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Journalisten im Fadenkreuz

Syriens Rebellen mögen nur ihre eigene Berichterstattung

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Wie es mit der »freien« Berichterstattung über den Syrien-Konflikt bestellt ist, zeigen terroristische Übergriffe seitens der bewaffneten Opposition gegen syrische Journalisten.

»Das ist unser Alltag heute, jeden Tag Todesmeldungen. Heute der Tod unseres Kollegen, gestern erfuhr ich von sechs jungen Männern, die getötet wurden. Alle wohnten in meiner Nachbarschaft, hatten studiert und waren Soldaten.« Reem J. arbeitet im syrischen Informationsministerium und beim Syrischen Fernsehen in Damaskus. Sie trägt schwarz, ihr dichtes, schwarzes Haar ist zurückgebunden, unter den Augen liegen tiefe Schatten. Am Morgen kam die Meldung, dass Ali Abbas, Leiter der Internationalen Nachrichtenredaktion bei der Syrischen Arabischen Nachrichtenagentur (SANA), am Sonnabend in seiner Wohnung erschossen wurde. Seit Freitag wird ein vierköpfiges Team des Fernsehsenders Al-Ikhbariya vermisst, es war auf dem Rückweg von einem Dreheinsatz in Tel Mnin von bewaffneten Aufständischen entführt worden.

Der Sender steht, wie alle syrischen Medien, auf der Abschussliste bewaffneter Aufständischer. Ende Juni wurde der Sender bei einem Überfall gesprengt, sieben Mitarbeiter, darunter drei Reporter, wurden ermordet. Das nun entführte Team hatte mehrfach die syrische Armee begleitet und quasi »eingebettet« über militärische Operationen berichtet. Diese Berichte rücken Meldungen der Aufständischen in ein anderes Licht, denen in den arabischen Sendern Al-Dschasira (Katar) und Al-Arabija (Saudi-Arabien) rund um die Uhr eine Plattform geboten wird. Wer gegen die Regierung eingestellt ist, glaubt diesen Sendern mehr als der Realität vor der eigenen Haustür, sagt ein Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er habe selber Meldungen überprüft und für falsch befunden.

Syrische Kollegen vermuten, dass sie mit der Terrorkampagne zum Schweigen gebracht werden sollen. »Die ausländischen Medien stellen uns alle als ›Schabiha‹, als Milizen des Regimes dar«, sagt Reem J. Dabei hätten syrische Medien ihr journalistisches und technisches Personal in Deutschland, Jordanien und Indien geschult. Etliche, die heute beim syrischen Fernsehen arbeiteten, hätten ihre Ausbildung bei Al-Dschasira begonnen. Der Sender war bis zum Frühsommer 2011 mit einem Büro in Damaskus vertreten.

Reem J. arbeitet zusätzliche Schichten, weil Kollegen wegen Kämpfen oder Drohungen ihre Wohnungen nicht mehr verlassen können. Manche wurden in Hotels untergebracht, Sicherheitsvorkehrungen wurden erhöht. Eine martialische Botschaft der bis Ende 2011 unbekannten islamistischen Al-Nusra-Front, die nach eigenen Angaben den prominenten Fernsehmoderator und Sprecher Mohammed as-Saeed entführt und ermordet haben will, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. »Die Schwerter der Mudschaheddin werden ihre Köpfe abschlagen und die Levante von ihren Obszönitäten reinigen«, wird den syrischen Medien gedroht. Nach Angaben des russischen Senders Russia Today soll es bei bewaffneten Gruppen zudem eine Todesliste für Beamte und Angestellte in öffentlichen Einrichtungen geben: »Ärzte, Lehrer, städtische Angestellte seien in Gefahr, entführt oder ermordet zu werden, einfach nur weil sie ihre Arbeit tun«, heißt es in einem Bericht.

Untermauert werden die Drohungen durch brutale Aufnahmen, die im Internet-Videoportal Youtube zu sehen sind. Da wird gezeigt, wie ein angeblicher Mitarbeiter der syrischen Sicherheitskräfte aus seinem Wagen gezerrt und auf offener Straße erschossen wird. Anschließend feuern die Täter weitere Dutzende Male auf den toten Mann. Ein anderes Video zeigt, wie Personen aus dem vierten Stock eines Hauses zu Tode geworfen werden. Die Aufnahmen werden offenbar mit Mobiltelefonen gemacht und anschließend im Internet veröffentlicht.

