Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Dubiose Quellen

Syrien-Krieg: Europas Medien tanzen nach der Pfeife reaktionärer Scheichs

Von Gerrit Hoekman *

Auf dem Schlachtfeld herrscht im syrischen Bürgerkrieg seit zwei Jahren Chaos. Keine der beiden Seiten kommt recht voran; die Kriegsparteien reiben sich in einem blutigen Häuserkampf auf. An der Medienfront haben jedoch die Rebellen seit Beginn des Konflikt das Sagen. Über die arabischen Sender »al-Dschasira« und »al-Arabiya« gelangt ihre Sicht der Dinge fast ungeprüft an die Öffentlichkeit. In den meisten deutschen Redaktionsstuben gelten die Sender als glaubwürdige Quellen, deren Berichte man ohne Gegenrecherche übernehmen kann.

Die syrischen Medien hingegen haben in Europa einen denkbar schlechten Ruf – angeblich lügen sie wie gedruckt. Das gilt sowohl für die staatliche Nachrichtenagentur SANA, wie auch für die großen Tageszeitungen Baath (Wiedererweckung), Tishrin (Oktober) und Thawra (Revolution). In der Tat sind die Staatsmedien in Syrien nicht unabhängig, auch das Fernsehen berichtet im Sinne der Regierung. Doch es ist unredlich, ihnen zu unterstellen, sie würden nur lügen. Einige syrische Kollegen haben in diesem Krieg bereits ihr Leben verloren, weil sie die Armee im Kampfeinsatz begleiteten. Andere wurden von Rebellen entführt oder umgebracht. Monatelang waren SANA und die Tageszeitungen nicht mehr im Internet zu erreichen, weil ihre Seiten blockiert waren. Vor ein paar Wochen ist es Syrien aber offenbar gelungen, das Online-Embargo zu umgehen.

Ein Besuch auf der Homepage von SANA ist wie eine Reise in ein anderes Syrien. Eines, von dem wir in Deutschland so gut wie nichts mitbekommen. Welche Zeitung berichtet schon über einen harmlosen Ingenieur, den die Rebellen an seinem Arbeitsplatz erschießen, nur weil er beim Staat angestellt ist? Am Wochenende, berichtet SANA, haben sich zwei Rebellengruppen beim Verteilen der Kriegsbeute in die Haare bekommen, es gab sogar Tote. Zur selben Zeit soll die syrische Armee ein weiteres Viertel der seit Wochen heftig umkämpften Rebellenhochburg Darayya erobert haben, und in der Stadt Aqraba haben die Soldaten »die Sicherheit der Einwohner wieder hergestellt«. In den deutschen Medien feiern aber nur die Rebellen militärische Erfolge.

Für deutsche Redaktionen ist das Syrien, das SANA beschreibt, ein Potemkinsches Dorf, errichtet von journalistischen Schmutzfinken in Damaskus. Dabei wird im Westen gerne unterschlagen, daß al-Dschasira von Katar finanziert wird und al-Arabiya von Saudi-Arabien – mithin den Staaten, die mit viel Geld den bewaffneten Aufstand in Syrien am Leben halten. Die Golfstaaten haben inzwischen eine Medienmacht, die sogar einen Mogul wie Ruprecht Murdoch neidisch machen könnte. Denn auch zwei der größten arabischen Tageszeitungen stehen unter der Fuchtel der Saudis: Ash-Sharq al-Awsat (Der Mittlere Osten) und al-Hayat (Das Leben).

Die in Beirut gegründete al-Hayat galt lange wegen ihrer Unabhängigkeit als die beste arabische Tageszeitung. Als sie 1976 wegen des Bürgerkriegs im Libanon schließen mußte, waren 13 Bombenanschläge auf sie verübt worden, ihr Gründer Kamil Mrowa war bereits 1966 in seinem Büro erschossen worden. 1988 kaufte der saudische Prinz Khalid das Blatt. »Die Übernahme durch Prinz Khalid bedeutete, daß die Zeitung vorsichtig auftritt, wenn es eine beunruhigende Neuigkeit über Saudi-Arabien gibt – eine bemerkenswerte Ausnahme zu ihrem sonst unabhängigen Standpunkt«, urteilte die New York Times schon vor Jahren. Das betrifft alle Medien, die im Besitz der Golfmonarchien sind. Ihre Unabhängigkeit endet da, wo die Interessen der Scheichs beginnen. Insofern sind syrische Journalisten nicht schlechter als ihre arabischen Kollegen und unterliegen den gleichen Zwängen: Vieles ist erlaubt, solange es dem Staat nicht schadet. Dabei sind die Grenzen der Pressefreiheit in Syrien weiter gefaßt, als es noch in den 80er Jahren war, die Medien sind unter Baschar al-Assad deutlich unabhängiger geworden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 31. Januar 2013


