Keine Lösungen in Damaskus
Assad warnt im Falle einer Intervention vor "Erdbeben in der gesamten Region"
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
NATO-Generalsekretär Anders Fogh
Rasmussen hat ein Eingreifen der Militärallianz
in Syrien kategorisch ausgeschlossen.
»Wir haben überhaupt
nicht die Absicht, in Syrien einzuschreiten
«, sagte Rasmussen am
Montag auf dem Flug zu einem unangekündigten
Besuch in der libyschen
Hauptstadt Tripolis. In Syrien traut
man solchen Worten offenbar nicht.
In einem Interview mit dem russischen
Fernsehsender Rossija TV 1)
hat Syriens Präsident Baschar al-
Assad klar gemacht, dass eine
ausländische Militäroperation in
Syrien verheerende Auswirkungen
haben würde. Syrien habe eine
einzigartige geopolitische Lage
und Geschichte und sei Treffpunkt
fast aller kulturellen, religiösen
und ethnischen Bestandteile des
Mittleren Ostens. Hier träfen zwei
»tektonische Platten« aufeinander
und jeder Versuch, diese (militärisch)
zu destabilisieren, werde ein
massives Erdbeben auslösen, das
in der gesamten Region und weltweit
zu spüren sein werde.
Jede (militärische) Einmischung
werde kostspieliger sein,
als es sich die Welt erlauben könne.
Assad machte klar, dass Syrien
auf die Unterstützung Russlands
zähle, das sich über »die Gefahren
einer ausländischen Einmischung
in Syrien bewusst« sei und entsprechend
im UN-Sicherheitsrat
sein Veto eingelegt habe. Assad
kritisierte die einseitige Berichterstattung
westlicher Medien, wies
aber darauf hin, dass seit einiger
Zeit viele Reporter nach Syrien
einreisen könnten, um sich selber
ein Bild zu machen. Westliche
Sanktionen und die Reisewarnungen
kämen einer Blockade Syriens
gleich, die vor allem die Bevölkerung
und weniger den Staat treffen
würden. Syrien könne sein eigenes
Volk ernähren, Nachbarstaaten
lieferten, was in Syrien
nicht produziert werde.
Am Tag nach dem Interview,
dass in westlichen Medien weniger
Schlagzeilen macht als das Gespräch
mit einem Reporter des
britischen »Sunday Telegraph«,
raunt ein junger Mann, der im Vorübergehen
hört, dass neben ihm
eine ausländische Journalistin
geht: »Glauben Sie kein Wort von
dem, was der Präsident sagt.« Alle
jungen Leute würden sich sofort
der »Freien Syrien-Armee« anschließen,
die jetzt in Homs mutig
den syrischen Streitkräften die
Stirn bieten würde. Doch man
wisse nicht, ob man vom Westen
unterstützt werde, darum zögerten
viele. Die Gespräche mit der
Arabischen Liga seien eine reine
Showveranstaltung, meint der
Mann weiter. »Egal, was die syrische
Regierung zusagen wird, es
ist Augenwischerei.«
In den meisten Gesprächen
wird eine andere Stimmung deutlich.
Die Menschen seien »traurig
«, sagt ein Taxifahrer, der seinen
Job in einem Hotel verloren
hat. Traurig über die Gewalt im
Land, die vielen Toten, über die
Feindseligkeit und die Isolation
durch das Ausland.
Ein Geschäftsmann, dessen
Laden auf der Geraden Straße seit
Monaten keine zahlungskräftige
Kundschaft mehr gesehen hat,
räumt ein, dass es in Syrien »viele
Probleme« gebe, die allerdings
nicht über Nacht gelöst werden
könnten. Er halte viel vom Präsidenten,
der »Syriens Probleme aus
50 Jahren geschultert« habe, als
er Präsident geworden sei. Die Regierung
seines Vaters sei bedeutend
restriktiver gewesen. Der
junge Assad habe mehr als 4000
Reformen und Änderungen in seiner
Amtszeit erlassen, doch auch
die Menschen, jeder Einzelne
müssen sich ändern, wenn Reformen
Erfolg haben sollten.
»Wir brauchen Zeit, um uns zu
entwickeln, wir brauchen eure
Hilfe, aber die haben eure Politiker
im Frühjahr über Nacht abgezogen.
Warum?« Wie viele Syrer
zieht auch dieser Geschäftsmann,
der lieber anonym bleiben möchte,
Parallelen zu den Ereignissen in
Irak und aktuell in Libyen. »35
Prozent der Öleinnahmen aus Libyen
hat Frankreich sich gesichert
«, meint er, doch Syrien habe
gar kein Öl. Europa und die USA
sollten sagen, was sie von Syrien
wollten, »wir können über alles
reden.« Nur eines käme nicht in
Frage: »Dass ihr Syrien zerstört
und zerteilt wie Irak.«
Die Arabische Liga hatte in ihrem
an die syrische Führung
übergebenen Plan am Wochenende
ein »sofortiges« Ende des gewaltsamen
Vorgehens gegen Regierungskritiker
verlangt. Von Damaskus
zur Unterdrückung der
Proteste entsandte Panzer und Militärfahrzeuge
müssten zurückgezogen
und ein Dialog mit der Opposition
aufgenommen werden,
sagte der Generalsekretär der
Arabischen Liga, Nabil el-Arabi,
am Montag. Er schlug vor, den Dialog
in Kairo zu führen. Eine Ministerdelegation
der Arabischen
Liga wartet nach eigener Aussage
weiter auf eine Antwort von Assad
auf ihre diesbezüglichen Vorschläge.
* Aus: neues deutschland, 1. November 2011
Zurück zur Syrien-Seite
Zurück zur Homepage