisten in Syrien werden nicht erwähnt. Zuletzt waren Ende Juni 7 Mitarbeiter des privaten Fernsehsenders Al Ikhbariya durch Aufständische getötet worden. Am Wochenende wurde ein Team des Syrischen Fernsehens von Aufständischen unter Feuer genommen. Die UN bestätigt derweil, dass infolge des Sechs-Punkte-Plans sich die Einreise für internationale und arabische Journalisten weitgehend normalisiert habe in Syrien.

* Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien unter dem Titel "Diskussion um Syrien-Dialog" im "neuen deutschland", Mittwoch, 11. Juli 2012


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