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Wutausbruch der Syrer

Nach Mord an populärem kurdischen Oppositionspolitiker gehen Tausende auf die Straße. Syrische Botschaften und Konsulate in Europa gestürmt

Von Karin Leukefeld *

Nach der Ermordung des kurdischen Oppositionspolitikers Maschaal Tammo am Freitag abend in Syrien haben Zehntausende Menschen am Sonntag im nordsyrischen Grenzort Kamischli gegen die anhaltende Gewalt in Syrien protestiert. Bis zu fünf Personen sollen dabei erschossen worden sein.

Wer den populären Politiker getötet hat, ist unklar. Während Tammo nach Darstellung verschiedener Quellen in seinem Haus getötet worden sein soll, berichteten andere Medien, der Politiker sei mit seinem Sohn Marcel und Zahida Rash Kilo, einer Freundin der Familie, auf dem Weg zu Bekannten gewesen, als vier maskierte Männer das Feuer auf ihn eröffneten. Tammo sei sofort tot gewesen, seine Begleiter wurden verletzt.

Tammo, der nach zweijähriger Haft im Juni im Rahmen einer Amnestie aus dem Gefängnis freigekommen war, führte die Kurdische Zukunftspartei und fungierte als Sprecher eines Zusammenschlusses von 14 inoffiziellen kurdischen Parteien in Syrien, denen Präsident Baschar Al-Assad im April Gespräche angeboten hatte. Tammo soll auch Mitglied des kürzlich in Istanbul gegründeten »Syrischen Nationalrates« gewesen sein. Bei dessen Gründung waren allerdings nur Namen von im Ausland lebenden Mitgliedern bekanntgegeben worden.

Der syrische Außenminister Walid Muallem machte in Damaskus »terroristische Gruppen« für den Mord verantwortlich, während Sprecher des Syrischen Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel die Regierung aufforderten, das Verbrechen sofort zu untersuchen. Auch die kurdischen Parteien verurteilten den Mord scharf, für den Omar Aussi von der Nationalen Initiative Syrischer Kurden im staatlichen Fernsehen bewaffnete Terroristen verantwortlich machte, die im Interesse des Auslands politische, akademische und religiöse Persönlichkeiten in Syrien eliminieren würden. In der autonomen Kurdenregion im Nordirak forderten syrisch-kurdische Oppositionsparteien ein internationales Eingreifen. »Die Ermordung von Maschaal Tammo ist ein Beweis für das barbarische Wesen des syrischen Regimes«, sagte der Sprecher der Syrischen Linkspartei, Nureddin Othman, der Nachrichtenagentur AP. In mehreren europäischen Städten, darunter Berlin, Wien, Hamburg und Genf, kam es zu gewaltsamen Übergriffen syrisch-kurdischer Aktivisten auf die diplomatischen Vertretungen des Landes.

Das US-Außenministerium warf der syrischen Führung vor, eine »Eskalation« gegen die Opposition zu betreiben. Die Sprecherin des State Department in Washington, Victoria Nuland, sprach von einer »Einschüchterungstaktik«.

Demonstrative Unterstützung erhielt Assad hingegen vom lateinamerikanischen antiimperialistischen Staatenbündnis ALBA. Eine Delegation unter der Leitung von Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro, seinem kubanischen Amtskollegen Bruno Rodríguez und dem bolivianischen Kommunikationsminister Iván Canelas sowie Ecuadors Vizeaußenminister Pablo Villagómez kam am Sonntag zu Gesprächen mit der syrischen Regierung in Damaskus an. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Muallem wiesen sie die »westliche und imperialistische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens« zurück. Der syrische Außenminister gab dabei die Zahl der getöteten Zivilisten in seinem Land seit März mit 1110 an, mehr als 700 Soldaten und Sicherheitskräfte seien ebenfalls ums Leben gekommen.

* Aus: junge Welt, 10. Oktober 2011


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