Afrika rückt näher

Von Sabine Schiffer

Traut man seinen Augen und Ohren noch? Da verkünden Westerwelle & Co., dass man den französischen Militäreinsatz in Mali zu unterstützen habe – schließlich sei das Land quasi direkt vor unserer Haustür. Der Rassismusforscher mag hier einen Unterton hören à la „jetzt, wo Quadafi und Ben Ali uns nicht mehr die schwarze Migration gen Mittelmeer vom Hals halten“, aber der Untertöne gibt es mehr. Denn die geografische Entfernung Malis ist doch beträchtlich. So sollte man den Widersprüchen nachgehen, um ein bisschen hinter die humanitäre Kriegsrhetorik zu blicken, an die wir uns schon gewöhnt haben, seitdem auch der Hindukusch sich Deutschland extrem näherte.

Die rhetorisch fokussierten Feinde, die Islamisten, werden hier ausdrücklich nicht als Freiheitskämpfer eingestuft – im Gegensatz zu ihren Kollegen in Syrien, deren logistische Unterstützung vom Westen her nun schon vielfach bekannt wurde. Dort heißen die Islamisten „Freiheitskämpfer“ und es vergeht auch nach wie vor kaum ein Tag, an dem die Bevölkerung nicht auf eine Intervention zum Sturze Assads eingestimmt wird. In diesen Kontext kann der militärisch unsinnige Patriot-Raketen-Einsatz mit Anwesenheitspflicht für Bundeswehrsoldaten eingeordnet werden.

In Mali und Algerien sind Islamisten die Gefahr für das sichere Europa – sozusagen direkt nebenan – und für den Zugang zu wichtigen Rohstoffquellen in einem uranreichen Gebiet. Nun will niemand die Taten der Kriegstreiber hüben wie drüben gutheißen, aber allzu auffällig ist doch die „humanitäre“ Interventionsbereitschaft stets in solch wirtschaftlich interessanten Gebieten, und nicht überall dort, wo Menschenrechte verletzt werden.

Mali scheint nach dem Sturz Quadafis zum Spielball geopolitischer Interessen geworden zu sein, was es unter Quadafis Einfluss eigentlich auch schon war. Erst durch die „Umgestaltung“ der Achse Libyen-Mali ist das möglich geworden, was jetzt vor Ort zu beobachten ist: die Spaltung des Landes.

Die deutsche Kriegspropaganda ist auffällig – aller Leitmedien und ganz im Sinne einer gelehrigen Regierung, die aus dem Libyenkrieg gelernt hat, dass man sich beteiligen muss, um vom Kuchen der Kriegsbeute auch etwas abzubekommen. Da die primären Interessen von Frankreich ausgehen, kann man in diesem Kontext gut auf logistische Unterstützung setzen und die unpopulären Kampfhandlungen ausschließen. Ausbildung von Polizei und Militär klingt ja auch gut – wenn da nicht die Ausbildung der islamistischen Milizen durch die USA gewesen wäre. Auch die Ausrüstung der Milizen deutet eher auf friendly fire hin. Gerade wenn man die Rolle einiger Verbündeter Deutschlands, wie Qatar oder den „Stabilitätsfaktor“ Saudi-Arabien, einbezieht, die zwar weiter Waffen und Waffenlizenzen von Deutschland erhalten, aber ganz offen islamistische Gruppierungen unterstützen. Die Gemengelage ist so widersprüchlich, dass dies eigentlich ein gefundenes Fressen für einen aufgeklärten Journalismus sein müsste, der sich als Vierte Gewalt versteht.


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