Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Genfer Abkommen torpediert

EU stärkt "Nationale Koalition" im Exil lebender syrischer Oppositioneller

Von Karin Leukefeld *

Rechtzeitig zum Treffen der »Freunde Syriens«, das am heutigen Mittwoch in Marrakesch (Marokko) beginnt, haben die Außenminister der 27 EU-Staaten sich am Montag in Brüssel mit Muas Al-Khatib, dem Vorsitzenden einer Anfang November neu gegründeten »Nationalen Koali-tion«, getroffen. Die neue Formierung von im Exil lebenden syrischen Oppositionellen war auf Betreiben der USA in Doha (Katar) zustande gekommen, da der bisher von Washington und seinen Verbündeten unterstützte Syrische Nationalrat (SNR) offenbar nicht die erwarteten Ergebnisse geliefert hatte. Bei dem Treffen der »Freunde Syriens« soll die neue »Nationale Koalition« eine Übergangsregierung und möglicherweise auch einen Präsidentschaftskandidaten vorstellen. Im Anschluß an das Treffen mit Al-Khatib verkündete die EU-Kommission, 30 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für die von dem Krieg in Syrien betroffenen Menschen zur Verfügung zu stellen.

Während der türkische Fernsehsender TRT berichtete, die EU-Außenminister hätten »die Anerkennung der Koalition durch die EU als legitimen Vertreter der syrischen Bevölkerung« beschlossen, sprach Bundesaußenminister Guido Westerwelle von einem »klaren Zeichen der Aufwertung der syrischen Koalition (…), die die legitimen Interessen des syrischen Volkes vertritt«. Westerwelle forderte, daß die EU seine Einschätzung übernehmen sollte. Sein britischer Amtskollege William Hague betonte, daß Großbritannien die Koalition bereits »voll anerkannt« habe. Er hoffe, »daß andere Länder das ebenfalls bei dem Treffen der Freunde Syriens am Mittwoch in Marrakesch tun werden«. Hague forderte zudem mehr Unterstützung für die Gruppe. London liefert Kommunikationsgeräte, humanitäre Hilfe und »bietet Beratung an«, so Hague. Großbritannien hatte in der vergangenen Woche vergeblich versucht, ein EU-Waffenembargo aufzuweichen, um die Aufständischen in Syrien zu beliefern. Nach Ablauf des gerade um drei Monate verlängerten Embargos will London es erneut versuchen. Mit der Gründung eines Militärrates durch einen Teil der Aufständischen haben diese die Bedingung erfüllt, um westliche Waffenlieferungen zu erhalten. Der Rat soll der »Nationalen Koalition« unterstellt werden.

Letztere soll deshalb so eilig anerkannt werden, weil der Westen, der seine Politik gegen die arabische Republik im Kreis der »Freunde Syriens« koordiniert, offenbar ein weiteres Erstarken islamistischer Kämpfer in den Reihen der Aufständischen verhindern will. Nach einem Bericht der libanesischen Tageszeitung As Safir befinden sich derzeit Geheimdienstagenten aus den USA, Frankreich und Großbritannien in den Gouvernements Homs, Idlib und Aleppo, um sich selbst ein Bild von der Lage zu verschaffen. Eine erste Analyse geht davon aus, daß mindestens ein Drittel der Kämpfer in Syrien Al-Qaida zuzurechnen sind. Dieser Organisation will der Westen nicht mit Waffen unter die Arme greifen, heißt es in dem Bericht von As Safir. Katar und Saudi-Arabien hingegen lieferten sich einen Wettstreit, wer die meisten und besseren Waffen an Islamisten und Salafisten in Syrien schmuggele.

Westerwelle traf sich derweil am Dienstag mit dem ehemaligen UN-Sonderbeauftragten Kofi Annan in Berlin, um über die Lage in Mali und Syrien zu beraten, wie sein Amt mitteilte. Annan hatte kürzlich die USA und ihre westlichen Partner im UN-Sicherheitsrat kritisiert, das Genfer Abkommen vom Juni 2012 torpediert zu haben. Die Vereinbarung, die von allen Außenministern der Vetomächte unterzeichnet worden war, sah eine Übergangsregierung aus Vertretern des amtierenden Kabinetts und der Opposition in Syrien vor. Diese sollte eine verfassunggebende Versammlung einleiten und Neuwahlen vorbereiten. Der syrische Präsident Baschar Al-Assad hatte gegenüber Kofi Annan seine Zustimmung zu dem Abkommen erklärt. Unmittelbar darauf hatten die USA, Frankreich und Großbritannien im UN-Sicherheitsrat schärfere Maßnahmen gegen Syrien nach Kapitel 7 der UN-Charta gefordert und die Vereinbarung ignoriert.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Dezember 2012


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage