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Uneinig über Intervention

Kurdische Parteien vertreten im Syrien-Konflikt unterschiedliche Positionen

Von Nick Brauns *

Während es täglich zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen syrischen Oppositionsgruppen und Sicherheitskräften kommt, verlaufen die Proteste in den kurdischen Teilen des Landes weitgehend friedlich. Eine verwirrende Vielzahl von mindestens 14 Parteien vertreten die Kurden in Syrien. Diese arbeiten in wechselnden Allianzen untereinander sowie mit den arabischen Oppositionsbündnissen zusammen. Programmatische Unterschiede lassen sich kaum erkennen. Zentral ist die Forderung nach verfassungsmäßiger Anerkennung der auf mindestens zwei Millionen geschätzten syrischen Kurden als zweite Nation neben der arabischen sowie Selbstverwaltungsrechte für die kurdischen Landesteile bei Wahrung der territorialen Integrität Syriens.

Auf einer Konferenz syrisch-kurdischer Exiloppositioneller Ende Januar in der Hauptstadt der irakisch-kurdischen Autonomieregion Erbil wurde mehrfach der Ruf nach einem militärischen Eingreifen des Auslandes zum Sturz der Baath-Herrschaft laut. Strikt gegen jede ausländische Einmischung ist die in den syrischen Grenzgebieten zur Türkei starke »Partei der Demokratischen Union« (PYD), ein Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Ein Wandel »darf nicht von einer ausländischen Macht kommen, die Syrien zu einem Satellitenstaat machen will«, meint PYD-Sprecher Zuhat Kobani mit Blick auf den NATO-Staat Türkei, dessen Truppen an der syrischen Grenze aufgefahren sind.

Die PKK werde im Falle eines türkischen Einmarsches auf syrischer Seite kämpfen, hatte zuvor schon PKK-Führungsfunktionär Cemil Bayik erklärt. Während der von den Moslembrüdern dominierte »Syrische Nationalrat« inzwischen den Kurden »nationale Rechte« zusichert, sieht die PYD darin ein Täuschungsmanöver des aus der Türkei operierenden prowestlichen Oppositionsbündnisses. Auch hinter der Ermordung des populären syrisch-kurdischen Oppositionspolitikers ­Mishal Tammo vergangenen Oktober vermutet die PYD Agenten Ankaras.

Das Baath-Regime, das in der Vergangenheit gewaltsam gegen kurdische Proteste vorging, ist seit Beginn des »syrischen Frühlings« bemüht, die Kurden mit Zugeständnissen ruhig zu halten. So soll ein Großteil der bislang als »staatenlos« geltenden Kurden die syrische Staatsbürgerschaft erhalten. Zudem wurde ein Dekret zur weiteren Ansiedlung arabischer Siedler in den kurdischen Gebieten zurückgenommen.

Die PYD nutzt diesen De-facto-Waffenstillstand mit der Regierung zum Aufbau von Selbstverwaltungsinstitutionen, Kultur- und Frauenzentren. Rund eine Viertel Million Menschen beteiligten sich nach PYD-Angaben Ende letzten Jahres an den Wahlen zu einem »Volksrat von Westkurdistan«. In seinem Programm bekennt sich dieser zur »Unterstützung der friedlichen und demokratischen Volksbewegung, die einen radikalen Wandel der Struktur und der Institutionen des politischen Systems anstrebt« und erklärt zugleich die Verhinderung und Zurückweisung »ausländischer Einmischung und Interventionsversuche« zum Ziel. Weil die PYD bemüht ist, in den von ihr kontrollierten Gebieten Proteste jugendlicher Kurden für den Sturz des Regimes zu unterbinden, werfen andere Oppositionspolitiker der Partei eine Kollaboration mit Staatschef Assad vor.

»Eine offene Konfrontation mit der Diktatur wäre ein Desaster«, erklärt der PYD-Vorsitzende Salih Muslim Muhammad dazu. »Unser Volk würde ein Angriffsziel nicht nur für die Armee sondern auch für die Milizen arabischer Siedler in unseren Provinzen werden.« Unbedingt müsse ein Umschlagen der Proteste in einen ethnischen Konflikt vermieden werden.

* Aus: junge Welt, 3. Februar 2012


Asylangebot

Türkei würde Assads Familie aufnehmen **

Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hat der Familie des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad Asyl in der Türkei in Aussicht gestellt.

Derzeit gebe es keine entsprechende Asylbitte aus Syrien, sagte Gül nach Presseberichten vom Donnerstag (2. Feb.) während einer Reise durch die Golfstaaten vor mitreisenden türkischen Journalisten. »Aber wenn es so etwas gibt, wird natürlich alles in Erwägung gezogen.« Zuvor hatte der türkische Präsident betont, er sehe keine Chance mehr für einen Machterhalt Assads. »Das Ende ist absehbar«, erklärte er zur Lage in dem Nachbarland.

Die syrische Opposition hatte vor einigen Tagen von einem angeblichen Fluchtversuch der Ehefrau Assads, Asma, und ihrer drei Kinder aus dem von Gewalt geschüttelten Land berichtet. Der Konvoi der Präsidentengattin sei aber auf dem Weg zum Flughafen Damaskus von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen worden und habe umkehren müssen.

Wegen der Gewalt der Regierung Assad gegen die längst nicht mehr friedliche Protestbewegung war die Türkei in den vergangenen Monaten von ihrem früheren Partner Syrien abgerückt. Inzwischen fordert Ankara Assads Rücktritt und die Erfüllung der Forderung nach politischen Veränderungen. Derweil will Russland ungeachtet der eskalierenden Gewalt in Syrien weiter Waffen an das arabische Land verkaufen. Der stellvertretende Verteidigungsminister Anatoli Antonow sagte am Donnerstag (2. Feb.) laut Berichten russischer Agenturen, derzeit gebe es keine Einschränkungen für Rüstungsexporte nach Syrien und Russland müsse seine Verpflichtungen gegenüber Damaskus erfüllen.

Außenminister Sergej Lawrow hatte bereits am Dienstag bei einem Besuch in Australien erklärt, dass Moskau seine »vertraglichen Handelsverpflichtungen« gegenüber Syrien erfülle.

** Aus: neues deutschland, 3. Februar 2012


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