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Mitten im Winter

Syrische Frauenbewegung bei Protesten an den Rand gedrängt. Traditionen an der Basis verhindern stärkere Rolle

Von Karin Leukefeld *

In revolutionären Bewegungen nehmen Frauen normalerweise eine wichtige Rolle ein, um mit dem Kampf für eine gerechte Gesellschaft auch ihre eigenen Rechte durchsetzen zu können. In Syrien ist das anders, wo schon der Begriff »Syrische Revolution 2011« eine Erfindung der Muslimbruderschaft im Exil ist, die unter diesem Namen im Februar vergangenen Jahres eine Seite im Internetdienst Facebook lancierte. In den ländlichen Gebieten nahmen Frauen zunächst zwar an den religiös motivierten Demonstrationen teil, die in Moscheen ihren Ausgang nahmen. Meist gingen sie jedoch am Ende der Protestzüge und waren oft bis auf die Augen verhüllt.

Ein Jahr nach Beginn der Proteste sind Frauen kaum noch auf den Straßen zu sehen. Das heiße aber nicht, daß sie nicht aktiv seien, sagte die 35jährige Lubnan in Damaskus gegenüber junge Welt. Die Gewalt bei den Auseinandersetzungen führe dazu, daß Männer ihre Frauen und Töchter nicht aus dem Haus ließen. »Sie wollen, daß uns nichts passiert, daß wir nicht geschlagen, beleidigt oder verhaftet werden«, erzählte die Grafikdesignerin. »Frauen haben eine andere Art, aktiv zu sein. Wir sind zwar nicht auf der Straße, aber wir helfen den Zivilisten, die verwundet, verletzt wurden oder die Angehörige bei den Protesten verloren haben.« Lubnan ist aktiv in einer solchen Angehörigengruppe und hilft in einer Vorstadt von Damaskus Familien. Sie habe ein mehrwöchiges Training bei einer zivilen Organisa­tion absolviert, nun betreue sie Kinder, bringe Medikamente oder auch andere Unterstützung zu Familien, die ihren Haupternährer durch Tod oder Haft verloren hätten. Ihr Leben habe sich völlig geändert, erzählt sie. »Ich bin so stolz, Syrerin zu sein. Wir verdienen es, ein freies, schönes Leben zu führen.«

Sie spreche schon lange nicht mehr von einem »arabischen Frühling«, seufzt Mouna Ghanem von der Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen«. »Wir sind mitten im tiefsten Winter.« Frauen, die auf den Straßen seien, unterstützten ihre Männer oder Söhne, so wolle es die patriarchale Struktur der syrischen Gesellschaft. »Sie tun es als Mutter oder Ehefrau, nicht aus einem Bürgerrechtsverständnis heraus.« Der syrischen Frauenbewegung sei es nicht gelungen, eine führende Rolle bei den Ereignissen zu übernehmen. Den Grund dafür sieht Mouna Ghanem in einer schwach entwickelten Zivilgesellschaft. In Ägypten sei die »Revolution« von der Jugend des Mittelstandes ausgegangen. »Sie waren gut ausgebildet und hatten ein Bewußtsein von Frauenrechten, von Kinderrechten, von Menschenrechten.« In Syrien handele es sich hingegen um die Basisbewegung einer Gesellschaft, in der die Frauen nicht die gleichen Rechte hätten wie die Männer. »An der Basis dieser Gesellschaft ist diese Tradition stärker verankert als bei der städtischen Mittelschicht.« Darum seien die Forderungen der Frauen nicht selbstbewußt. Um Frauen gleichberechtigt am politischen Leben zu beteiligen, müsse das Personenstandsrecht geändert werden. Diese jeweils nach der Religionszugehörigkeit festgelegten Gesetze »betrachten die Frauen nicht als Menschen, sondern nur als Mittel zur Fortpflanzung«. Wie könne eine Frau ein Ministeramt oder ein anderes politisches Amt ausüben »und am Abend gehe ich nach Hause und habe keine Rechte«. In zivilen Gruppen und Organisationen müßten Frauen politisches Wissen und Fähigkeiten erlangen, so Mouna Ghanem. »Das gilt nicht nur für Syrien, sondern überall.«

* Aus: junge Welt, 8. März 2012


UNO und China wollen vermitteln

Syrien: Diplomaten zu Besuch in Damaskus. Moskau dementiert Kurswechsel **

Die UN-Nothilfebeauftragte Valerie Amos ist am Mittwoch (7. März) bei einem Besuch in Syrien mit Außenminister Walid Al-Muallim zusammengetroffen. Dieser sagte der Diplomatin eine Zusammenarbeit zu. Grundlage dafür müßten aber »Respekt, die Souveränität und die Unabhängigkeit Syriens« sein, meldete die amtliche Nachrichtenagentur SANA. Ende Februar hatten die Behörden Amos noch die Einreise verweigert.

Die Diplomatin will sich vor allem mit der Lage in der Stadt Homs befassen. Syrische Regierungstruppen hatten Anfang März nach heftigen Kämpfen die Kontrolle über den Vorort Baba Amr wiedererlangt. Seither wird jedoch ein Hilfskonvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) daran gehindert, Lebensmittel und Medikamente in den Stadtteil zu bringen. Damaskus begründet dies mit Sicherheitsgründen, etwa versteckten Minen.

Bereits seit Dienstag (6. März) hält sich auch ein Gesandter der chinesischen Regierung in Damaskus auf. Die Volksrepublik hatte am Sonntag einen Sechs-Punkte-Plan zur Lösung des Konflikts vorgeschlagen, der unter anderem ein sofortiges Ende der Gewalt und einen Dialog zwischen Regierung und Opposition vorsieht sowie jeder Intervention aus dem Ausland eine klare Absage erteilt. Die Krise in Syrien müsse von den Syrern selbst gelöst werden

Peking hat im UN-Sicherheitsrat gemeinsam mit Rußland bereits zweimal Resolutionen zu Syrien blockiert. Inzwischen haben die USA einen neuen Entwurf vorgelegt, über den die fünf ständigen Mitglieder des Gremiums am Dienstag berieten. Rußland äußerte sich bereits ablehnend. Das Außenministerium in Moskau forderte am Mittwoch sowohl von der syrischen Regierung als auch von der Opposition ein sofortiges Ende der Gewalt. Hoffnungen des Westens auf eine neue Linie Rußlands gegenüber Syrien nach der Präsidentschaftswahl vom Sonntag, die Regierungschef Wladimir Putin gewann, bezeichnete das Ministerium als »Wunschdenken«.

(AFP/Xinhua/jW)

** Aus: junge Welt, 8. März 2012


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