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Nachrichtenkrieg in Syrien

Widersprüchliche Meldungen prägen die Lage ebenso wie anhaltende Gewalt

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Zwischen der Darstellung der Ereignisse in westlichen Medien, bei Facebook und auf oppositionellen Webseiten einerseits und deren Darstellung in den staatlichen syrischen Medien andererseits liegen Welten.

In Maaret al-Numan sollen nach Darstellung des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira am Wochenende Sicherheitskräfte von Tausenden Demonstranten überwältigt worden sein. Anschließend hätten die Demonstranten das Gerichtsgebäude sowie eine Polizeiwache des Ortes in Brand gesteckt. Das Militär habe daraufhin Panzer und Hubschrauber gegen die Demonstranten eingesetzt und »stundenlang« beschossen.

Unter Berufung auf oppositionelle Webseiten sprachen viele Medien von einem »Tag der Stämme« am vergangenen Freitag. Erneut hätten Zehntausende landesweit gegen die Regierung demonstriert, mindestens 36 Personen sollen getötet worden sein.

Die staatlichen syrischen Medien berichteten derweil von Kämpfen in Dschisr al-Schogur und umliegenden Orten im Norden des Landes. Sowohl in Maaret al-Numan als auch in Dschisr al-Schogur seien inzwischen Tausende bewaffnete Aufständische gegen Armeekräfte und gegen die Bevölkerung im Einsatz, was von Seiten Oppositioneller als »Lüge« bezeichnet wird.

Unbestätigten Berichten zufolge wurden bereits gut ein Dutzend Panzer sowie zwei Hubschrauber der syrischen Armee von den Aufständischen zerstört, was auf den Einsatz schwerer Waffen hinweist.

Unbestritten ist derweil der Einsatz von Soldaten in Dschisr al-Schogur, wo Anfang vergangener Woche nach offizieller Darstellung 120 Soldaten und Sicherheitskräfte von Aufständischen getötet worden waren. Das syrische Militär, das mit Panzern und Hubschraubern im Einsatz ist, wurde von rund zwei Dutzend ausländischen Medien begleitet, darunter Reporter der britischen BBC und des südamerikanischen Nachrichtensenders Telesur. Sie berichteten von heftigen Kämpfen und Festnahmen von Aufständischen sowie über den Fund von acht getöteten Sicherheitsleuten, die aus einer Grube geborgen wurden. Manche sprachen von zehn Toten. Alle Leichname wiesen schwere Verstümmelungen auf.

Der syrische Außenminister Walid al-Mou’allem hat in einem Schreiben an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vor einer Resolution des Sicherheitsrates gewarnt, wie sie derzeit von Frankreich, Großbritannien und Deutschland vorangetrieben wird. Eine solche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens würde »Extremisten und Terroristen« zu einer weiteren Destabilisierung des Landes ermuntern. Russland, China und Libanon sind gegen eine Verurteilung Syriens durch den Sicherheitsrat. Der brasilianische Außenminister Antonio Patriota sagte, die Situation in Nahost könnte sich durch eine kritische Resolution weiter verschlimmern.

Ägyptens Außenminister Nabil al-Arabi erklärte in Kairo, Ägypten versuche zwischen der EU und Damaskus zu vermitteln, um die Einreise eines westlichen Sondergesandten nach Syrien zu erreichen. Die UNO und das Internationale Rote Kreuz versuchen seit Wochen, eigene Delegationen nach Syrien zu schicken.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juni 2011


Stimme der Opposition war ein Fake

US-Amerikaner bekennt sich zu syrischem Blog

Eine Zeit galt der Blog als Stimme der syrischen Opposition im Internet, doch dann wuchsen Zweifel, ob das Internettagebuch »A Gay Girl in Damascus« wirklich von einer jungen Oppositionellen geführt wurde. Nun behauptet ein 40-jähriger US-Amerikaner, er habe den Blog verfasst. Dort erschien am Wochenende auch in seinem Namen eine Entschuldigung. Die 25-jährige Amina Abdullah Arraf al-Omari, die als Autorin des Internet-Tagebuchs »A Gay Girl in Damascus« (Ein lesbisches Mädchen in Damaskus), genannt wurde, sei seine Erfindung, erklärte Tom MacMaster. Er ist nach eigenen Angaben verheiratet und studiert derzeit an der Universität Edinburgh.

Er sei wegen seiner politischen Einstellung häufig als antiamerikanisch oder antisemitisch kritisiert worden, erklärte er am Montag der BBC Scotland. »So habe ich einen Namen erfunden, mit dem ich sprechen konnte, um das Augenmerk auf die aktuelle Lage zu richten.« Er hätte sich nie vorgestellt, damit »so viel Aufmerksamkeit zu erregen«, fügte er hinzu.

