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"Kräfte der Dunkelheit"

Kurden gegen Islamisten. Al-Qaida will »Islamisches Emirat« in Nordsyrien ausrufen

Von Nick Brauns *

Dschihadistische Gruppen aus dem Al-Qaida-Netzwerk haben angekündigt, nach der Einnahme der nordsyrischen Provinz Al-Raqqah in der kommenden Woche, nach Ende des Fastenmonats Ramadan, ein »Islamisches Emirat« ausrufen zu wollen. Auch kurdische Städte sollen nach Vorstellung der Al-Nusra-Front und der Kämpfer des »Islamischen Staates im Irak und der Levante« (englisch: ISIS) Teil dieses Separatstaates werden. Jetzt konzentrieren sich die »Gotteskrieger« auf die Kontrolle strategisch wichtiger Grenzregionen zur Türkei und dem Irak. Diese dienen den Dschihadisten als Transitstaaten, von dort beziehen sie auch ihren Waffennachschub.

In der Folge des Vorrückens der Islamisten kommt es seit Wochen in den unter der Führung der Partei der Demokratischen Union (PYD) von »Volksräten« kontrollierten kurdischen Siedlungsgebieten Syriens zu schweren Gefechten mit den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG). Nach Angaben der YPG wurden dabei Hunderte islamistische Kämpfer getötet. So starben Mitte der Woche bei einem Gegenangriff der YPG in der strategisch wichtigen Region Tel Halaf 18 Dschihadisten. Bei vielen der islamistischen Kämpfer handelt es sich um Ausländer, wie von der YPG in einem eroberten Al-Qaida-Stützpunkt in Serekaniye gefundene US-amerikanische und türkische Ausweise sowie Personaldokumente aus verschiedenen arabischen Staaten zeigen.

Die Dschihadisten drangsalieren auch die Zivilbevölkerung. So meldete am Mittwoch selbst das den syrischen Regierungsgegnern nahestehende »Observatorium für Menschenrechte« in London, daß die »Gotteskrieger« 200 Zivilisten aus zwei Dörfern bei Aleppo als Geiseln verschleppt haben. Am Dienstag wurde der prominente kurdische Politiker Isa Husa bei einem mutmaßlich von den Dschihadisten begangenen Autobombenanschlag vor seinem Haus in Qamislo getötet. Husa, der sich 1984 der kurdischen Freiheitsbewegung angeschlossen hatte, war Mitbegründer der PYD und gehörte der diplomatischen Kommission des »Hohen Kurdischen Rates« an. An seiner Beerdigung beteiligten sich Zehntausende Menschen. Auch in kurdischen Städten der Türkei kam es nach dem Mord zu Protesten. Die YPG rief die Bevölkerung zur Mobilmachung gegen die »Kräfte der Dunkelheit« auf. »Jeder, der in der Lage ist, Waffen zu tragen, soll in die Reihen der Selbstverteidigungseinheiten des kurdischen Volkes eintreten und sich diesen Angriffen der bewaffneten Banden entgegenstellen.«

Das Hauptquartier der YPG bezichtigt auch die vom Westen und den Golfmonarchien hochgerüstete »Freie Syrische Armee« (FSA) der Kooperation mit den Dschihadisten. Die FSA sowie die Al-Nusra-Front und ISIS »bilden eine Front bei den Angriffen auf das kurdische Volk«, hieß es in einer Erklärung.

Der Vorsitzende des Militärrates der FSA von Aleppo, Abdulcabbar Al-Akidi, nannte seinerseits in der vergangenen Woche im türkischen Gaziantep (etwa 50 Kilometer vor der syrischen Grenze) während eines Treffens von 70 FSA-Kommandeuren die PYD eine »Regimeanhängerin« und drohte den nach Selbstverwaltung strebenden Kurden, die FSA werde keinen Fußbreit syrischer Erde preisgeben. »Wir sind viel stärker als die PYD, aber wir konzentrieren uns zunächst auf Assad«, tönte der FSA-Kommandeur.

* Aus: junge Welt, Freitag, 2. August 2013


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