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Zeitspiel in Genf

Syrische Opposition zu geschwächt und gespalten für Friedensgespräche

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Nicht einmal auf einen Termin für Friedensgespräche konnte sich das hochkarätige Diplomatentreffen am Dienstag in Genf einigen. Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien zeigte sich dennoch weiter optimistisch. Er hoffe auf einen Beginn der Genf-II-Gespräche noch vor Jahresende, so Lakhdar Brahimi. Ein erneutes Treffen zwischen ihm und Vertretern der USA und Rußlands ist für den 25. November vorgesehen. Daß sich die Gegner der syrischen Regierung bis dahin auf eine Vertretung für die Verhandlungen geeinigt hätten, hoffte Brahimi weiter. Es sei kein Geheimnis, wie zerstritten die Opposition sei. »Sie haben jede Menge Probleme und sind ganz offensichtlich nicht bereit.«

Nicht ganz auszuschließen ist, daß mit dieser Selbstschwächung auch die neuerlich zur Schau getragene Skepsis der US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York, Samantha Power, im Hinblick auf die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zusammenhängt. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hatte am vergangenen Donnerstag mitgeteilt, daß Syrien fristgerecht alle angegebenen Anlagen zur Produktion von Giftgas zerstört habe. »Es muß noch mehr getan werden, um sicherzustellen, daß die Aufstellung der syrischen Regierung vollständig ist«, fiel Power nun dennoch auf. Zu einem Zeitpunkt, da reguläre syrische Truppen mit einer Offensive gegen die Aufständischen gerade den Weg in deren Hochburg Aleppo freigemacht haben, klingt das nach Verzögerungstaktik. Gleiches gilt für die scheinbar unüberwindlichen Differenzen über die Teilnehmerliste bei den Friedensgesprächen. Saudi-Arabien, die Türkei, einige Golfstaaten und die von diesen unterstützte »Nationale Koalition« lehnen die Teilnahme Irans ab. Die USA und die 2012 vom damaligen französischen Präsident Nicolas Sarkozy gegründete Gruppe der »Freunde Syriens« bestehen zudem darauf, daß nur eine Delegation die syrische Opposition vertreten soll, unter der Führung der »Nationalen Koalition«.

Der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani, kritisierte am Dienstag zudem, daß die Gespräche ohne Vorbedingungen und ohne Fristvorgaben stattfinden sollten. So würden sie nirgendwohin führen, wiederholte er die Kritik des saudischen Außenministers Prinz Feisal Al-Saud. Eine politische Lösung müsse »die legitimen Forderungen des syrischen Volkes anerkennen«, so Scheich Tamim weiter. Katar und Saudi-Arabien sowie die Türkei finanzieren und bewaffnen aufständische Gruppen in Syrien, die sich jeglichen friedlichen Verhandlungen verweigern. Der stellvertretende russische Außenminister Gennadi Gatilov machte hingegen deutlich, daß »alle, die Einfluß auf die Situation in Syrien haben, eingeladen werden müssen«. Neben den Nachbarstaaten Syriens und den Golfstaaten gehöre dazu auch der Iran. Den USA fehle es offenbar an Einfluß auf die syrische Opposition, so Gatilov weiter. Deren Delegation bei den Genf-II-Gesprächen sollten »möglichst alle Oppositionskräfte« angehören, doch das könnten »die Amerikaner nicht erwirken«.

Gatilov besprach sich am Mittwoch in Genf mit Vertretern syrischer Oppositionsgruppen, ohne das klar wurde, wer an den Treffen teilnahm. Viele der Regierungsgegner seien jedoch extra nach Genf gekommen, um sich mit der russischen Delegation auszutauschen, so Gatilov. Bei den Gesprächen sollte es um die Teilnahme der Opposition an der Friedenskonferenz gehen. Die »Nationale Koalition«, die sich mit Unterstützung des Westens und vom Golf als einzige oppositionelle Vertretung der Syrer ansieht, erklärte, ihr Präsident Ahmad Jarba sei von Rußland nicht zu einem Gespräch eingeladen worden.