Aus: neues deutschland, Montag, 13. August 2012


Achse zum Regimewechsel

USA und Türkei wollen gemeinsam Assads Sturz beschleunigen

Von Ingolf Bossenz *


Während Teile der Weltöffentlichkeit nach wie vor auf eine politische Lösung im Syrien-Konflikt hoffen, setzen die USA nun offenbar definitiv auf einen »Regime change«.

Es sei das »strategische Ziel« der USA, den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu forcieren. US-Außenministerin Hillary Clinton ließ es bei ihrem Besuch am Wochenende in Istanbul an Offenheit nicht fehlen. Gegenüber ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu betonte sie den Willen, »den Druck von außen weiter« zu steigern. Erst am Freitag hatte Washington weitere Sanktionen in Richtung Damaskus verhängt. Diesmal gegen Syriens staatliche Ölgesellschaft Sytrol wegen Geschäften mit Iran. Teheran, so die Begründung, unterstütze Assad bei der »Niederschlagung des eigenen Volkes«.

Damit verfilzt die US-Regierung unverhohlen die Syrienkrise mit dem - bislang - politischen Feldzug gegen Iran. Die »New York Times« kommentierte das dieser Tage mit der Feststellung, dass es nicht überraschend sei, wenn Teheran den internen Konflikt in Syrien als Teil eines größeren internationalen Krieges sieht, in dem Iran letzten Endes das Ziel ist. Das Blatt weiter: »Um die Ursache von Irans Paranoia zu verstehen, muss man sich nur die Landkarte anschauen. Iran ist seit der Revolution 1979 ständig von einem Netzwerk von amerikanischen Militärbasen umgeben.«

Unterdessen wird die Bedeutung der Achse Washington-Ankara für den Regimewechsel in Syrien mit der Entscheidung unterstrichen, eine amerikanisch-türkische Arbeitsgruppe für die Analyse möglicher Szenarien der weiteren Entwicklung in dem arabischen Nachbarland der Türkei zu bilden.

Mit ihrer Besorgnis, Kämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) könnten in Syrien Unterschlupf finden, erteilte Clinton bei ihrer Visite der türkischen Regierung zudem einen De-facto-Freibrief. Hatte diese doch zuvor angekündigt, dass Ankara »alle nur möglichen Mittel« nutzen wird, eine Bedrohung vom syrischen Territorium aus zu verhindern.

Clinton teilte mit, dass der US-Kongress zusätzliche fünf Millionen Dollar für den Kauf humanitärer Hilfsgüter für syrische Flüchtlinge bereitgestellt hat. Die Großzügigkeit dieser Offerte wird indes relativiert, wenn man daran erinnert, dass die USA kurz zuvor 25 Millionen Dollar - also das Fünffache - für die bewaffnete syrische Opposition freigegeben haben. Demonstrativ versicherte das US-Außenministerium, dass mit diesem Geld keine Waffen oder Rüstungen, sondern ausschließlich Kommunikationstechnik, Medikamente und einige Waren des dringenden Bedarfs gekauft werden.

Nicht überraschend ist, dass Clinton auf eine mögliche Flugverbotszone in Syrien angesprochen wurde, die schon lange von Regierungsgegnern gefordert wird. Konkret wollte sich die Ministerin dazu nicht äußern. Diese Option bedürfe einer genauen Analyse, sagte die Ministerin. Noch setzt man in Syrien auf einen Stellvertreterkrieg.

