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"Demokratie ist nicht mit Gewalt zu erreichen"

Syrisches Oppositionsbündnis plant für Ende Januar eine Konferenz in Genf. Ein Gespräch mit Haytham Manna *



Ende Januar planen Sie eine Konferenz in Genf unter dem Titel »Für ein Demokratisches Syrien und einen zivilen Staat«. Wer ist eingeladen, was ist das Ziel der Konferenz?

Wenn es um Syrien geht, hören wir in Europa bis heute ausschließlich die Stimmen von Staaten und Regierungen. Die globale Zivilgesellschaft hat keine Stimme. Gleichzeitig hören wir ständig das Echo der Auslandsopposition, aber es gibt so gut wie keine Gelegenheit, die Stimme der internen Opposition zu hören. Zu dieser Konferenz werden mindestens 35 verschiedene politische Parteien und Nichtregierungsorganisationen aus Syrien kommen. Sie werden von mehr als 100 Personen aus Syrien vertreten. In Genf werden sie zu Diskussionen mit etwa 100 Angehörigen der Auslandsopposition und weiteren etwa 100 Aktivisten der europäischen, US-amerikanischen und afrikanischen Zivilgesellschaft zusammentreffen. Warum grenzt man die gewaltfreie Option aus? Warum hört man in Europa und in den Medien nichts von den Leuten, die sich täglich darum in Syrien bemühen? Warum gibt es keinen Erfahrungsaustausch zwischen der syrischen Zivilgesellschaft und der, die international aktiv ist? Das wäre für uns eine Hilfe. Ich habe kein Vertrauen in die Politik der meisten Regierungen. Aber ich bin sicher, daß wir in der internationalen Zivilgesellschaft viele Freunde haben.

Wer sind denn die Veranstalter der Konferenz? Die Vereinten Nationen?

Nein, aber sie werden teilnehmen. Die eigentlichen Veranstalter sind die Arabische Kommission für Menschenrechte, das Skandinavische Institut für Menschenrechte und das Bürgerforum Horan. Unterstützung gibt es auch von engagierten Einzelpersonen der syrischen Diaspora, Ärzte, Ingenieure und Geschäftsleute, die in einer Art Patenschaft die Kosten für jeweils eine Person aus Syrien übernehmen, die eine solche Reise selbst nicht finanzieren können.

Das Hauptziel der Konferenz ist also zu sagen: Wir sind hier, und wir wollen gehört werden?

Allgemein geht es um die Folgen der Gewalt in Syrien. Es werden viele interessante Leute aus Syrien kommen, die etwas zu sagen haben. Beispielsweise wird Scheich Riad Dra’aa aus Deir Ezzor an dem Treffen teilnehmen. Er vertritt die Strömung für demokratischen Islam und ist in Syrien ein bekannter islamischer Intellektueller. Acht Jahre hat er im Gefängnis verbracht. Heute aber kann er reisen und sich öffentlich äußern. Er hat viel über Islam und Säkularismus geforscht und über die Rolle des Islam in einem modernen Staat. Bei der Konferenz wird er über die Rolle der islamischen bewaffneten Gruppen in Syrien sprechen, die den säkularen Charakter des syrischen Staates bedrohen, und über eine demokratische Perspektive für Syrien.

Sie sagen, daß Sie in die Politik der meisten Regierungen kein Vertrauen haben, dennoch haben Sie kürzlich verschiedene Staaten besucht. Sie waren in Moskau, in Peking, in Teheran, worum ging es bei den Gesprächen?

Ich war dort als Vertreter des Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel, dem NCB. Wir sind überzeugt, daß unser kontinuierlicher Kontakt mit Moskau, wo wir unsere Position immer wieder deutlich gemacht haben, eine Menge für die Opposition verändert hat. Moskau ist in der Lage, die Phase eines Übergangsprozesses in Syrien zu diskutieren, zu verhandeln. Das war vorher nicht der Fall. In Teheran haben wir drei Dinge erreicht: Erstens: der iranische Außenminister Ali Akhbar Salehi stimmt zu, daß es in Syrien kein Zurück mehr gibt zu dem alten Regime. Zweitens: die beste Lösung für Syrien ist ein demokratisch verfaßter Staat und drittens: Demokratie in Syrien ist nicht mit Gewalt zu erreichen. Wir halten diese drei Aussagen für eine große Veränderung in der iranischen Position. Was China betrifft, bin ich überzeugt, daß wir es ebenfalls brauchen. Unglücklicherweise richtet der Krieg große Zerstörungen an, Syrien ist wirtschaftlich geschwächt. Wir haben kein Öl und daher brauchen wir günstige Bedingungen, um das Land wieder aufzubauen. Wir haben von verschiedenen Seiten, von China, selbst von Japan Zusagen erhalten, daß sie Syrien beim Wiederaufbau helfen werden, ohne (politische) Zusagen von unserer Seite zu fordern.