Der syrische Oppositionelle Anas Joudeh von der Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen« kritisierte gegenüber jW dagegen bei einem Gespräch in Damaskus die »Architektur« des Genf-II-Treffens. Wenn nur eine Delegation der Opposition vorgesehen sei, würden die Gespräche nicht mehr als eine »Arabische Versammlung« sein, bei der jeder rede und keiner zuhöre. Seine Gruppe sei eingeladen worden, als Teil der »Nationalen Koalition« teilzunehmen. Dies sei jedoch »unakzeptabel«, da man völlig andere Ziele verfolge. Es gebe derzeit ernsthafte Bemühungen, eine dritte Delegation an den Verhandlungstisch in Genf zu bringen. Diese solle der »wirklichen Stimme Syriens« Gehör verschaffen.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 7. November 2013


Neue US-Winkelzüge: Assads Liste lückenhaft

Syrienkonferenz in Genf erneut verschoben **

Die USA misstrauen der von Syrien bereitgestellten Liste ihres Chemiewaffenarsenals, auf deren Basis die Kampfmittel und die Produktionsstätten von Experten unschädlich gemacht werden.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York, Samantha Power, begründete die Skepsis bezüglich syrischer Angaben zu C-Waffen mit bisherigen Erfahrungen mit Machthaber Baschar al-Assad. Diplomaten anderer westlicher Staaten äußerten ebenfalls »starke Zweifel« an der 700 Seiten langen Liste aus Damaskus, die der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) übergeben worden war.

»Es muss noch mehr getan werden, um zu gewährleisten, dass die Aufstellung der syrischen Regierung vollständig ist«, sagte Power nach Beratungen zur Chemiewaffenproblematik im UNO-Sicherheitsrat. Experten seien noch immer damit beschäftigt, die »extrem technischen« Angaben aus Damaskus zu überprüfen.

Power verwies auf die »jahrelangen Verschleierungstaktiken« der Assad-Führung und »die Vielzahl gebrochener Versprechen in diesem Bürgerkrieg«. US-Diplomatenkreisen zufolge sind einige syrische Regierungsvertreter offenbar bestrebt, einen Teil des Chemiewaffenarsenals zu erhalten.

Die Chemiewaffen Syriens sollen nach Ansicht der OPCW außerhalb des arabischen Landes vernichtet werden. Angesichts des Konfliktes sei dies die am besten zu realisierende Option, erklärte der Generaldirektor der OPCW, Ahmet Üzümcü, in Den Haag. Eine syrische Delegation traf nach Angaben der Organisation vom Mittwoch in Den Haag ein, um über die geplante Zerstörung der rund 1000 Tonnen Chemiewaffen zu beraten. Der von Syrien vorgelegte Plan werde nun ausgearbeitet und soll am 15. November vom Exekutivausschuss der OPCW verabschiedet werden.

Unterdessen ist die für den 23. November in Genf angestrebte Friedenskonferenz zu Syrien erneut verschoben worden. Trotz anhaltender Bemühungen um ein baldiges Treffen könne er kein Datum nennen, erklärte der internationale Syrien-Vermittler Lakhdar Brahimi in Genf. Die Vereinten Nationen seien jedoch bereit, und er hoffe, dass die Konferenz noch in diesem Jahr beginnen könne. Der algerische Diplomat Brahimi vermittelt im Auftrag der UNO und der Arabischen Liga im Syrien-Konflikt.

Für die Verzögerung sind nach seinen Angaben auch Uneinigkeiten innerhalb der syrischen Opposition verantwortlich. »Sie sind gespalten, das ist kein Geheimnis«, erklärte er. Um das Leid der Menschen zu beenden, sei eine politische Lösung vordringlich, betonte Brahimi. »Eine militärische Lösung gibt es nicht.«

Am 25. November ist ein weiteres Treffen von Diplomaten der Vereinten Nationen, der USA und Russlands geplant, die seit Monaten um das Zustandekommen der Syrienkonferenz ringen. Ein Streitpunkt ist, dass syrische Aufständische als Vorbedingung den Rücktritt von Präsident Assad fordern.

