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Kampf um Selbstbestimmung

Hintergrund. Syriens Kurden kommt eine Schlüsselrolle für die Zukunft des vom Bürgerkrieg zerrissenen Landes zu

Von Nick Brauns *

Hier ist Kurdistan« – unter dieser Parole demonstrierten in den letzten Wochen Zehntausende Kurden in Syrien für die Anerkennung ihrer Rechte. Ihr Protest richtete sich nicht nur gegen das Baath-Regime in Damaskus, sondern auch gegen den vom Westen als einzige Opposition anerkannten »Syrischen Nationalrat« (SNR). Dessen Vorsitzender Burhan Ghaliun hatte zuvor behauptet, es gäbe gar kein »Syrisch-Kurdistan«.[1] Die für den 7. Mai angesetzten Wahlen zum Syrischen Nationalrat wird die kurdische Opposition wie schon das Verfassungsreferendum im Februar boykottieren. Denn auch die neue Verfassung schließt auf regionaler oder konfessioneller Grundlage basierende Parteien von einer Wahlteilnahme aus. Für die weitere Entwicklung des vom Bürgerkrieg zerrissenen Landes kommt den zwischen zwei und vier Millionen syrischen Kurden als zweitgrößter Ethnie unter den 20 Millionen Einwohnern eine Schlüsselrolle zu.

Die meisten Kurden leben in Nordsyrien in einem Streifen von der Mittelmeerküste entlang der Grenze zur Türkei bis hinunter zur syrisch-irakischen Grenze. Ihre Hauptsiedlungsgebiete sind dabei auf die Enklaven ’Afrin, ’Ain al-’Arab (Kobani) sowie die Dschazira in der Provinz Al-Hasaka verteilt. Größte Stadt in der Region ist mit rund 400000 zu zwei Dritteln kurdischen Einwohnern das nur durch die Grenzbefestigungen von Nusaybin auf türkischer Seite getrennte Al-Qamischli. Auch in der Hauptstadt Damaskus leben mindestens 100000 Kurden. Die fruchtbaren kurdischen Gebiete bilden die Kornkammer Syriens. Zudem finden sich hier die einzigen Erdölquellen des Landes.

Geschichte des Konflikts

Die heutige Situation in Syrien hat ihre Wurzeln in der imperialistischen Politik während des Ersten Weltkrieges. Die auf das Sykes-Picot-Abkommen zur Aufteilung der Einflußsphären im Nahen Osten zwischen Frankreich und Großbritannien im Jahr 1916 zurückgehende syrisch-türkische Grenze wurde in den 20er Jahren von der damaligen französischen Mandatsmacht mitten durch die kurdischen Siedlungsgebiete gezogen. Aufgrund der in den 20er Jahren einsetzenden Zwangstürkisierung flohen eine Reihe kurdischer Stämme aus der Türkei in das französische Mandatsgebiet, wo die Militärverwaltung sie in den neugegründeten Städten Al-Hasaka und Al-Qamischli ansiedelte. Beeinflußt von der kurdischen Nationalvereinigung Xoybun (»Selbst-Sein«) bildete sich in den 30er Jahren eine Autonomiebewegung in der Dschazira. 1946 wurde Syrien nach dem Rückzug der französischen Truppen unabhängig, ohne daß Autonomierechte fixiert worden waren. 1957 gründeten kurdische Nationalisten und ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei Syriens die sich anfänglich als antiimperialistisch definierende und für ein vereinigtes Kurdistan eintretende Kurdische Demokratische Partei Syriens (KDPS). Angesichts des vom Mollah Mustafa Barzani im benachbarten Irak angeführten kurdischen Partisanenkampfes befürchteten syrische Politiker ein Übergreifen »separatistischer Bestrebungen«. Nach einer außerordentlichen Volkszählung im Oktober 1962 wurden rund 120000 angeblich aus Nachbarländern eingewanderte Kurden per Dekret des Staatspräsidenten ausgebürgert. Sie und ihre Nachfahren – geschätzt bis zu 225000 Menschen – hatten als »Staatenlose« keine Möglichkeit, Anstellung im öffentlichen Dienst zu bekommen, ihnen wurden subventionierte Grundnahrungsmittel vorenthalten, sie durften keine Immobilien oder Produktionsmittel besitzen und nicht ins Ausland reisen. 1963 wurde die KDPS mit der Begründung verboten, eine Partei feudaler Großgrundbesitzer zu sein. In einer Denkschrift warnte der baathistische Sicherheitschef von Al-Hasaka, General Muhammad Talab Hilal, mit antisemitischem Ton: »Judastan und Kurdistan sind von derselben Art«. Der General forderte die Vertreibung der Kurden ins Landesinnere durch gezielte wirtschaftliche Vernachlässigung der kurdischen Landesteile bei gleichzeitiger Ansiedlung arabischer Siedler. Entsprechend dieser Vorgaben begann die Regierung ab 1973 mit der Bildung eines »Arabischen Gürtels« durch die Ansiedlung von 25000 arabischen Familien entlang der Grenze zur Türkei. Unter Hafiz Al-Assad (Präsident von 1971 bis 2000) erhielt der arabische Nationalismus in der »Syrisch-Arabischen Republik« Verfassungsrang, der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache wurden durch Dekrete kriminalisiert und noch 1998 über 200 Dörfer umbenannt. Doch gleichzeitig unterstütze Assad aus außenpolitischen Erwägungen kurdische Parteien in der Türkei und dem Irak. Das Baath-Regime hielt ab 1980 seine schützende Hand über die gegen den türkischen Staat kämpfende Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Deren Vorsitzender Abdullah Öcalan lebte in Damaskus, und seine Partei unterhielt Ausbildungslager in der syrisch kontrollierten Bekaa-Ebene im Libanon. Die PKK diente als Trumpfkarte gegenüber der Türkei, mit der Syrien territoriale Streitigkeiten um die Mittelmeerprovinz Hatay sowie die durch türkische Staudämme an Euphrat und Tigris bedrohte Wasserversorgung hat.