Die falsche Amina hatte seit Februar in dem Blog über das Leben einer lesbischen Muslimin berichtet und ihren persönlichen Einsatz für die syrische Demokratiebewegung geschildert. Schließlich tauchte die Botschaft einer »Cousine« der angeblichen Bloggerin auf, in der es hieß, Amina sei auf ihrem Weg zu einem Treffen mit anderen Aktivisten von Bewaffneten in Zivil verschleppt worden. Auch der Text der Verwandten stammte demnach von MacMaster.

(Neues Deutschland, 14. Juni 2011)



Offensive gegen Aufstand

Schwere Kämpfe in Syrien. Einwohner fliehen aus der betroffenen Region

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Mit einer massiven Offensive geht das syrische Militär seit Sonntag (12. Juni) gegen bewaffnete Aufständische in Dschisr Al-Schughur vor. Der etwa 50000 Einwohner zählende Ort liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt. Das Militär setzt bei der von Maher Assad, dem Bruder des syrischen Präsidenten, befehligten Operation Panzer und Hubschrauber ein. Baschar Al-Assad selbst hat sich seit Tagen nicht mehr öffentlich zu den Ereignissen im Land geäußert. Auf seiten der Aufständischen werden Panzerfäuste und Dynamit eingesetzt, Brücken und Straßen wurden vermint. Unbestätigten Berichten zufolge sollen mindestens ein Dutzend Panzer zerstört und zwei Hubschrauber abgeschossen worden sein, was auf schwere Waffen der Aufständischen hinweist.

Nach Angaben türkischer Behörden und dem türkischen Roten Halbmond sollen bisher 5000 Einwohner aus Dschisr Al-Schughur über die Grenze gekommen sein, vorwiegend Frauen und Kinder. Tausende weitere sollen auf syrischer Seite an der Grenze warten. Der türkische Rote Halbmond hatte offenbar in Erwartung einer Flüchtlingswelle bereits vor Wochen Lager errichtet. Reportern internationaler Medien ist der Zutritt zu diesen aber untersagt.

Einige Personen, die direkt nach dem Grenzübertritt befragt wurden, dementierten die offizielle syrische Darstellung, daß es in Dschisr Al-Schughur bewaffnete Auseinandersetzungen gebe. Ein Mann sagte dem türkischen Fernsehsender NTV, syrische Panzer beschossen die Stadt, es gäbe aber keine Kämpfe, weil alle Menschen geflohen seien. Die Armee habe Felder in Brand gesetzt und Vieh getötet. Ein namentlich nicht genannter westlicher Diplomat in Damaskus bezeichnete gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters die staatliche Darstellung der Ereignisse als »unwahrscheinlich«. »Die meisten Menschen haben Dschisr Al-Schughur verlassen, nachdem sie die Politik der verbrannten Erde des Regimes gesehen haben«, so der Diplomat.

Rund 20 Vertreter internationaler Fernsehanstalten und Agenturen wurden am Wochenende von der syrischen Armee »eingebettet« und in zur Operation in Dschisr Al-Schughur mitgenommen. Sie wurden Zeugen von Kämpfen und Festnahmen, einige Reporter gerieten dabei offenbar selbst ins Kreuzfeuer. Die vorwiegend sunnitisch-muslimische Bevölkerung des Ortes soll die in Syrien verbotene Muslimbruderschaft unterstützen. 1980 war ein Aufstand in Dschisr Al-Schughur blutig niedergeschlagen worden. Auslöser der aktuellen Militäroperation ist der Tod von mehr als 100 Polizisten und Soldaten, die vor einer Woche von bewaffneten Aufständischen getötet worden sein sollen. Am Samstag öffnete das syrische Militär eine Grube am Rande des Ortes, aus der acht Leichen von Sicherheitsleuten geborgen wurden, die schwere Verstümmelungen aufwiesen.

Unterdessen wurde bekannt, daß es sich bei der syrischen Bloggerin »Amina Arraf«, die nach Angaben einer »Cousine« vor einigen Tagen von syrischen Sicherheitskräften verschleppt worden sein soll, um eine Fälschung gehandelt haben dürfte. Das berichten übereinstimmend britische und US-amerikanische Medien, die zuvor ausführlich über die »Aktivistin für Freiheit und Demokratie« berichtet hatten. Als tatsächlicher Autor des angeblich aus Damaskus stammenden Blogs nannte der britische Guardian den Studenten Tom MacMaster. Die New York Times berichtete unterdessen, daß die US-Regierung die heimliche Kommunikation von Regimekritikern in Ländern des Mittleren Ostens unterstütze. Auch in Syrien helfe sie beim Aufbau alternativer Handynetze, damit Aufständische und Oppositionelle sich besser vernetzen könnten.

** Aus: junge Welt, 14. Juni 2011


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