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Assad: Bereit zum Kämpfen und Sterben

Syrischer Präsident ließ Ultimatum verstreichen *

Syriens Präsident Baschar al-Assad will sich dem internationalen Druck nicht beugen und ließ das Ultimatum der Arabischen Liga verstreichen. Die Liga hält an ihren Forderungen fest.

Er sei im Falle einer ausländischen Militärintervention bereit zu kämpfen und zu sterben, sagte Assad der britischen »Sunday Times«. Der Staatschef ging in dem Interview davon aus, dass der Konflikt und der Druck auf Syrien andauern werden. »Ich versichere, dass Syrien sich nicht beugen und dem Druck widerstehen wird«, erklärte er.

Der Arabischen Liga, deren Ultimatum in der Nacht zum Sonntag ablief, warf Assad vor, nur einen Vorwand für eine westliche Militärintervention schaffen zu wollen. Dies käme aber einem »Erdbeben« im Nahen Osten gleich und würde die ganze Region destabilisieren. Die Liga hatte Syrien am Mittwoch eine Frist von drei Tagen gesetzt, die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung zu beenden, und andernfalls mit Wirtschaftssanktionen gedroht. Zudem hatte die Liga die Mitgliedschaft Syriens ausgesetzt. Dies bezeichnete Assad im Interview als »irrelevant«.

Syriens Außenminister Walid al-Muallem sagte am Sonntag (20. Nov.) bei einer Pressekonferenz, die Situation erfordere einen ruhigen Diskussionsprozess und keine hastigen Entscheidungen. Er verwies darauf, dass Syrien den Friedensplan der Arabischen Liga akzeptiert habe. Aber es akzeptiere keinen Angriff auf seine Souveränität. Der Minister betonte, er hoffe auf eine Einigung, Syrien sei jedoch Druck von außen gewohnt. »Wenn wir kämpfen müssen, werden wir auch kämpfen.«

In einer Stellungnahme am Sonntag wies die Liga einen syrischen Antrag zurück, ihren Plan zur Entsendung von 500 Beobachtern zum Schutz der Zivilbevölkerung in Syrien zu überarbeiten. Eine Änderung des Plans »würde das Wesen der Mission radikal verändern«, teilte der Staatenbund mit.

Syrische Sicherheitskräfte gingen unterdessen am Wochenende wieder mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Nach Angaben der in London ansässigen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte starben am Sonntag drei Menschen, am Sonnabend kamen mindestens 17 ums Leben, unter ihnen elf Zivilisten. In der Hauptstadt Damaskus wurde nach Oppositionsangaben am Wochenende erstmals ein Gebäude der regierenden Baath-Partei mit Granaten angegriffen. Das Haus im Zentrum der Stadt sei von mehreren Geschossen getroffen worden, teilte die Opposition mit.

Seit dem Beginn der Proteste gegen Assads Regierung im März starben nach UN-Angaben mehr als 3500 Menschen. Assad selbst gab die Zahl der toten Zivilisten im Interview mit der »Sunday Times« mit 619 an. Zudem seien 800 Sicherheitskräfte getötet worden.

Der türkische Präsident Abdullah Gül sagte in einem Interview mit dem britischen »Sunday Telegraph«, er sei überzeugt, »dass es an den Ufern des Mittelmeers keinen Platz mehr für autoritäre Regime gibt«. Sollte Assad nicht selbst den Wandel vorantreiben, könnte sich die Situation sehr schlecht entwickeln.

Der oppositionelle syrische Nationalrat veröffentlichte derweil auf seiner Website sein Programm. Das Gremium plant die Bildung einer Übergangsregierung, die Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung organisieren soll.

* Aus: neues deutschland, 21. November 2011


Damaskus enttäuscht

Linke Opposition in Syrien kritisiert Regierung wegen mangelnder Umsetzung von Reformen. Skepsis gegenüber Exilgruppen. Angst vor weiterer Gewalteskalation

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Die Wut in Syrien über die Entscheidung der Arabischen Liga, die Mitgliedschaft des Landes auszusetzen, ist spürbar. Die USA, Israel und Katar werden für die Destabilisierung verantwortlich gemacht, weil Syrien sich nicht deren Plänen für den Nahen Osten unterordnet. Mit dem wachsenden außenpolitischen Druck und Drohungen bezahle Syrien den Preis für seine Beziehungen zum Iran, zur Hisbollah, und weil es die Sache der Palästinenser unterstützt, analysiert der Geschichtsprofessor George Jabbour im Gespräch mit junge Welt. »Wie können die Arabische Liga, EU-Staaten, Vereinte Nationen und andere mit Vertretern des Syrischen Nationalrates beraten, die syrische Regierung aber von Gesprächen ausschließen?!« Der langjährige Berater des früheren Präsidenten Hafez Al-Assad kritisiert gleichzeitig die Regierung für ihre mangelhafte Umsetzung der Verpflichtungen, die sie gegenüber der Arabischen Liga zugesagt habe. Gefangene freilassen, Truppen und Sicherheitskräfte aus Wohngebieten abziehen und einen Dialog mit der Opposition aufnehmen, sind die zentralen Schritte, die in der arabischen Initiative für Frieden und politische Reformen in Syrien vorgesehen sind.