Um nationale Bestrebungen der syrischen Kurden gegen die Türkei zu kanalisieren, wurden diese vom Baath-Regime regelrecht gedrängt, sich der PKK anzuschließen, so daß diese laut türkischen Geheimdienstanalysen in den 90er Jahren ein Viertel der Guerillakämpfer stellten. Doch nachdem Ankara im Oktober 1998 offen mit Krieg drohte, Panzer an der Grenze und NATO-Kriegsschiffe im Mittelmeer auffuhren, konnte Damaskus dem Druck nicht länger standhalten. Öcalan mußte sein langjähriges Gastland verlassen, seine Flucht endete im Februar 1999 mit der Verschleppung durch den türkischen Geheimdienst aus Kenia auf die Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Im Adana-Abkommen erkannte Syrien die PKK nun als terroristische Organisation an und verpflichtete sich, deren Tätigkeit auf syrischem Territorium zu unterbinden. In der Folge wurden ihre Mitglieder an die Türkei ausgeliefert. Anhänger der 2003 gegründeten syrisch-kurdischen Schwesterorganisation der PKK, der Partei der Demokratischen Union (PYD), wurden mit besonderer Härte verfolgt. Andere wie die sozialdemokratisch orientierte kurdische Einheitspartei Yekiti füllten die so entstandene Lücke und klagten zunehmend lauter nationale Rechte in Syrien ein. Ermutigt wurden die syrischen Kurden durch die Existenz der unter US-Schutz im Nordirak gebildeten kurdischen Autonomieregion nach dem Sturz von Saddam Hussein. Ein durch Übergriffe arabisch-nationalistischer Fußballfans der Mannschaft Al-Fatwa auf kurdische Al-Dschihad-Fans in Al-Qamischli provozierter Aufstand im März 2004, bei dem über 30 Kurden von Sicherheitskräften getötet wurden, ging als »kurdisches Erwachen« in die Geschichte ein. In den folgenden Jahren wurden mehrfach kurdische Proteste von Sicherheitskräften attackiert und Aktivisten verschleppt, gefoltert und ermordet.

Regime macht Zugeständnisse

Als im Zuge des »arabischen Frühlings« 2012 die Aufstandsbewegung auch auf Syrien übergriff, blieb es ausgerechnet in den kurdischen Landesteilen, die jahrelang die Speerspitze der Proteste gegen das Baath-Regime gebildet hatten, vergleichsweise ruhig. Die Regierung hatte sich dieses anfängliche Stillhalten mit Zugeständnissen erkauft. So war am 26. März 2011 das der weiteren Arabisierung durch die Enteignung kurdischer Grundbesitzer im Grenzgebiet dienende »Dekret 49« aus dem Jahre 2008 zurückgenommen worden. Am 7. April 2011 verfügte Präsident Baschar Al-Assad die Einbürgerung von rund 200000 in Folge der Volkszählung von 1962 ausgebürgerten Kurden und ihren Nachfahren, wobei allerdings Zehntausende nichtregistrierte Staatenlose weiterhin nicht berücksichtigt wurden. Während Sicherheitskräfte gegen Oppositionskräfte in anderen Landesteilen mit Härte vorgingen, hielten sie sich in den kurdischen Landesteilen nun zurück. Doch auch die kurdischen Parteien zögerten, sich mit der von religiösen Kräften dominierten arabischen Opposition zu vereinigen. Sie befürchteten, unter einem stärker islamisch orientierten Regime nur vom Regen in die Traufe zu geraten.

