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Streit um Heckenschützen in Syrien

Oppositionsgruppen planen bereits neuen Staat / Militärintervention abgelehnt *

Während sich die syrische Opposition nach eigenen Angaben bereits »auf Regeln für die Zeit nach Assad« geeinigt hat, versucht die Delegation der Arabischen Liga noch, einen Kompromiss zu erreichen.

Unter den Beobachtern der Arabischen Liga in Syrien gibt es offenbar Meinungsverschiedenheiten über den Einsatz von Heckenschützen durch die Regierung. Der Leiter der Beobachtermission, der sudanesische General Mohammed Ahmed Mustafa al-Dabi, wies in der BBC Angaben zurück, eines seiner Teammitglieder habe die Präsenz von Heckenschützen bestätigt. Ein in einem Video zu sehender Mann mit einer Weste der Liga habe lediglich gesagt, wenn er Heckenschützen selbst sähe, würde er das umgehend melden.

Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte hatte ein Video veröffentlicht, in dem ein mutmaßlicher Liga-Beobachter in Daraa sagt: »Es gibt Heckenschützen, wir haben sie mit eigenen Augen gesehen. Wir fordern die Behörden auf, sie sofort abzuziehen. Wenn sie sie nicht binnen 24 Stunden abziehen, wird es andere Maßnahmen geben.« Der namentlich nicht genannte Mann fügt in dem Video hinzu: »Andernfalls wären wir umsonst hierher gekommen.«

Die Entsendung von Beobachtern nach Syrien ist Teil eines Plans der Arabischen Liga zur Beendigung des Blutvergießens in dem Land, dem nach UNO-Schätzungen seit März bereits 5000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Der Plan sieht neben der Beobachtermission den Rückzug der Armee aus syrischen Städten und die Freilassung von Gefangenen vor.

In Kairo unterzeichneten unterdessen das Nationale Koordinierungsgremium für einen Demokratischen Wandel (NCB) und der Syrische Nationalrat (SNC) eine Vereinbarung über »die politischen und demokratischen Regeln für die Übergangsphase« nach dem Ende der Herrschaft von Präsident Baschar al-Assad. Die Gruppen vereinbarten am Freitag die »Gründung eines bürgerlich-demokratischen Staates«, die Übergangsphase werde »mit dem Sturz des Regimes und all seiner Symbole beginnen«, hieß es in dem im Internet veröffentlichten Dokument. Unterstützt wird die aus Deserteuren gebildete sogenannte Freie Syrische Armee, die gegen Assads Truppen kämpft, eine ausländische Militärintervention wird jedoch abgelehnt. Der Syrische Nationalrat hat 230 Mitglieder, allerdings leben nur 100 Mitglieder in Syrien selbst. Das NCB bündelt Oppositionsvertreter in Syrien, darunter arabische Nationalisten, Sozialisten, Marxisten, Unabhängige und auch Vertreter der kurdischen Minderheit.

* Aus: neues deutschland, 2. Januar 2012


Prügel für den General

Von Roland Etzel **

Die arabischen Beobachter in Syrien werden, so wie es jetzt aussieht, nicht mit Dank rechnen können; nicht von Seiten der Regierung in Damaskus, die allenfalls allmählich begreift, dass absolute Transparenz gegenüber den Gästen eine der wohl nur noch wenigen Chancen ist, die ihr verbleiben. Geradezu feindselig aber - und das hatte vor Beginn der Mission kaum jemand vermutet - kommentiert die syrische Opposition das Auftreten der Beobachter. Vor allem die in westlichen Ländern befindlichen Exilgruppen prügeln auf deren Chef, General Dabi, ein.

Offenbar sind sie überrascht, dass die Gesandten der Arabischen Liga nicht gekommen sind, um lediglich jenes holzschnittartige Bild zu bestätigen, das täglich über fast alle internationalen Medien vermittelt wird: auf der einen Seite die mordbrennenden Assad-Schergen, auf der anderen die friedliche, demokratische Opposition. So simpel ist Wahrheit selten und wohl auch in diesem Falle nicht.

Ihr auf den Grund zu gehen, sollte man den Beobachtern die nötige Zeit lassen. Nicht mehr als das fordert deren Delegationschef, der Sudanese Dabi. Er wird nun von Paris bis Washington heftig attackiert - weil er der »Vertraute« eines im Westen geächteten Präsidenten sei. Das ist wirklich ein erstaunliches Argument. Hatte man erwartet, dass Sudans Regierung einen Dissidenten schickt? Wäre der Vorwurf überhaupt ergangen, wenn Dabi das westliche Syrien-Bild gestützt hätte?

** Aus: neues deutschland, 2. Januar 2012 (Kommentar)


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