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"Irgendwann werden alle einlenken müssen"

Regierung begrüßt Dialogangebot, Syrischer Nationalrat lehnt Verhandlungen kategorisch ab. Ein Gespräch mit Leo Gabriel *


Leo Gabriel ist Sozialanthropologe und Mitglied im internationalen Rat des Weltsozialforums. Er gehört zu den Mit­initiatoren der Kampagne »­Internationale Initiative Frieden für ­Syrien« (www.peaceinsyria.org)

Sie haben die »Internationale Initiative Frieden für Syrien« mitbegründet. Was sind die Ziele Ihrer Kampagne?

Die Initiative ist nicht zu verstehen ohne die Vorgeschichte. Als am 15. Februar 2003 40 Millionen Menschen weltweit auf die Straße gingen, um gegen den Krieg gegen den Irak zu protestieren, hat sich aus den Reihen der Netzwerke im Weltsozialforum eine Delegation gebildet, die damals mit ganz konkreten Vorschlägen zur Regierung von Saddam Hussein in Bagdad gegangen ist. Letztendlich konnten wir den Krieg nicht verhindern. US-Präsident Bush waren alle internationalen Mechanismen völlig egal, er wollte seinen Krieg. Aus diesem Kreis heraus ist die Initiative »Peace in Syria« entstanden. Eine Vorausdelegation war im September 2012 in Damaskus, wo wir auch mit der Regierung Kontakt aufgenommen haben. Der Krieg kann militärisch nicht gewonnen werden. Es gibt ein militärisches Gleichgewicht, das sich ewig fortsetzt und das die Bevölkerung verbluten läßt. Vor dem Hintergrund dieser Analyse versuchen wir, die syrischen Hauptakteure an einen Tisch zu bringen.

Gibt es Bereitschaft dazu?

Offiziell hat es die Regierung begrüßt. Die Opposition hat gesagt, wir werden auf keinen Fall mit der Regierung von Baschar Al-Assad sprechen und verhandeln. Es geht aber nicht nur um diese erste Ebene. Wir sagen, es geht vielleicht auf der zweiten Ebene, oder auf der dritten oder auf der dreißigsten Ebene, das ist unser Verständnis vom Sozialforum her. So kann man die »Grassroots« in Syrien mit einbeziehen, um Akteure zu schaffen, die unabhängig von den militarisierten Konfliktparteien agieren.

Wie reagieren denn die bewaffneten Gruppen, die doch keine Bereitschaft zum Dialog zeigen?

In vielen Gesprächen hat uns der Syrische Nationalrat, der SNC, der Teil der Nationalen Koalition ist, klar gemacht, sie werden sich mit niemandem von der Regierung hinsetzen. Als Mouaz Al-Khatib bereit war, nach Moskau zu gehen, um dort einen Dialog mit der Regierungsseite aufzunehmen – die Regierung hatte erste Schritte dazu unternommen – war es leider so, daß die mittlere Führungsebene der Nationalen Koalition ihm den Boden entzogen hat. Sie war gegen Gespräche.

Gibt es Unterstützung in Syrien?

Wir haben Kontakte mit Kämpfern der »Freien Syrischen Armee« in Aleppo, die teilweise in Istanbul, teilweise in Beirut tätig sind. Die rufen mich sogar an und fragen, wie es mit der Initiative steht. Diejenigen, die wirklich ihr Leben aufs Spiel setzen, schätzen die Initiative mehr als die Politiker auf Oppositionsseite, die sagen: Nein, wir sprechen nicht mit der Regierung. Wenn die Regierung in Damaskus intelligent wäre, wäre es für sie doch besser, einer relativ schwachen Größe, wie wir sie darstellen, Zugeständnisse zu machen, als wenn ihr eines Tages nichts anderes übrig bleibt als einzulenken. Der Zeitpunkt wird kommen. Ich bin davon überzeugt, daß sie irgendwann einmal einlenken muß.

In einem Gespräch in Damaskus sagte mir ein Oppositioneller, auch die Opposition trage Verantwortung für die Militarisierung des Konflikts und dafür, daß die Bewaffnung auf Seiten der Regierungsgegner nicht verhindert wurde.

Ja, diese Position gibt es. Aber die Entwicklung der Massendemonstrationen in Homs und tägliche Berichte von Toten, all das erinnerte mich an meine Zeit in El Salvador, wo in den 80er Jahren genau dasselbe passiert ist. Damals sind die dann in die Berge gegangen. Und so machen die das in Syrien auch.

Interview: Karin Leukefeld

* Aus: junge Welt, Montag, 15. April 2013


Chemiewaffenbericht »mehr als dubios« **

Britische Militärexperten sollen in Syrien heimlich Bodenproben genommen haben. Das berichtete jedenfalls am Samstag die britische Tageszeitung Times. Sie seien angeblich in der Nähe von Damaskus entnommen worden und wiesen auf den Einsatz von chemischen Waffen hin. Man könne aber nicht sagen, ob die Waffen von der syrischen Armee oder von Rebellen benutzt worden seien.

Der stellvertretende Linke-Vorsitzende und ehemalige UN-Waffeninspektor Jan van Aken sprach von einer »ganz, ganz dummen Aktion der Briten«. Auf Zypern sei eine UN-Inspektorenmission einsatzbereit, »sie allein habe die Glaubwürdigkeit und Legitimität, solche schweren Vorwürfe zu ermitteln«, hieß es in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung. Die britische Aktion sei geeignet, »die Gewaltspirale in Syrien noch weiter anzuheizen und eine internationale Militäraktion zu provozieren«, die Faktenlage sei »mehr als dubios«. So sei unklar, woher die Bodenprobe stamme und ob »sicher ausgeschlossen werden kann, daß sie manipuliert wurde«. Nach den Erfahrungen des Irak-Krieges 2003 sei die Glaubwürdigkeit der Briten in solchen Fragen »eher sehr gering«, so der Linke-Politiker weiter. Damals hatte die Regierung von Anthony Blair behauptet, Irak besitze die Fähigkeit, innerhalb von 45 Minuten Biowaffen einzusetzen. Das war allerdings frei erfunden.

Vier im türkisch-syrischen Grenzgebiet entführte italienische Journalisten sind derweil wieder frei. Das teilte der amtierende italienische Ministerpräsident Mario Monti am Samstag mit. Einzelheiten zu der Freilassung, die offenbar vom italienischen Auslandsgeheimdienst vermittelt worden war, wurden nicht bekannt. Die vier Journalisten waren am 4. April in der Region Idlib verschleppt worden. Einer der Journalisten gab an, sie seien von einer bewaffneten Islamistengruppe verschleppt worden, die nicht der »Freien Syrischen Armee« angehöre. Das Filmteam habe es versäumt, bei allen in dem Gebiet aktiven bewaffneten Gruppen um Erlaubnis für die Dreharbeiten zu bitten. Die Region ist eine Hochburg der mit Al-Qaida verbundenen Al-Nusra-Front. (kl)

** Aus: junge Welt, Montag, 15. April 2013


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