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Freitags in Damaskus

Aus Angst vor Chaos bleiben viele Einwohner der syrischen Hauptstadt in ihren Wohnungen. In den Vororten protestieren dagegen Tausende gegen Assad

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Im Zentrum von Damaskus herrscht seit den frühen Morgenstunden Stille. Vielleicht, weil es heiß ist, vielleicht auch, weil Freitag (24. Juni) ohnehin ein ruhiger Tag ist. Vielleicht aber auch, weil die meisten Syrer neuerdings an diesem Tag zu Hause bleiben, um nicht zufälligerweise in etwas hineinzugeraten, was sie nicht kontrollieren könnten. Viele Verbindungsstraßen zwischen Damaskus und umliegenden Orten werden seit Wochen jeweils freitags ab den frühen Morgenstunden gesperrt. Wer verreisen möchte, tut dies am Donnerstag oder am Samstag, für die beliebten Ausflüge mit der Familie oder zu Freunden ist der Freitag inzwischen tabu. Denn immer wieder drängt es Gegner der syrischen Regierung auf die Straße, mit denen nicht alle Gruppen der zersplitterten Opposition etwas zu tun haben möchten.

»Baschar (Assad) ist nicht mehr mein Präsident, und seine Regierung vertritt mich nicht mehr.« Das war der Slogan, der auf Facebook für die Proteste an diesem Freitags ausgegeben wurde. Und so strömten nach dem Mittagsgebet wieder Tausende Männer durch Vororte von Damaskus, Homs und Hama und forderten Präsident Assad auf, Amt und Land zu verlassen. Das jedenfalls war im arabischen Fernsehsender Al-Dschasira zu sehen, während es in Damaskus ruhig blieb. Aber es schien eine Liveschaltung zu den Protesten zu geben. Schilder mit Ortsname und Datum wurden vor ein Handy gehalten, ein paar Blumen waren auch dabei. Bereits am Vormittag hatte der Sender zur Einstimmung in Endlosschleifen verwackelte Youtube-Filme von vergangenen Protesten ausgestrahlt. Sobald das Mittagsgebet zu Ende war, wurden die alten Aufnahmen durch die neuen ersetzt und stundenlang wiederholt. Das Programm lief noch, als die Muezzine die Gläubigen schon wieder zum Nachmittagsgebet riefen.

Auch das syrische Fernsehen zeigte Bilder von gläubigen Männern, die Moscheen in verschiedenen Städten verließen. An einigen Orten schien es Auseinandersetzungen gegeben zu haben. Moscheebesucher hatten gegenüber jW berichtet, daß es in ihrem Wohnort nach dem Freitagsgebet inzwischen eine Art Ritual gebe. Diejenigen, die protestieren wollten, gingen etwas früher aus der Moschee, um sich zu versammeln. Wenn dann die anderen herauskommen, gebe es häufig eine Schlägerei, doch kurz danach sei sei alles vorbei.

Restaurants und Hotels bleiben am muslimischen Wochenende meist leer. Nicht nur, weil Europa seine Bürger warnt, nach Syrien zu reisen. Dort geht es laut dem Auswärtigen Amt gefährlicher zu als in Afghanistan. Auch Syrer sind kaum noch unterwegs. Im Eingangsbereich eines Restaurants in Bab Touma, dem christlichen Viertel der Damaszener Altstadt, steht eine Tafel. Normalerweise wird hier das Gericht des Tages angekündigt, doch in diesen Zeiten ist alles anders. Weil er die anhaltende Flaute und die Freitagsdemonstrationen satt hat, hat der Restaurantbesitzer seinem Zorn Luft gemacht. »Jeder Freitag ist ein Freitag für Assad«, hat er auf die Tafel geschrieben und hofft: »Vielleicht kommen ja in ein paar Wochen wieder mehr Gäste.«

Zum Redaktionsschluß meldet Al-Dschasira den Tod von fünf Menschen in Homs und einem Vorort von Damaskus. Sie seien von syrischen Sicherheitskräften erschossen worden.

Inzwischen sind 11000 Syrer in die Türkei geflüchtet.

* Aus: junge Welt, 25. Juni 2011


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