Auch Mohammad Habbasch, unabhängiger Abgeordneter und Leiter des Islamischen Studienzentrums in Damaskus, ist vom Handeln der Regierung enttäuscht: »Wir haben erwartet, daß die syrischen Medien – Fernsehen, Fotografen – vor den Gefängnissen stehen und berichten, wie Familien mit ihren gefangenen Angehörigen wiedervereint werden«, seufzt Habbasch im Gespräch mit junge Welt. Nur wenige hundert seien freigelassen worden, das Regime habe erneut die Hoffnungen der Menschen enttäuscht. Mit seiner Initiative »Dritter Weg für Syrien« hatte Habbasch im Sommer Abgeordnete und Intellektuelle von allen Seiten zusammengebracht: »Wir sind keine Partei, sondern eine Initiative, um zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln«, erläutert er. »Zu einigen Oppositionsgruppen in Syrien haben wir Kontakt bekommen, doch der Weg zum Regime bleibt uns versperrt.«

Acht Monate nach Beginn der Unruhen ist die syrische Opposition mehr als zuvor gespalten. Der tiefste Graben trennt die Opposition im Inland vom Syrischen Nationalrat (SNR), der aus dem Ausland agiert. Gegründet in der Türkei, wird die Gruppe von Ankara, der EU, den USA und der Arabischen Liga politisch und materiell gefördert, hat allerdings nach Einschätzung eines politischen Beobachters in Damaskus »so gut wie keine Unterstützung«. Die Mitglieder des Rates seien »unbekannt und unbedeutend«, Ratspräsident Burhan Ghalioun versuche nur, »sich eine eigene Machtbasis aufzubauen«. Mehr Unterstützung hat die syrische Muslimbruderschaft. Innerhalb Syriens ist ihre Anhängerschaft in den Gebieten zwischen Homs und Idlib zu finden, wo sich die blutigsten Kämpfe abspielen. Im Ausland gibt es verschiedene Strömungen, nicht alle haben politische Ambitionen. Im SNR ist die Muslimbruderschaft die stärkste Gruppe. Sie lehnt jeden Dialog mit dem Regime ab, plädiert für eine ausländische Intervention, vorzugsweise von der Türkei aus. Das Nachbarland sorgt – neben dem US-Außenministerium, Katar und vermutlich anderen – für die Finanzierung des Nationalrats. In einem der Flüchtlingslager im Grenzgebiet zu Syrien beherbergt Ankara Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« (FSA) und deren Angehörige. FSA-Einheiten kämpfen gegen die syrische Armee mit dem Ziel, das Regime zu stürzen. Neben diesen Gruppen, deren Größe unbekannt ist, kämpfen auch islamistische Söldner, Salafisten und Beduinen bewaffnet gegen die syrische Armee. Sie tun dies aus unterschiedlichen Gründen, werden aber nach Aussage der syrischen Regierung von Katar mit Geld und von der Türkei mit Waffen versorgt.

Die Anwendung von Gewalt, egal von welcher Seite, wird von Syrern nahezu einheitlich abgelehnt. Die Straßenproteste seien deswegen zurückgegangen, sagt die Frauenrechtlerin Sawsan Zakzak, und Frauen seien so gut wie überhaupt nicht mehr beteiligt. Innerhalb Syriens kristallisieren sich neue Gruppen und Debatten über die Zukunft des Landes heraus. »Nie haben wir so viel und so offen diskutiert wie in den letzten Monaten«, sagt ein politischer Beobachter, der anonym bleiben möchte. Die Gruppe »Für den Aufbau des syrischen Staates« um den Kommunisten Louai Hussein organisiert gesellschaftliche Debatten und tritt für einen nationalen Dialog ein. Ausländische Intervention und die Isolierung Syriens durch die Arabische Liga lehnen sie ab. Eine ähnliche Position nimmt die Volksfront für Veränderung und Befreiung ein, ein Zusammenschluß des Nationalkomitees für die Einheit der Syrischen Kommunisten und der Syrischen Nationalen und Sozialistischen Partei. Innerhalb der Baath-Partei melden sich immer mehr kritische Stimmen zu Wort, die deren Sonderstatus aufgeben wollen. Debatten gibt es auch in den Parteien der Nationalen Front, die mit der Baath die Regierung bilden. Die Kommunistische Partei hatte schon vor Jahren die Wirtschaftsliberalisierung kritisiert und den freien Aufbau einer Zivilgesellschaft gefordert.

** Aus: junge Welt, 21. November 2011


Syrien im Bürgerkrieg

Von Detlef D. Pries ***

Noch sind die Politiker uneins, ob ein Bürgerkrieg in Syrien erst droht oder ob er bereits tobt. Unbestreitbar ist, dass in syrischen Städten mittlerweile nahezu täglich Menschen getötet werden. Und der Granatenangriff im Herzen von Damaskus am Wochenende zeigt, dass der Streit der verfeindeten Lager von beiden Seiten mit Waffengewalt ausgetragen wird. Selbst Hillary Clinton spricht von einer »gut bewaffneten« und »letztlich gut finanzierten« Opposition.

Bleibt die Frage, ob und wie das Feuer des Bürgerkriegs noch gelöscht werden kann. Ein französischer Altdiplomat rät, der in ihren Zielen wie in ihrer Zusammensetzung fragwürdigen »Freien Syrischen Armee« Munition und panzerbrechende Waffen zu liefern. Auf dass die Zahl der Todesopfer noch schneller wachse? Die durchaus nicht unparteiische Arabische Liga und westliche Politiker, die sich hinter ihr verstecken, wollen weitere Wirtschaftssanktionen gegen »das Regime« verhängen. Haben Sanktionen in derart zugespitzter Lage jemals Gutes bewirkt? Für die Bevölkerung des betroffenen Landes jedenfalls nicht. Russlands Wladimir Putin sagt: »Wir bevorzugen es im Prinzip, uns um unsere eigenen Angelegenheiten zu kümmern«, und ruft zur Zurückhaltung auf. Wenn das als Warnung vor einer militärischen Intervention gedacht ist - in Ordnung. Doch ist es höchste Zeit für eine intensive internationale Diplomatie. Da ist Zurückhaltung völlig fehl am Platze.

*** Aus: neues deutschland, 21. November 2011 (Kommentar)


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