Die Mehrzahl der im Augenblick 17 kurdischen Parteien hat ihre Wurzeln in der 1957 gegründeten Kurdischen Demokratischen Partei Syriens, und sie unterscheiden sich programmatisch kaum voneinander. Schon aufgrund der Geographie Westkurdistans mit voneinander getrennten Enklaven und fehlender gebirgiger Rückzugsgebiete tritt keine der Parteien für einen Partisanenkampf wie in anderen Teilen Kurdistans ein. Auch Unabhängigkeit oder den Zusammenschluß mit den kurdischen Gebieten der Nachbarländer stehen nicht auf der Agenda. Statt dessen fordern nahezu alle von ihnen eine Demokratisierung Syriens, verfassungsrechtliche Anerkennung des kurdischen Volkes als zweiter Nation und Selbstverwaltungsrechte für die kurdisch besiedelten Landesteile bei Wahrung der territorialen Integrität Syriens. Differenzen bestehen vor allem im Verhältnis zur arabischen Opposition und damit zur Frage einer ausländischen Intervention.

Fast alle syrisch-kurdischen Parteien mit Ausnahme der PKK-Schwester PYD und der im Syrischen Nationalrat vertretenen Kurdischen Zukunftsbewegung gehören der Ende Oktober 2011 gebildeten Kurdischen Patriotischen Konferenz (KPK) an, der außerdem Jugend- und Koordinationsgruppen sowie unabhängige Persönlichkeiten beigetreten sind. Ziel der KPK, deren Delegierte sich anfangs noch gegen die Forderung nach einem Sturz Assads ausgesprochen hatten, ist es, gegenüber der arabischen Opposition mit einer Stimme zu verhandeln. Nur wenige Parteien wie die Yekiti und die Azadi haben innerhalb Syriens tatsächlich Einfluß. Streitigkeiten ihrer Führer machen das Bündnis schwerfällig, Basisarbeit in der Bevölkerung findet aufgrund geringer Personaldichte kaum statt. Die Jugendlichen, die die Masse der Demonstranten bilden, fühlen sich nicht ausreichend unterstützt. »Die Kurdische Patriotische Konferenz ist nicht mehr als ein Name«, klagt ein Jugendaktivist aus Al-Qamischli über fehlende Arbeit vor Ort.[2] Schirmherr und Finanzier der KPK ist der Präsident der kurdischen Regionalregierung im Nordirak, Massoud Barzani. Als Generalsekretär der KPK fungiert der Vorsitzende des syrischen Ablegers von Barzanis Kurdischer Demokratischer Partei (KDP), Abdul Hakim Bashar. Auch ein militärisches Ausbildungsprogramm für syrische Kurden soll im Nordirak angelaufen sein. Sein Einfluß auf Teile der syrischen Kurden macht den lange als »Terrorunterstützer« geschmähten kurdischen Präsidenten für die türkische Regierung so interessant, daß sie Barzani am 20. April mit allen staatsmännischen Ehren in Ankara empfing.

Demokratischer Sozialismus

Mit Besorgnis registriert Ankara das rapide Anwachsen der PYD im Grenzgebiet zur Türkei. Hatte diese anfangs nur in ’Afrin Masseneinfluß, so stellt sie inzwischen auch in der Dschazira und Kobani eine maßgebliche Kraft dar, wie selbst ihre Kritiker bestätigen. »Die PYD wird immer beliebter, das müssen wir anerkennen, auch, wenn wir politisch unterschiedlicher Meinung sind und die PYD nicht unterstützen«, bestätigt ein 31jähriger Aktivist der »Bewegung der Jugend in Westen« aus Al-Qamischli, der sich Azad Muhiyuddin nennt, im Interview mit der Menschenrechtsorganisation Kurdwatch. »Die PYD hat aktive Komitees gegründet, die überall präsent sind. Ihre Mitglieder schlichten bei Auseinandersetzungen. Sie nehmen Diebe fest. Sie kümmern sich um Kranke oder Verletzte.«[3]