Die Positionen von Moskau und Teheran hinsichtlich einer Übergangsperiode in Syrien werden in den westlichen Medien dahingehend interpretiert, daß beide Regierungen »von Assad abrücken«. Die westliche Berichterstattung konzentriert sich auf die Position von Präsident Assad. Fortschritt wird davon abhängig gemacht, daß er geht. Ist das wirklich so wichtig?

Moskau zieht meiner Ansicht nach keinen Vorteil aus der Lage in Syrien, seit Monaten sind die Russen bereit, über alles zu reden. Aber sie gehen nicht so primitiv heran wie einige Leute, die meinen, bevor sie auf dem Flughafen von Damaskus landen, müsse Assad verschwunden sein, vorher würden sie über nichts verhandeln. Wir lehnen so eine Haltung ab. Die zentrale Frage ist, wie kann der Übergangsprozeß vermittelt und umgesetzt werden. In Syrien wird das heute so dargestellt, als habe man kein Recht, mit irgend jemandem (von der Regierung, Anm. jW) Kontakt aufzunehmen und zu diskutieren, oder zu verhandeln.

Also Dialog?

Meiner Ansicht nach ist die Zeit für einen Dialog eigentlich vorbei, wir müssen jetzt über eine Übergangslösung verhandeln. Aber das Konzept, jedes Gespräch abzulehnen und die Herangehensweise, alles für sich allein zu beanspruchen, bedeutet, daß der Krieg weiter geht. Bis in den Palast, mit allen Konsequenzen: Die Zerstörung von Damaskus, die Vertreibung von Hunderttausenden, Toten, alles das wird in Kauf genommen, wenn man Gespräche verweigert. Um das zu verhindern, brauchen wir einen allmählichen Übergang. Mit einseitigen Entscheidungen – ob von Bashar (Al-Assad) oder von irgend jemandem sonst – wird es den nicht geben.

Es gibt viele Aufrufe der Regierung zu Gesprächen, auch Vizepräsident Faruk Al-Scharaa spricht sich für Verhandlungen aus. Gibt es einen Kontakt zwischen Ihrer Organisation und Vertretern der Regierung?

Faruk Scharaa verdient mehr Respekt als eine Menge der großartigen Figuren der Auslandsopposition, die im westlichen Ausland leben und für das, was sie tun und sagen, Geld kassieren. Scharaa hat nie Profit aus seiner langjährigen Regierungsarbeit gezogen.

Wie ist Ihre Antwort auf die Aufrufe der Regierung zu Gesprächen?

Nein, so geht es nicht. Wir als NCB haben fünf Leute, die als öffentliche Vertreter fungieren. In Syrien sind es drei, außerhalb des Landes zwei. Zwei unserer Vertreter in Syrien sind in Haft, unter anderem Abdulaziz Al-Khair, wie können wir da verhandeln? Wie kann man verhandeln, wenn einem das Messer an den Hals gehalten wird! Es gibt ein arabisches Sprichwort: Wenn du den Fisch lange am Leben erhalten willst, mußt du ihn im Wasser lassen. Aber uns fehlt das Wasser, also gibt es keine Bedingungen für den Dialog.

Die Lage für die politische Opposition in Syrien ist schwierig, und die Lage der Menschenrechte ist auch schlecht. Bei soviel Mißtrauen und Leid, gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit für Verhandlungen, für Versöhnung?

Freunde aus Südafrika haben mir ein Buch geschenkt über die geheimen Verhandlungen zwischen dem Apartheid-Regime und dem ANC. Ja, es gab diese Verhandlungen. Mit Freunden oder der Familie verhandelt man nicht, mit denen trifft man Entscheidungen. Verhandlungen gibt es mit dem politischen Gegner, mit dem Feind.

Heißt das, es gibt geheime Verhandlungen zwischen Opposition und Regierung in Syrien?

Nein, aber wir brauchen sie. Wir brauchen geheime Verhandlungen zwischen den militärischen und den zivilen Kräften, dann brauchen wir Verhandlungen zwischen der Armee und der Opposition. Und drittens brauchen wir Verhandlungen zwischen dem Staat und der Opposition. Und wenn die Medien das alles begleiten würden, wäre es in 24 Stunden vorbei.

* Haytham Manna ist Auslandssprecher des oppositionellen Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel in Syrien (NCB). Der 1951 geborene Arzt und Psychotherapeut Manna stammt aus Deraa. Während des Aufstandes der syrischen Muslimbruderschaft (1979–1980) mußte er Syrien aus politischen Gründen verlassen. Seit 1982 lebt er in Frankreich und konzentriert sich neben seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt (nicht mehr praktizierend) vor allem auf seine Tätigkeit in der Arabischen Kommission für Menschenrechte.

Interview: Karin Leukefeld, Paris

* Aus: junge Welt, Dienstag, 15. Januar 2013


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