** Aus: neues deutschland, Montag, 13. August 2012


Reporter als Ziele

Syrien: Täglich Angriffe auf Journalisten und Fernsehsender. Staatliche Medien widerlegen ausländische Lügen

Von Karin Leukefeld, Damaskus ***


Syrische Journalisten sind am Wochenende erneut Ziel von Angriffen bewaffneter Gruppen geworden. Am Samstag abend wurde Ali Abbas, Leiter der internationalen Abteilung der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA in seiner Wohnung erschossen. Bereits am Freitag war ein vierköpfiges Team des Fernsehsenders Al-Ikhbariya in dem Ort Tal Mnin unweit des weltbekannten Pilgerziels Sednaya entführt worden. In dem etwa 30 Kilometer nördlich von Damaskus gelegenen Gebiet kommt es seit Tagen zu heftigen Kämpfen zwischen der regulären Armee und bewaffneten Aufständischen. Die Syrische Journalistenunion forderte internationale Unterstützung für die Freilassung des Fernsehteams. Der Sender erklärte in einer Stellungnahme, die Staaten, die die bewaffneten Gruppen unterstützten, seien für das Wohlergehen der Reporter verantwortlich. Journalisten von Al-Ikhbariya arbeiten seit Wochen »eingebettet« bei den syrischen Streitkräften und haben Berichte aus verschiedenen Vororten von Damaskus, aus Homs und Aleppo gezeigt. Daraufhin war der Sender Ende Juni von bewaffneten Gruppen überfallen und zerstört worden. Sieben Mitarbeiter, darunter drei Reporter, wurden dabei ermordet.

Die »eingebettete Kriegsberichterstattung« hat im Zeitalter der Massenmedien eine besondere Bedeutung gewonnen. Erstmals wurde sie von den USA und ihren Verbündeten offensiv ab 2001 in Afghanistan und bei der Invasion des Iraks 2003 angewandt. In Libyen und nun in Syrien waren Reporter westlicher und der Medien von Katar (Al-Dschasira) und Saudi-Arabien (Al-Arabiya) fast von Anfang an an der Seite der Aufständischen dabei. Ihre Berichte trugen wesentlich zur Eskalation der Lage bei. Für die syrischen Streitkräfte und die Syrer ist das »Einbetten« von Journalisten hingegen ein Novum. Deren Beiträge vermitteln einen wichtigen Einblick in die militärischen Operationen, die die Darstellung der bewaffneten Gruppen und der »Freien Syrischen Armee« in den ausländischen Fernsehsendern in ein anderes Licht rücken.

Fast täglich müssen die syrischen Medien auf Falschmeldungen aus dem Ausland reagieren. Als am Samstag Al-Arabiya berichtete, in vielen Teilen von Damaskus seien erneut Kämpfe ausgebrochen, korrigierten das staatliche Fernsehen und der Rundfunk diese Darstellung umgehend. Tatsächlich hatten Aufständische an zwei Orten Sprengsätze gezündet und wild um sich geschossen, wie die Autorin unweit des Marja-Platzes selber erlebte. Bei einer anschließenden Verfolgungsjagd wurden die Männer festgenommen. Westliche Medien meldeten am Wochenende Angriffe der regulären Streitkräfte auf Flüchtlinge, die nach Jordanien wollten. Syrische Medien hingegen berichten seit Wochen, daß die Armee an verschiedenen Grenzen Waffenschmuggler und Kämpfer stellt, zurücktreibt oder tötet. Zuletzt wurde an der syrisch-jordanischen Grenze ein Fahrzeug mit Sprengstoff und Waffen sichergestellt. Fahrer und Beifahrer gaben an, sie hätten den Auftrag erhalten, in Damaskus Sprengsätze zu zünden.

Sprecher der bewaffneten Aufständischen haben nach ihrem »taktischen Rückzug« aus Aleppo Munitions- und Waffenmangel beklagt. Die Lager von Waffenhändlern seien so gut wie ausverkauft, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters am Wochenende. Die Preise für Munition seien um 70 Prozent gestiegen. Um weitere Unterstützung für die bewaffneten Aufständischen zu beraten, traf US-Außenministerin Hillary Clinton am Wochenende in Ankara mit ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu und ausgewählten Exiloppositionellen zusammen. Dabei verständigte man sich, die Einrichtung einer »Flugverbotszone« über Syrien zu prüfen. Ein dafür erforderlicher Militäreinsatz der NATO oder anderer ausländischer Streitkräfte wird im UN-Sicherheitsrat von Rußland und China abgelehnt.

*** Aus: junge Welt, Montag, 13. August 2012


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