Lange lautete ein Vorwurf an die PYD, daß diese lediglich eine auf die Türkei bezogene Politik mache. »Sie zeigen, daß sie eine kurdische Partei sind, die sich für die Interessen der Bevölkerung einsetzt«, meint dagegen Azad. Anstelle der Losung des Regimesturzes tritt die PYD für einen Systemwechsel ein. »Unser Ziel ist die Bildung einer neuen kurdischen Gesellschaft, die Bildung eines freien Menschen, eines Menschen mit freiem Willen und freiem Denken« [4], erklärt der Parteivorsitzende Salih Muslim Muhammad. In ihrem Parteiprogramm bekennt sich die auch in der Organisierung von Frauen hervorstechende PYD zum »Demokratischen Sozialismus«. Ihr Leitfaden für die Schaffung einer »demokratischen Selbstverwaltung« durch Rätestrukturen ist die Philosophie Abdullah Öcalans. Rund eine Viertelmillion Menschen beteiligten sich nach PYD-Angaben Ende letzten Jahres an den Wahlen zu einem »Volksrat von Westkurdistan«. In seinem Programm bekennt sich dieser Rat zur »Unterstützung der friedlichen und demokratischen Volksbewegung, die einen radikalen Wandel der Struktur und der Institutionen des politischen Systems anstrebt«, und erklärt zugleich die Verhinderung und Zurückweisung »ausländischer Einmischung und Interventionsversuche« zum Ziel.

Offenbar hat die PYD inzwischen ihre Reihen durch über 1000 militärisch ausgebildete PKK-Mitglieder aus nordirakischen Guerillacamps verstärkt, die nun Checkpoints auf dem Land errichtet haben und zum Schutz der Bevölkerung bewaffnet in Guerillakleidung durch die Städte patrouillieren. Während die PYD die Bevölkerung auf die Übernahme der Verantwortung in den kurdischen Landesteilen im Falle eines Sturzes der Baath-Herrschaft vorbereitet, sehen türkische und deutsche Medien die PKK »im Dienste des Diktators« (Tagesschau) und warnen vor einer Ablösung der »Baath-Diktatur durch eine PKK-Diktatur« (Jungle World). Tatsächlich waren noch im letzten Jahr auf manchen Demonstrationen der PYD neben Bildern von Öcalan auch solche des syrischen Präsidenten Assad zu sehen. Und der Fernsehsender Al-Dschasira präsentierte kürzlich ein Papier der Baath-Partei, in dem vorgeschlagen wurde, regierungskritische Proteste in den kurdisch bewohnten Landesteilen nicht mithilfe regulärer Sicherheitskräfte sondern in Kooperation mit der PKK zu unterdrücken. Nach Meldungen der Menschenrechtsorganisation Kurdwatch soll die PYD vor allem in ihrer Hochburg ’Afrin regimekritische Demonstrationen und politische Gegner bedroht, entführt und sogar getötet haben. Einige Kritiker sehen die PYD so hinter der Ermordung des Vorsitzenden der Kurdischen Zukunftspartei, Meschaal Tammo, im Oktober letzten Jahres, während PYD-Politiker den türkischen Geheimdienst beschuldigen.

Unter Anführung der von Sicherheitskräften getöteten oder inhaftierten PYD-Aktivisten weist unterdessen der – nach Öcalan – oberste PKK-Führer Murat Karayilan Anschuldigen einer Kooperation seiner Bewegung mit dem Baath-Regime als türkische Lügenkampagne zurück. So versuche Ankara, mehr Unterstützung der USA gegen die kurdische Befreiungsbewegung zu erhalten und eine Intervention in Syrien vorzubereiten. Zwischen Assad und den Kurden herrsche allerdings seit Beginn des Aufruhrs eine »stillschweigende Übereinkunft«, wonach der Staat die Kurden nicht zu einer besonderen Zielscheibe erkläre.[5] Die PYD ist ihrerseits bemüht, Provokationen durch unerfahrene junge Demonstranten etwa durch bewaffnete Angriffe auf Sicherheitskräfte zu unterbinden. »Eine offene Konfrontation mit der Diktatur wäre ein Desaster«, erklärte der PYD-Vorsitzende Muhammad. »Unser Volk würde ein Angriffsziel nicht nur für die Armee, sondern auch für die Milizen arabischer Siedler in unseren Provinzen werden.«[6] Unbedingt müsse ein Umschlagen der Proteste in einen ethnischen Konflikt vermieden werden. Mitte Februar einigten sich Führungsmitglieder der PYD und der KPK darauf, Konflikte untereinander ausschließlich friedlich lösen zu wollen. Auch zwischen den Sicherheitskomitees der Jugendbewegung und der PYD in den Stadtvierteln gibt es inzwischen eine Kooperation. Demonstrationen von PYD, KPK und Jugendgruppen verlaufen allerdings weiterhin getrennt.

