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Arabische Beobachter in Homs

Die vom Ausland lange geforderte Friedensmission in Syrien ist angelaufen

Von Roland Etzel *

Mit Tränengas sind die syrischen Behörden nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag gegen Zehntausende friedliche Demonstranten in Homs vorgegangen. Mehr als 70 000 Demonstranten hätten versucht, auf einen zentralen Platz der Großstadt zu gelangen.

Es war beinahe ein historisch zu nennender Moment gestern in Syrien. Nach monatelanger Verweigerung hatte die syrische Regierung die von der Arabische Liga geforderten internationalen Beobachter nicht nur zugelassen und endlich in Syrien empfangen, sondern gleich noch an den momentan militärisch heißesten Punkt des Landes transportiert: nach Homs, jener etwa eine Million Einwohner zählenden Stadt im Nordwesten, aus der Staatschef Baschar al-Assad derzeit der heftigste Widerstand entgegenschlägt.

Obwohl diesmal westliche Medienvertreter dabei sein können, sofern sie dies wünschen, ist die Informationslage ähnlich verworren wie in den Monaten zuvor. Während die in London und der zyprischen Hauptstadt Nikosia beheimatete Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte davon spricht, dass die Armee gegen Demonstranten mit Tränengas vorgegangen sei, heißt es von anderer Seite, dass es eine regierungsfeindliche Kundgebung ohne größere Behinderungen tatsächlich gegeben habe, allerdings auch eine zur Unterstützung von Assad. Von oppositioneller Seite wurde zur Situation in Homs erklärt, die Regierungstruppen hätten die »Kämpfe« rechtzeitig eingestellt und ihre Panzer aus der Stadt abgezogen, so dass es am gestrigen Tage keine bewaffneten Auseinandersetzungen gegeben habe.

Die Bezeichnung »Kämpfe« impliziert allerdings, dass die syrische Armee nicht ausschließlich Demonstranten gegenübergestanden hat, sondern einer bewaffnete Formation, die dann offenbar ebenfalls die Kämpfe eingestellt haben muss. Das entspräche den Gerüchten über eine hohe Zahl von Deserteuren, die - angeführt von nicht mehr loyal zu Assad stehenden Befehlshabern - die Auseinandersetzungen um den weiteren Weg Syriens zu einem veritablen Bürgerkrieg haben werden lassen. Was davon Propaganda und was Wahrheit ist, bleibt noch immer innerhalb der Interpretationshoheit der verfeindeten Seiten. Das US-Militär, das mit hoher Gewissheit mittels seiner Spionagesatelliten bestens informiert sein dürfte, hüllt sich darüber leider in Schweigen.

So muss wohl abgewartet werden, wie sich der momentan ranghöchste Beobachter in Homs, der sudanesische General Mustafa al-Dabi, äußert. Auffällig ist auf jeden Fall, dass weder Assad noch seine Gegner als Verursacher neuen Blutvergießens dastehen wollen. Somit hat die Mission schon ihren ersten Erfolg zu verzeichnen.

* Aus: neues deutschland, 28. Dezember 2011


Beobachter in Homs

Von Karin Leukefeld **

Zehntausende Regierungsgegner haben den Besuch einer arabischen Beobachterdelegation am Dienstag (27. Dez.) in der zentralsyrischen Stadt Homs zum Anlaß genommen, gegen Präsident Baschar Al-Assad zu protestieren. Die in London ansässige Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach von bis zu 70000 Menschen, Agenturen meldeten »mehrere zehntausend«. Syrische Sicherheitskräfte sollen mit Tränengas gegen die Menschenmenge vorgegangen sein, damit sie nicht auf den zentralen Uhrenplatz (El Saa) gelangen konnten, so das Londoner Büro. Während am Montag bei heftigen Kämpfen bis zu 30 Personen von der syrischen Armee getötet worden sein sollen, hieß es am Dienstag, die Armee sei komplett abgezogen.

Die arabische Delegation wird von dem sudanesischen General Mustafa Dabi geleitet, der gegenüber der Nachrichtenagentur AFP die syrischen Behörden als »sehr kooperativ« bezeichnete. Die Beobachter ließen sich in Homs zunächst vom Gouverneur der Provinz, Ghassan Abdulaal, unterrichten, dann fuhren sie in die Stadtteile Bab Amr und Inshaat, den Schauplätzen schwerer Kämpfe in den vergangenen Wochen. Meldungen des Syrischen Nationalrates (SNR) der Exilopposition, wonach ein Beobachter der Arabischen Liga bereits am Montag in Homs von Sicherheitskräften beschossen worden sein soll, wurden von der Arabischen Liga dementiert. SNR-Präsident Burhan Ghalioun forderte vor Journalisten in Paris erneut ein Eingreifen von UNO und Europa in Syrien. Sie sollten den Friedensplan der Arabischen Liga übernehmen, weil diese zu schwach sei, ihn durchzusetzen. Von der unabhängigen oder in den Lokalen Koordinationskomitees (LCC) organisierten innersyrischen Opposition wird die Beobachtermission mehrheitlich begrüßt.

Die erste Beobachtergruppe von 50 Personen war am Montag abend in Damaskus eingetroffen. Bis zu 200 Beobachter sollen in den nächsten Tagen folgen, um die Umsetzung des Friedensplans zu überwachen, der Ende Oktober in Kraft getreten war. Der Plan sieht den Abzug der syrischen Streitkräfte aus Wohngebieten sowie die Freilassung der Gefangenen vor. Weiterhin soll die Mission zwischen der innersyrischen Opposition und der im Ausland vermitteln und schließlich einen Dialog zwischen den Reformkräften der Regierung und der Opposition einleiten.

Die jeweils zehnköpfigen Teams können sich frei im Land bewegen. Nur wo es direkte militärische Konfrontation gibt, müssen sie ihr Kommen mit der Armee absprechen. Militärische Einrichtungen dürfen nicht betreten werden. Syriens Außenminister Walid Mouallem geht davon aus, daß die Beobachter die Darstellung der Führung in Damaskus bekräftigen werden, wonach die Armee nicht gegen Demonstranten, sondern gegen bewaffnete Gruppen kämpft. Bereits im November hatte Mouallem namentlich die Türkei und Katar aufgefordert, Aufständische nicht länger finanziell und mit Waffen zu unterstützen. Das wird mittlerweile von mehreren Reportern u.a. der BBC bestätigt, die Kämpfer der paramilitärischen Organisation »Freie Syrische Armee« sowie Waffenschmuggler aus der Türkei und aus dem Libanon nach Syrien begleiteten. Selbst wenn sich die syrische Armee zurückzieht, bleibt unklar, wer diese Kämpfer dazu bringen kann, ihre Waffen niederzulegen und über ihre Ziele zu verhandeln. Der russische Nachrichtensender Russia Today meldete am Dienstag, daß »Hunderte libysche Rebellen« geschworen hätten, gegen Präsident Assad in Syrien zu kämpfen.

** Aus: junge Welt, 28. Dezember 2011


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