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Streit um Teilnahme an Syrienkonferenz

UN-Gesandter für Einladung Irans / 19 Oppositionsgruppen wollen boykottieren / Gefechte zwischen Rebellen *

Bewaffnete Auseinandersetzungen haben in Syrien am Wochenende zahlreiche Todesopfer gefordert. Derweil laufen die internationalen Bemühungen um eine Friedenskonferenz Ende November weiter.

Der UN-Sondergesandte, Lakhdar Brahimi wirbt derzeit um Unterstützung für die Syrien-Friedenskonferenz. Ziel der internationalen Gemeinschaft ist es, gemeinsam mit dem Regime und der Opposition eine Lösung in dem seit zweieinhalb Jahren andauernden Konflikt zu finden. Seit Ausbruch der Gewalt sind dabei bereits mehr als 100 000 Menschen getötet worden.

In Teheran signalisierte Außenminister Mohammed Dschawad Bereitschaft zur Teilnahme an der Konferenz am 23. und 24. November, sobald eine Einladung vorliege. »Wir werden definitiv unseren Teil dazu beitragen, damit die Krise in Syrien politisch und gewaltlos beendet werden kann«, sagte er während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Brahimi.

Die US-Regierung hatte dem Iran Anfang des Monats in Aussicht gestellt, an der Genfer Konferenz teilzunehmen, dies aber an Bedingungen geknüpft. Demnach soll die Führung in Teheran zuerst ihre Unterstützung für die Genfer Erklärung vom 30. Juni 2012 äußern.

Darin wird unter anderem eine Übergangsregierung in Damaskus gefordert, die aus Vertretern der Regierung und der Opposition in gegenseitigem Einverständnis gebildet werden soll. Aus Sicht des Westens wird damit ausgeschlossen, dass Assad weiter an der Macht bleibt. Das hat der Iran bis jetzt jedoch abgelehnt.

Da auch die neue iranische Führung unter Präsident Hassan Ruhani den syrischen Staatschefs Baschar al-Assad unterstützt, stößt das Vorhaben bei der syrischen Opposition auf Widerstand. Da sie selbst in zahlreiche widerstreitende Fraktionen zersplittert ist, erscheint ihre eigene Teilnahme weiterhin als höchst fraglich. 19 islamistischen Rebellengruppen hatten ihre Weigerung in einer Videobotschaft verbreitet. Die Konferenz sei »nicht im Sinn des Volks oder der Revolution«, hieß es darin. Der Chef der Gruppierung Sukur al-Scham, Ahmed Eissa al-Scheich, verlas eine gemeinsame Erklärung. Danach würden sich Teilnehmer später »vor unseren Gerichten verantworten« müssen.

Die Syrische Nationale Koalition, der Dachverband der gemäßigteren Opposition, will Anfang November entscheiden, ob sie teilnimmt. Was eine Teilnahme von Vertretern der syrischen Führung an der Konferenz betrifft, heißt es bislang, Damaskus werde nicht mit Aufständischen verhandeln.

Bei bewaffneten Auseinandersetzungen verfeindeter Rebellengruppen war der Grenzübergang Al-Jaarubia im Nordosten Syriens erbittert umkämpft. Er war bislang von der Gruppierung Islamischer Staat im Irak und der Levante, der Al-Nusra-Front und anderen Islamisten kontrolliert worden. Über Al-Jaarubia versorgen sich die Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mit Kämpfern, Waffen und anderem Nachschub.

Die Al-Nusra-Front wies Berichte über die Tötung ihres Anführers zurück. Abu Mohammed al-Dschawlani sei wohlauf. Zuvor hatte das syrische Staatsfernsehen gemeldet, der Al-Nusra-Chef sei bei Kämpfen in der nordwestlichen Provinz Latakia getötet worden, ohne jedoch weitere Details zu nennen. Die Al-Nusra-Front gehört zu den radikal-sunnitischen Gruppen, die in Syrien gegen Präsident Baschar al-Assad kämpfen. Sie unterhält enge Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Kaida und wird von den USA als Terrororganisationen eingestuft.

Gefechte hielten auch in der von Regierungstruppen belagerten Region Ghuta nahe der Hauptstadt Damaskus am Samstag an. UN-Vertreter warnten vor einer immer schlechteren Versorgungslage in dem Gebiet, das im August Schauplatz eines Giftgasanschlags war. In der zentral gelegenen Stadt Homs ist die Versorgungslage laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte für 3000 eingeschlossene Zivilisten besorgniserregend.

Am Freitag waren bei einem Autobombenanschlag vor einer Moschee bei Damaskus mindestens 40 Menschen getötet worden. Dutzende weitere wurden durch das Attentat in Suk Wadi Barada rund 40 Kilometer nordwestlich von Damaskus verletzt. Die Stadt wird von Rebellen kontrolliert, aber von Regierungstruppen belagert. Beide Seiten machten sich für den Anschlag verantwortlich.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes lebe inzwischen in Armut, heißt es in einer von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen Untersuchung des syrischen Zentrums für Politikforschung. 7,9 Millionen Menschen seien seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 in Armut geraten, 4,4 Millionen von ihnen leben demnach sogar in extremer Armut. Immer mehr Menschen seien dazu gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt durch Schmuggel, Entführungen oder andere kriminelle Aktivitäten zu sichern.

»Worte, auch wenn sie zu schocken vermögen, können nicht wirklich ein Bild des düsteren und grauenhaften Alltags derzeit in Syrien zeichnen«, sagte die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos am Freitag in New York vor dem UN-Sicherheitsrat. Besonders problematisch sei, dass so viele medizinische Einrichtungen zerstört seien: 60 Prozent aller Krankenhäuser, 38 Prozent der Gesundheitszentren, 90 Prozent der Krankenwagen und 70 Prozent der Arzneimittel-Fabriken. Die vorsätzliche Zerstörung dieser Infrastruktur bleibe »tägliche Realität«. Zudem beklagte Amos, dass für die Finanzierung der humanitären Hilfe für Syrien immer noch rund die Hälfte des benötigten Geldes fehle.

* Aus: neues deutschland, Montag, 28. Oktober 2013


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