Die PYD gehört dem aus sozialistischen, laizistischen und arabisch-nationalistischen Parteien gebildeten Oppositionsbündnis Nationaler Zusammenschluß der Kräfte des Demokratischen Wandels (NZKDW) an, dessen Grundprinzipien in einem dreifachen »Nein« zu konfessioneller Spaltung, ausländischer Einmischung und Gewalt im Land bestehen. Auf einer außerordentlichen Konferenz am 14. April in Paris versicherte dieses Oppositionsbündnis auf Druck der PYD, sich internationalen Konventionen entsprechend und im Rahmen der nationalen Einheit Syriens für eine verfassungsrechtliche Anerkennung der Rechte des kurdischen Volkes sowie eine demokratische Lösung der kurdischen Frage einzusetzen.

Dagegen ist eine von der Türkei und den USA über Vermittlung Barzanis versuchte Einigung der Kurdischen Patriotischen Konferenz mit der prowestlichen Opposition bislang nicht zustande gekommen. Zwar müsse das »Recht auf kurdischsprachige Erziehung und die Entwicklung der kurdischen Kultur und Literatur als zweiter Kultur in Syrien« gewährt werden. Doch Forderungen nach einem föderalistischen Modell würden als Wunsch nach Abspaltung interpretiert, hatte der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates Ghaliun diesbezügliche Bestrebungen zurückgewiesen.[7] Vertreter der PYD vermuten ein antikurdisches Abkommen zwischen den im Nationalrat dominierenden Moslembrüdern und der islamisch-konservativen AKP-Regierung in Ankara. »Die türkische Regierung unterstützt die bewaffnete Opposition, benutzt die Moslembrüder als Schutzschild und möchte so die Regierung in Syrien übernehmen, um so die Kurden ohne Rechte zu lassen« [8], faßt der Fernsehjournalist Tariq Hamo zusammen.

Gegen äußere Einmischung

Die regierungsnahe türkische Tageszeitung Today’s Zaman meldete am 27. April unter Berufung auf »örtliche Quellen« Auseinandersetzungen zwischen der von türkischem Territorium aus operierenden und von den Golfmonarchien finanzierten Freien Syrischen Armee und PYD-Milizen. Unterdessen wird in der Türkei über die Errichtung einer Pufferzone entlang der syrischen Grenze debattiert. Als Rechtfertigung für einen Einmarsch wird neben »humanitären« Gründen der Bruch des gegen die PKK-gerichteten Adana-Paktes durch Syrien angeführt.

Die Arbeiterpartei Kurdistans lehne zwar ausländische Interventionen aus Prinzip ab, denn »wir befürworten die Revolutionen, die durch die Eigendynamik der Völker zustande kommen«, erklärte PKK-Führungsfunktionär Karayilan bezüglich solcher Drohungen. Doch werde die PKK »im Streit zwischen zwei kolonialistischen Staaten keine Partei ergreifen«.[9] Sollte die türkische Armee allerdings in die kurdischen Landesteile einmarschieren, »wird das gesamte Kurdistan zum Kriegsgebiet erklärt«, drohte Karayilan eine Ausweitung des bewaffneten Kampfes der PKK in der Türkei an. Eine Lösung des »kurdischen Knotens« bleibt damit eine zentrale Voraussetzung für eine eigenständige, friedliche und demokratische Entwicklung nicht nur Syriens, sondern des ganzen Nahen Ostens.

Anmerkungen
  1. Interview mit der irakisch-kurdischen Zeitschrift Rudaw, 16.4.2012
  2. Interview mit Azad Muhiyuddin auf www.Kurdwatch.de, 21.März 2012
  3. Ebda.
  4. Interview mit Salih Muslim Muhammad auf www.Kurdwatch.de, 8. November 2011
  5. Interview mit Murat Karayilan, Firatnews Agency 29. März 2012
  6. kurdistantribune.com/2011/pyd-yes-democratic-change-no-foreign-interference/
  7. Rudaw, 16.4.2012
  8. Yeni Özgür Politika, 28.4.2015
  9. Firatnews Agency 29. März 2012

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Mai 2012


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