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Notwendige Reformen

Syrien von Libanon aus gesehen. USA und Israel verfolgen ihre eigenen Interessen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Die Entwicklungen in Syrien werden in der libanesischen Hauptstadt Beirut mit Sorge verfolgt. »Syrien ist unser einziger arabischer Nachbar«, sagt Sofia Saadeh, Professorin für Soziologie und moderne Geschichte des Mittleren Ostens. »Es gibt viele Reformen, die Präsident Assad umsetzen muß«, doch aktuell stehe »die regionale Position Syriens und seine Unterstützung des Widerstandes« gegen die aggressive israelische Politik auf der Tagesordnung, das habe Vorrang. »Reformen in Syrien haben auch für uns große Bedeutung«, meint ein anderer Gesprächspartner, der nicht namentlich genannt werden möchte. »Libanon ist der kleine Bruder Syriens, wir sehnen uns danach, daß unser Nachbar eine wirkliche Demokratie und ein moderner Staat wird.« Doch sollten Assad und sein Regime stürzen, »werden die USA und Israel eine Marionettenregierung in Damaskus einsetzen wie im Irak. Das bedeutet Bürgerkrieg, nicht nur in Syrien, sondern auch bei uns.«

»Wenn das Regime von Assad nicht zügig mit Reformen vorankommt und weiterhin Militär und Geheimdienste die Oberhand haben, ist ein Bürgerkrieg möglich«, meint auch Marie Debs, Sprecherin für Internationale Politik der Kommunistischen Partei Libanons gegenüber jW. Die KP unterstütze die syrische Kommunistische Partei, die seit langem Reformen und auch ein neues Wahl- und Parteienrecht fordere. »Wir wollen, daß Syrien sich nach vorn und nicht nach hinten entwickelt«, sagt Marie Debs. Selbst der syrische Präsident unterstütze Reformen, doch diese seien nur mit und nicht gegen die Menschen zu machen. »Wir wollen einen demokratischen Wandel in Syrien, mit dem die Baath-Partei unweigerlich ihre Macht verlieren wird.« Syrische Intellektuelle hätten neben politischen und wirtschaftlichen Reformen auch die Abschaffung von Artikel acht der syrischen Verfassung gefordert, der die Baath-Partei zur führenden Kraft Syriens erklärt. Das sei richtig, so Debs. Gleichzeitig hätten die Intellektuellen vor der Muslimbruderschaft gewarnt, die offenbar in die Proteste verwickelt sei und vom Ausland unterstützt werde.

Andere Akteure nutzten die Proteste für eigene Interessen, ist Marie Debs überzeugt. 2006 seien die USA mit ihrem Plan des »Großen oder Neuen Mittleren Ostens« gescheitert, den Exaußenministerin Condoleezza Rice angekündigt hatte. Nun versuche Washington, »durch eine andere Tür wieder hereinzukommen«, so Debs. »In Jugoslawien benutzten sie den Islam, im Irak die Schiiten und jetzt benutzen sie die Sunniten, um ihre Pläne durchzusetzen.«

Wie in Tunesien und Ägypten versuchten die USA, auch in Syrien die Muslimbruderschaft an die Macht zu bringen, die für die US-Interessen in der Region offenbar »dienlicher« sei, als »nationale arabische Kräfte«. Das gewaltsame Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte stärke die religiösen Kräfte der sunnitischen Muslimbruderschaft, die mit der Parole »Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut« die Grundfesten der syrischen Gesellschaft angreifen würden. Die herrschende Assad-Familie gehört der alawitischen Religionsgruppe an, die als modern und säkular gilt und zu Zeiten der sunnitischen Herrschaft von politischer und ökonomischer Macht ausgeschlossen war. »Wenn es zu einem sektiererischen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Alawiten in Syrien kommt, wird das auch vor Libanon nicht haltmachen«, so Marie Debs. »Wir brauchen nationale Einheit, keinen neuen Irak.«

* Aus: junge Welt, 21. Mai 2011


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