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Islamisten auf Vormarsch

"Islamische Front" erobert Hauptquartier der »Freien Syrischen Armee« und plündert deren Waffenlager. USA und Großbritannien setzen Militärhilfe an Aufständische aus

Von Karin Leukefeld *

Nach der Erstürmung des Hauptquartiers und mehrerer Waffenlager der »Freien Syrischen Armee« (FSA) durch Kampfverbände der »Islamischen Front« haben Großbritannien und die USA am Donnerstag ihre Militärhilfe für die Aufständischen ausgesetzt. Ob auch die Lieferung von Waffen aus Saudi-Arabien und Katar an die Gegner des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad eingestellt wurde, ist unklar. Bis Mittwoch war Bab Al-Hawa im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei Standort des Hohen Militärrates der FSA. Von hier wurde die Lieferung von Waffen, Munition und humanitärer Hilfe für dessen aus westlicher Sicht »moderate Kampfverbände« kontrolliert. Westliche Geheimdienstmitarbeiter der Kerngruppe der von den USA gegründeten »Freunde Syriens« unterstützten den Militärrat dabei. Weil man nicht wisse, was die Islamisten in den FSA-Waffenlagern erbeutet hätten, werde man die »nicht-tödliche Hilfe«– so die offizielle Sprachregelung von London und Washington – aussetzen, sagte ein Sprecher der US-Botschaft in Ankara.

Als »nicht-tödliche Hilfe« gelten Funkgeräte, Nachtsichtgeräte und Schutzwesten oder auch Fahrzeuge, Erste-Hilfe-Koffer und Nahrungsmittel. Die Washington Post hatte allerdings Anfang September berichtet, die US-Regierung habe mit der Lieferung von Waffen an den Militärrat begonnen; CIA-Agenten überwachten die Transporte. Im Falle eines US-Militärschlages, der für Mitte September erwartet worden war, sollten die Waffen die FSA für eine Offensive sowohl gegen die syrischen Regierungstruppen als auch gegen die Islamisten stärken. Washington hatte offiziell bis zuletzt gezögert, schwere Waffen wie Luftabwehrraketen in den Norden Syriens zu liefern, aus Angst, sie könnten den Islamisten in die Hände fallen. Das ist nun offenbar geschehen.

Die russische Agentur RIA Nowosti meldete am Donnerstag unter Verweis auf arabische Medien, die »Islamische Front« habe zehn Waffenlager überfallen und insgesamt 2000 Sturmgewehre, 1000 Pistolen und eine unbestimmte Anzahl von Granatwerfern und großkalibrigen Maschinengewehren erbeutet. Der »Islamischen Front« gehörten mittlerweile 50 verschiedene Gruppierungen an, darunter die Al-Qaida-Ableger Nusra-Front und ISIS (Islamischer Staat in Irak und Syrien).

Die Vertreibung des Militärrates ist für die FSA und deren Oberkommandierenden Selim Idriss ein herber Rückschlag. Der General hat sich nach US-Angaben über die Türkei nach Doha (Katar) abgesetzt. Ein namentlich nicht genannter US-Beamter sagte dem Wall Street Journal, die Übernahme der Waffenlager und des FSA-Hauptquartiers durch die Islamisten sei wie ein »interner Putsch«. Er vermute, das sei »das Ende des Hohen Militärrates«. Die FSA hatte in den vergangenen Monaten Niederlagen im Kampf mit den Islamisten hinnehmen müssen. Einzelne Kämpfer hatten sich in die Türkei abgesetzt, einige Einheiten eine Einigung mit der syrischen Armee gesucht. Die syrische Exilopposition behauptete am Donnerstag, FSA-General Idriss habe sich nicht abgesetzt; er führe vielmehr im Grenz gebiet Gespräche mit Vertretern der »Islamischen Front«.