Brahimi kündigte zudem eine zweite Geberkonferenz für die syrischen Flüchtlinge an. Gastgeber werde Kuwait sein.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 7. November 2013


Ein Rückzugsgefecht?

USA schüren Mißtrauen gegen Damaskus

Von Werner Pirker ***


Es wäre nicht mit rechten Dingen zugegangen, hätten die USA die Absicht der syrischen Seite, das Abkommen zur Abrüstung seiner Chemiewaffenbestände restlos zu erfüllen, nicht doch noch in Zweifel gezogen. Nachdem sich die Regierung in Damaskus wegen der zügigen Erfüllung ihrer Verpflichtungen sogar in den Augen ihrer westlichen Kontrahenten einen gewissen Respekt erworben hat, ist Washington offenbar bemüht, Syrien wieder unter Betrugsverdacht zu stellen.

»Es muß noch mehr getan werden, um sicherzustellen, daß die Aufstellung der syrischen Regierung vollständig ist«, kommentierte die amerikanische UNO-Botschafterin Samantha Power die von den syrischen Behörden erstellte 700 Seiten lange Liste über die chemischen Waffenbestände des Landes. Erfahrungsgemäß wird auch dieses »noch mehr« nicht genügen, wenn Washington an einer weiteren Eskalation der syrischen Krise gelegen ist. Dann wird immer wieder mehr verlangt werden. Auch wenn keine einzige chemische Waffe mehr auf syrischem Boden lagert. Denn Damaskus wird zu beweisen haben, daß es keine C-Waffen mehr hat. Dagegen wird die westliche Denunziantengemeinschaft nicht etwa den Nachweis führen müssen, daß Syrien doch noch welche hat. Wenn Power auf die »jahrelangen Verschleierungstaktiken« des »Assad-Regimes« verweist, dann klingt das angesichts der amerikanischen Erfindungsgabe hinsichtlich nichtexistenter Massenvernichtungswaffen wie blanker Hohn.

Die lobenden Worte, die US-Außenminister John Kerry unlängst an die syrische Führung gerichtet hat, sollen durch die nun ausgesprochenen Verdächtigungen konterkariert werden. Denn mit der in Eiltempo erfolgten Umsetzung des Chemiewaffenabkommens hat Syrien bewiesen, daß es kein »failed state«, kein gescheiterter Staat ist. Und daß die Staatsmacht, die das gegen den Widerstand marodierender Friedenssaboteure zustande bringt, eine legitime ist. Umgekehrt bedeutet dies die Delegitimierung der von den falschen »Freunden Syriens« als »anerkannte Führung des syrischen Volkes« ins Leben gerufenen »Nationalen Koalition«, die alles versucht, den syrischen Staat zum Scheitern zu bringen, was aber aller Voraussicht nach schon gescheitert ist.

In dieser Situation zeigt das Anti-Assad-Lager wenig Neigung, sich an der Genfer Syrien-Konferenz zu beteiligen. Seiner Forderung nach einem Rücktritt von Präsident Baschar Al-Assad als Vorbedingung für eine Konferenzbeteiligung wird die Regierungsseite wohl nicht nachkommen. Damit sollte aber auch dem Dümmsten klar geworden sein, daß die »Rebellen« und nicht die Regierung eine friedliche Lösung hintertreiben. Da die USA und Konsorten nach wie vor einen Regimewechsel in Damaskus anstreben, werden sie ihren Schützlingen weiterhin den Rücken stärken. Dazu gehört auch die Wiederaufnahme verbaler Feindseligkeiten gegenüber der syrischen Regierungsseite. Aber vielleicht ist das nur noch ein Rückzugsgefecht bei Obamas Versuch, aus der Syrien-Nummer rauszukommen.

*** Aus: junge welt, Donnerstag, 7. November 2013 (Kommentar)


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