Vertreter der »Freunde Syriens« hatten sich kürzlich mit Anführern islamistischer und anderer Kampfverbände getroffen, um deren Position zu den für Ende Januar 2014 geplanten Syrien-Gesprächen in Genf auszuloten. Offenbar sollen sie überzeugt werden, ihre Angriffe einzustellen. Im Gegenzug könnten sie die Kontrolle über Gebiete einfordern, die sie als »befreit« bezeichnen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. Dezember 2013


Luftbrücke verschoben

Weil der Landweg zu unsicher ist, will die UNO Hilfsgüter mit Flugzeugen nach Syrien bringen. Wintereinbruch durchkreuzt Pläne

Von Karin Leukefeld **


Die Vereinten Nationen haben die Lieferung von Hilfsgütern aus dem Nordirak nach Syrien wegen heftiger Schneefälle verschieben müssen. Die für Donnerstag geplante »Luftbrücke« soll voraussichtlich am Freitag beginnen, sagte Peter Kessler vom UN-Hilfswerk für Flüchtlinge (UNHCR). 40 Tonnen Hilfsgüter sollen aus der nordirakischen Kurdenmetropole Erbil nach Qamischli geflogen werden. Die Grenzstadt zur Türkei im Norden Syriens wird mehrheitlich von Kurden bewohnt. 10000 Familien, etwa 60000 Personen, sollen mit Nahrungsmitteln und warmer Winterkleidung versorgt werden. Insgesamt sind sieben Flüge mit Hilfsgütern im Wert von vier Millionen US-Dollar geplant. Auch das Welternährungsprogramm (WFP) und das UN-Kinderhilfswerk UNICEF senden Hilfsgüter. Sowohl die syrische als auch die irakische Regierung haben für den Transport ihre Zustimmung erteilt.

Erstmals hatte das UNHCR im Juli Nothilfe per Flugzeug in die kurdische Stadt gebracht. Damals war eine russische Antonow 12 aus Baku nach Damaskus geflogen, von wo 14,6 Tonnen medizinische Hilfsgüter in die Grenzstadt gebracht wurden.

Hilfstransporte von UN-Organisationen sowie des Roten Kreuzes bzw. Roten Halbmondes waren in den vergangenen Wochen immer wieder von bewaffneten Aufständischen an der Durchfahrt in den Nordosten gehindert worden. In der Region leben vor allem christliche und kurdische Gemeinden, insbesondere in Qamischli und Kobani. Die Verteidigungskräfte der kurdischen Partei der demokratischen Union (PYD), die dem Koordinationskomitee für demokratischen Wandel (NCC) angehört, sind seit dem Sommer massiven Angriffen von Islamisten ausgesetzt. Der PYD-Vertreter in Europa, Abdulsalam Mustafa, spricht von einem »Embargo« gegen die Gebiete.

Im Vorfeld der Syrien-Gespräche in Genf im kommenden Monat scheinen die Übergriffe auf oppositionelle Aktivisten, die ausschließlich politisch agieren, weiter zu eskalieren. Das oppositionelle NCC teilte mit, daß Jara Faris, die Ehefrau eines führenden Mitgliedes der Bewegung, von Sicherheitskräften festgenommen worden sei. Ihr Mann Maher Tahan war zusammen mit den führenden NCC-Mitgliedern Abdulaziz Al-Khair und Ayaz Ayash im September 2012 verschleppt worden. Tahan und Ayash hatten Al-Khair vom Flughafen abgeholt, der von einer China-Reise zurückgekehrt war. Alle drei Männer sollen sich nach NCC-Angaben bis zum Frühsommer 2013 in Haft des Luftwaffengeheimdienstes befunden haben. Seitens der Regierung heißt es, die drei Politiker seien von Banden entführt worden. Gegenüber junge Welt räumte der NCC-Vorsitzende Hassan Abdulazeem ein, daß man inzwischen keine Informationen mehr über den Verbleib der drei Männer habe.

Bereits am 10. Dezember wurde die international bekannte Anwältin Razan Zaitouneh mit ihrem Mann und zwei Mitstreitern aus dem Büro der Dokumentationsstelle für Menschenrechtsverletzungen entführt, das in einem weitgehend von den Aufständischen kontrollierten Vorort von Damaskus liegt. Die Dokumentationsstelle listet Menschenrechtsverletzungen von allen Seiten auf. Kürzlich hatte Zaitouneh, die als erklärte Gegnerin der Regierung von Baschar Al-Assad gilt, die Gruppe »Islamischer Staat in Irak und Syrien« für 90 Prozent der Entführungen in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten verantwortlich gemacht.

** Aus: junge Welt, Freitag, 13. Dezember 2013


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